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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Schwärme der Wilden rasch bis zur erforderlichen Nähe heranritten, dann vom Pferde stiegen und den auf's Korn genommenen Feind niederstreckten, wonach sie schnell zurückgaloppirten, um von Neuem zu laden und dieselbe Taktik zu wiederholen. Diese Kampfweise würde natürlich noch viel wirkungsreicher sein, wenn die Boers jetzt sämmtlich mit modernen Hinterladern sich versehen hätten.

Der Präsident des Oranje-Freistaates, Herr Brand, rechnete mir persönlich vor, daß der 60,000 Einwohner zählende Freistaat im äußersten Nothfalle 10,000 berittene Scharfschützen aufstellen könnte. Gelänge es daher den Führern der Volksbewegung von Transvaal, die gesammte holländische Bevölkerung Südafrikas zur Betheiligung am Aufstande heranzuziehen, so könnte die möglicher Weise zu erreichende Stärke des niederdeutschen Revolutionsheeres theoretisch auf 40,000 berittene Scharfschützen berechnet werden. Wenn nun freilich auch die ungeheuere Ausdehnung des Landes eine Concentrirung sowie eine regelrechte Verpflegung eines solchen Heeres unthunlich machen und auch der Mangel an militärisch geschulten Führern für die Boers ein sehr empfindlicher sein würde, so hätte doch unter dem ersteren Umstande (und noch viel mehr!) auch die englische Armee zu leiden, und was den Mangel kriegsgelehrter Strategen betrifft, so würde er in einem so weiten, wüsten und menschenleeren Lande, wie Südafrika, weniger bedeuten, als in unseren angebauten, mit volkreichen Städten und Dörfern angefüllten Culturländern, wo Massen gegen Massen unter möglichst raffinirter Taktik zu manövriren haben. Der Krieg würde sich in Südafrika wohl in der Hauptsache zu einem Guerillakrieg gestalten – und dieser würde in solchem wilden Lande für die angreifenden Engländer gerade der gefährlichste sein; denn holländische Reiterschwärme würden überall auftauchen und wieder verschwinden, wo es sich darum handelte, englische Zufuhrtransporte mit ihren langen und ungelenken, schwerfälligen Zügen von Ochsenwagen abzuschneiden und zu erbeuten. Der Krieg könnte also sehr in die Länge gezogen und dadurch für die englische Regierung außerordentlich kostspielig werden – und dieser Punkt der Kriegskosten dürfte die englischen Steuerzahler zu Hause so empfindlich treffen, daß die Opposition im britischen Parlamente bald mit Erfolg auf rasche Beendigung eines so große Summen verschlingenden Krieges dringen würde, auch wenn dieselbe nur durch Rückgabe der Unabhängigkeit an jene zähen und trotzigen Vertheidiger ihrer nationalen Selbstständigkeit zu erlangen wäre. Außerdem ist aber auch nicht zu übersehen, daß durch alle Schichten des englischen Volkes ein tiefer Sinn für Recht und Gerechtigkeit geht, der sich bei längerer Dauer des Krieges als der mächtigste Verbündete der Boers erweisen dürfte. Schon jetzt hat sich in einem Theile des englischen Publicums eine Schwenkung zu Gunsten der Boers gezeigt. Einer der berühmtesten zeitgenössischen Engländer, der Geschichtsschreiber Froude, hat vor einigen Wochen in öffentlicher Rede die gegen den Willen des Volkes von Transvaal in Scene gesetzte Annexion des Landes ein schweres Unrecht genannt und die Sympathie der englischen Nation für jene holländischen Patrioten wach zu rufen versucht.

Die Boers repräsentiren einen ganz eigenthümlichen Menschenschlag, den man einer geognostischen Ablagerung aus den Beständen früherer Jahrhunderte vergleichen möchte. Meistens sechs Fuß bis sechs Fuß vier Zoll hoch und dabei äußerst kräftig und breitschultrig gebaut, ähneln sie im Aeußeren den Backwoodsmen Nordamerikas, von denen sie im Temperament freilich verschieden sind, indem sie in aller Treue den phlegmatischen, ausdauernden, ruhigen und soliden Charakter ihrer holländischen Vorfahren bewahrt haben. Auch in ihrer Lebensweise und ihren schlichten patriarchalischen Sitten sind sie vollständig den Vorvätern gleich geblieben, sodaß man bei einem Besuche ihrer ärmlichen Farmhäuschen das Gefühl hat, als sei man in die Zeiten des siebenzehnten Jahrhunderts zurückversetzt. Auf dem großen runden Tische im Hauptwohnzimmer liegt unabänderlich die dicke alte Bibel, aus welcher der Familie jeden Abend vom Hausvater einige Capitel vorgelesen werden. Diese und ein holländisches Gesangbuch bilden in der Regel die einzige Lectüre des Hauses; denn Zeitungen, die in Nordamerika ihren Weg in die entlegensten Farmhäuser nehmen, sind in den meisten Boerhäuschen kaum jemals zu finden. Jeden Morgen wird das Tagewerk mit dem ernsten und langsamen Gesange einer Hymne begonnen und vor wie nach Tische stets gewissenhaft ein kurzes Gebet gesprochen. Die Taufnamen dieser biedern Leute sind in der Regel der biblischen Geschichte entnommen, und Namen wie: Petrus, Jacobus, Johannes, Isaak, Abraham, Jeremias etc. sind außerordentlich häufig unter ihnen. Ihre reformirten Prediger genießen einen gewaltigen Respect und eine hohe Achtung und Verehrung.

Die Männer sind im Durchschnitte hübsche und imposante Leute und erinnern mit ihren energischen, kräftigen und ausdrucksvollen Köpfen an die Portraits eines Rubens, Teniers, Ostade und van Eyck. Es fehlt eben weiter nichts als die Gelegenheit zu einer guten Erziehung und zum Ansammeln von Kenntnissen, die ja auf ihren gänzlich isolirten und von Städten fernen Wohnplätzen so schwer zu beschaffen sind, um aus diesen kernigen und soliden Menschen und aus ihren guten und natürlichen Anlagen etwas Tüchtiges zu machen. Bei der Einsamkeit, in der sie leben, sind sie genöthigt, in allen schwierigen Lagen des Lebens sich selbst zu helfen. Daher kommt es, daß jeder Boer in der Regel außer Feldbauer, Gärtner und Viehzüchter auch noch sein eigener Zimmermann, Wagenbauer, Grobschmied, Sattler, Schneider, Schuster, Architekt und Arzt ist; er gleicht auch in dieser Beziehung dem amerikanischen Backwoodsmen, dem er nicht minder in wohlgeübter Führung der Kugelbüchse ebenbürtig ist.

Einen viel weniger gefälligen Eindruck als die Männer machen die Frauen und Mädchen. Schönheit und weibliche Grazie scheinen nur in spärlichen Ausnahmen diesem massiv gebauten und kräftig organisirten Frauengeschlechte zugetheilt zu sein, und zur Entwickelung eines lebhaften und aufgeweckten Geistes ist ihr lebenslang so eintöniges und isolirtes Dasein ebenso wenig förderlich, wie der vollständige Mangel an weltlicher Lectüre und anregender gebildeter Geselligkeit. Aber thätige und treue Hausfrauen und Mütter sind sie. Dabei dürfte das ruhige, phlegmatische, pflanzenähnliche Dasein, das sie beständig führen, jenes behäbige Embonpoint erzeugen, das fast sämmtliche Boerfrauen schmückt, wie andererseits mit dem üblichen zeitigen Heirathen ein außerordentlicher Kinderreichthum zusammenhängt. Zehn bis zwölf Kinder sind an der Tagesordnung, sechszehn bis zwanzig keine Seltenheiten; ich hörte sogar von einem alten Boer in Graaf Reynet, Mynheer Gibson Joubert, der nicht weniger als 292 Kinder, Enkel und Urenkel hat.

Es ist eine landesübliche Sitte, auf die sehr streng gehalten wird, daß der Fremde, der in ein Boerhaus eintreten will, erstens nicht früher vom Pferde steigt, als bis der Hausherr ihn ausdrücklich dazu eingeladen hat, und zweitens, daß er beim Eintreten in das Haus allen Mitgliedern der Familie, bis zum allerkleinsten herab, leutselig die Hand drückt. Dieselbe Formalität wird auch beim Fortgehen gewissenhaft wiederholt.

Festlichkeiten, Bälle und dergleichen poetische Episoden kommen im einförmigen und prosaischen Dasein eines Boers kaum jemals vor. Die einzigen Zerstreuungen sind gegenseitige Besuche der selten weniger als vier bis fünf Reitstunden von einander wohnenden Nachbarn, wobei dann Tabakspfeifen und von Zeit zu Zeit ein Gläschen Genever oder Capbranntwein die ernste und bedächtige Conversation über Witterung, Schafkrankheiten, Vieh- und Wollpreise etc. beleben.

Nur zwei oder drei Mal des Jahres kommt der Boer – und darauf hält er sehr strenge – in zahlreiche Gesellschaft von seines Gleichen, nämlich zum Nachtmahle (Abendmahlsfeier) in dem ihm nächsten Dorfe oder vielmehr: Städtchen. Denn Dörfer in unserem europäischen Sinne giebt es dort nicht. Freilich hat der Boer oft sehr, sehr weit bis zu seinem nächsten Kirchorte, und da es sich nicht verlohnen würde, solch eine weite Reise im Ochsenwagen mit seiner ganze Familie nur für einen kurzen Kirchenbesuch zu machen, so bleibt man in der Regel eine ganze Woche dort. Die Hunderte von aus allen Richtungen herbeigekommenen Ochsenwagen bilden dann zusammen mit den zwischen ihnen aufgeschlagenen Zelten ein großes, von Menschen und Vieh wimmelndes Feldlager. Kaufleute und Händler aller Art kommen aus fernliegenden größeren Städten herbei, um ihre Waaren zu hohen Preisen feilzubieten; Geschäfte aller Art, Käufe von Vieh, von Wagen, von Farmen werden abgeschlossen. Die junge weibliche Welt kauft von einer nie fehlenden Modistin ihre nächstjährige Toilette ein, für welche natürlich grell und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_175.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)