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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ein geringschätziges Lächeln verunschönte ihren sonst so lieblichen Mund.

„O, ich weiß, fiel sie ihm in's Worte „Dein Recht verbleibt Dir unbestritten.“

„Das nahm ich an und habe demgemäß gehandelt.“

„Es gelang Dir durch den Vorsprung, den Du Deinen Mitconcurrenten abgewonnen, Deine eigene Sicherstellung zu erreichen. Ich verstehe jetzt die Jagd.“

„Doch nicht so ganz. Um eine Sicherstellung Deiner Mitgift konnte es sich gar nicht handeln, da sie – wie Du vergessen zu haben scheinst – nicht gleich Deinem Erbe auf den Mühlen hypothecirt blieb, sondern in Baarem und Papieren mir eingehändigt wurde. Und diesem glücklichen Umstande verdanken wir heute die Rettung von der Schande. – Nicht doch, laß mich nur zu Ende kommen,“ unterbrach er sich, als Lisa Miene machte, ein Wort einzuwerfen. „Als ich gestern Sternberg erreichte, fand ich Heinrich niedergeworfen, rath- und fassungslos, als einen gelähmten, gebrochenen Mann, seine Frau neben ihm als eine geifernde Furie, die ihn mit den schneidendsten Vorwürfen überhäufte und dadurch nur noch tiefer beugte, statt ihn aufzurichten, ihm mit ihrer Liebe ein Tröpfchen Trost in seinen bitteren Leidenskelch zu mischen, wie es in solchem Falle eines Weibes schönste und edelste Pflicht wäre.“

Ein Seufzer entschlüpfte dem Erzähler, worauf er nur noch rascher, gleichsam um die hinterher bereute Stockung wieder auszugleichen, fortfuhr:

„Es hielt schwer genug, den armen geschlagenen Menschen nur so weit auf die Beine zu bringen, daß mir halbwegs zusammenhängende Auskunft wurde. Zu einer Einsicht in die Bücher war keine Zeit; denn schon fuhr jener Wagen, der mir gefolgt war, in den Schloßhof. Der erste Ausruf, als die Ankommenden gemeldet wurden, überzeugte mich, daß ich mich in meinen schlimmen Ahnungen nicht getäuscht hatte und Heinrich von diesem Besuche die nächste Gefahr drohte. Es blieb mir nur noch so viel Frist, um ihm die Mittel einzuhändigen, durch welche sie beschworen werden konnte. Auch war es gut, daß ich bei den nun folgenden Verhandlungen anwesend blieb; denn meine Gegenwart legte dem ziemlich ungestüm eingedrungenen Banquier einstweilen Zügel an, bis sich die anfängliche Rücksichtslosigkeit nach Befriedigung der erhobenen Ansprüche ohnedem wieder in das geschmeidigste Entgegenkommen verwandelte. Heinrich wäre in seiner gedrückten Stimmung dem brutalen Ansturm nicht gewachsen gewesen und hätte wahrscheinlich sofort die Flinte in's Korn geworfen. Einigermaßen consternirt über die flüssigen Fonds, wo sie eine leere Casse zu finden gehofft, schieden die Edlen mit den widerlichsten Dienstanerbietungen und Versicherungen von Freundschaft und Vertrauen. Ich sage absichtlich 'gehofft'; denn nach genauerer Untersuchung kann ich mich der Einsicht nicht verschließen, daß hier ein vielleicht in der Eile gereifter Plan vorlag, aus dem Ruin des Hauses mit geschicktem Zuge möglichst große Vortheile zu ziehen. Den Rest des Tages haben wir benutzt, um die Gefahr durch Deckung aller dringenden Posten vollends zu beseitigen. Das Schlimmste ist hoffentlich beschworen.“

„Und woher ist es Dir gelungen, die Mittel zu beschaffen?“

„Woher? Verwundert sah er sie an; dann setzte er mit der Trockenheit, als ob er einzelne Posten in einer parlamentarischen Berichterstattung über das Budget aufzähle, der gespannt Lauschenden aus einander: „Hunderttausend Gulden waren Deine Mitgift; davon wurden im Einverständniß mit Deinem Vater vierzigtausend zur Arrondirung und Verbesserung von Riefling verwendet. Sechszigtausend in Anlagepapieren hatte ich selbst unter Verschluß, das heißt die Talons, während die Actien der Sicherheit wegen deponirt worden sind. Dieses Packet hatte ich mit mir genommen; es wird für's Erste ausreichen.“

„O, das war klug,“ rief Lisa lebhaft. „Schaden wird hieraus ja nicht erwachsen und Alles wieder ersetzt werden.“

„Wieder ersetzt?“ Ein Lächeln glitt über sein kühles Gesicht, aus dem nicht Zweifel und Unglauben, sondern nur überlegenes Bewußtsein sprach. „Davon ist ein für alle Mal keine Rede mehr. Im Gegentheil, ich werde gezwungen sein, auch den größten Theil des in dem Gute steckenden Restes herauszuziehen. Es ist schuldenfrei, und wenn auch die Ameliorationen noch zu frisch sind, um schon in volle Wirkung getreten zu sein, so wird es mir doch nicht schwer fallen, eine ausreichende Hypothekanleihe darauf zu erhalten. Mein Obligo ist in Heinrich's Händen.“

Sie starrte ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden und bedürfte Zeit, erst Alles in sich zu verarbeiten, was sie vernommen. Dann verschlangen sich ihre Hände langsam, und sie so vor die Brust hebend stammelte sie:

„Das hast – Du gethan?“

„Nun ja. Dazu war ich, wie Du selbst zugestanden, berechtigt, auch wenn es, wie ich gestern fürchten mußte, Deinen Beifall nicht hätte. Es freut mich jetzt, nachträglich in der zuvor abgegebenen Aeußerung doch noch Deine Zustimmung gefunden zu haben.“

Sie preßte die Hände vor die Augen; sie glaubte in Scham versinken zu müssen. Wie stand sie diesem Manne gegenüber, der ihre hochklingenden Worte gleichmüthig hingenommen, zu stolz, um sich nur gegen den ihm vorgehaltenen Verdacht zu reinigen, der gehandelt, während sie mit ihren Gefühlen Staat gemacht, und der nicht dann erst zu einem Opfer sich aufgerafft hatte, als es schon zu spät war. Als ganz selbstverständlich hatte er es angesehen, sich selbst in die Bresche zu stellen und Alles hinzugeben für Diejenigen, zu denen er nur durch seine Heirath gehörte – durch diese Heirath!

Es war ihr, als müsse sie vor ihm hinknieen mit gefalteten Händen und ihm in reumüthiger Unterwerfung Abbitte leisten.

„Mein Schritt wird allerdings weitgreifende Folgen haben, an die Du Dich wirst gewöhnen müssen,“ fuhr er nach einer Weile, und diesmal in sorgenvollerem Tone, fort. „Eine Umgestaltung unserer Verhältnisse ist unerläßlich geworden. Die Einkünfte meines Gutes sind nicht zureichend für den Aufenthalt in der Stadt; ja, um nebenher die Verzinsung der Belastung aufzubringen, wird energische Arbeit nöthig sein. Uebrigens werde ich mich derselben mit voller Kraft hingeben können, da ich noch heute mein Mandat als Abgeordneter niederzulegen gedenke. Du kannst dann allmählich den Hausstand auflösen und vielleicht mit beginnendem Frühjahr –“ er zauderte ein wenig, als suche er nach dem rechten Ausdruck, ehe er schloß: „die Uebersiedlung in's Werk setzen.“

Sie wußte, wie schwer ihm diese Entsagung fallen mußte, und doch war es ein anderer Gedanke, der ungerufen zuvörderst in ihr auftauchte, der nämlich, daß sie jetzt kein Tauschobject mehr war, daß er, zurückgebend, was er empfangen, auch zurückfordern konnte, was er geboten, daß sie dann frei war und Herrin ihrer Zukunft. Ein leuchtendes Bild zeigte ihr einen Moment den Jugendgeliebten in den Farben ihrer Mädchenerinnerungen, doch sofort war das Bild auch wieder erloschen.

Sie erbebte; eine sonderbare Angst ergriff sie.

Sie mußte ihren Blick zu dem Manne vor ihr aufschlagen. Jetzt stand sie mit einem Male so hoch in seiner Schuld, daß sich die Last der Dankbarkeit nicht mehr mit zugedrückten Augen fortschieben ließ, und – seltsam genug – sie verlangte auch nicht mehr darnach. Es war eine Empfindung, die ihr wohltat, deren sie nicht enthoben sein mochte. Eine Erschütterung war über sie gekommen, mächtiger als je eine zuvor, und wie im Traumwandeln beugte sie sich unter deren Gewalt.

Forschend suchte sie in Witold's Augen zu lesen, bis die ihrigen sich mit Thränen füllten; dann reichte sie ihm schüchtern die Hand.

„Ich danke Dir!“ sagte sie bewegt.

Der sanfte Ton schlug wie etwas Ungewohntes an sein Ohr.

Ueberrascht, zweifelnd blickte er sie an; ein freudiges Aufleuchten ging über sein Gesicht, und dann faßte er schnell und bereitwillig die dargebotene kleine Hand, über die sich seine Finger kräftig schlossen.

„Du hast mir nichts zu danken,“ sagte er in herzgewinnender Einfachheit. „Ich erstatte nur zurück, was Dein Vater mir vorgestreckt. Es ist sein Name, der bedroht war.“

Sie zuckte. Sie wollte ihre Hand zurückziehen, er aber ließ sie nicht los.

„Immerhin aber freut mich Dein Dank,“ fuhr er wärmer, als sonst seine Sprechweise war, fort, „denn er hebt den letzten Druck von meiner Brust. Daß ich es Dir gestehe: ganz ohne Bedenken bin ich dem starken Gefühle, das mich so zu handeln drängte, doch nicht gefolgt. Ich mußte mich fragen, ob mein

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