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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


war; zwar wußte ich, daß Hirten und Bauern, welche nicht zugleich – berechtigt oder unberechtigt – Schützen waren, der Wölfe, Bären und Hexen wegen Nachtmärsche nur im Drange der Noth und dann truppweise vereint unternahmen, weshalb Paulu’s Vorschlag mich einigermaßen überraschte, indessen der Bursche hatte sich schon als ungewöhnlich muthig erwiesen, außerdem aber schien mir die Idee eines Nachtrittes in diesem wild-romantischen Gebirge so reizend, daß ich ohne weiteres darauf einging und ihn beauftragte, die Pferde Abends wieder bereit zu halten. Die Aussicht, auf dem Rückwege den sengenden Strahlen der Sonne zu entgehen, erleichterte die Leiden des Burschen so sehr, daß er mehr wie einmal zu einem fröhlichen Liedchen anhub, um jedoch jedesmal nach wenigen Tönen kurz abzubrechen, ähnlich dem verwundeten Vogel, der gleichwohl den gewohnten Gesang nicht ganz zu unterdrücken vermag.

Dagegen schien der Himmel mit unserem Plane keineswegs einverstanden. Kurz nach unserer Ankunft in Rimnik ballten sich gewaltige Wolkenmassen am Horizonte zusammen, und eben als ich meine Geschäfte beendet, ging ein so wuchtiger Gewitterregen nieder, daß ich meinerseits die nächtliche Rückkehr aufgab.

Paulu war jedoch anderer Meinung. Kaum daß der heftigste Regen nachgelassen, erschien er im Wirthshofe mit den nach meinem Befehle gesattelten und gezäumten Pferden und wartete dann, sich mit nachlässiger Behaglichkeit an seine stämmige Stute lehnend und seiner geliebten Pfeife Rauchwolken entlockend, gerade so, als lachte der blaue Himmel über uns.

Es donnerte, als ich zu ihm hinaustrat, während der Wirth und die anwesenden Gäste neugierig in die Veranda an der Hofseite des Hauses eilten.

„Schlimmes Wetter, Paulu!“ sagte ich bedauernd.

„O, nur etwas naß, Herr!“ erwiderte er, gleichmütig den Steigbügel an meinem Sattel zurecht rückend.

„Hm, und Du meinst, daß es morgen wieder heiß werden wird?“ fragte ich als letzten Versuch, das unerfreuliche Douchebad abzuwenden.

„Sehr heiß, Herr! So ’n paar Tropfen sind eine wahre Wohlthat dagegen,“ versicherte Paulu, mir die Zügel übergebend.

In diesem Augenblicke erhoben sich gleichzeitig ein halb Dutzend warnende Stimmen von der Veranda her. Wirth und Gäste beschworen mich, ein Vorhaben aufzugeben, dessen Ausführung unter allen Umständen ein Wagestück, bei solchem Wetter jedoch geradezu eine Tollheit wäre.

„Stadtleute und alte Weiber schwätzen viel,“ versetzte Paulu auf meinen fragenden Blick. „Doch wenn Ihr glaubt, Herr?“

In der Miene des Burschen lag bei dieser Frage ein Ausdruck des Spottes, dessen ich diese einfältigen Züge nicht fähig gehalten hätte. Meine Antwort bestand darin, daß ich mich in den Sattel schwang und zum Thore hinausjagte; es war doch gar zu ärgerlich, daß ein Hirtenjunge an meinem Muthe zu zweifeln wagte.

Und als ob die Berghexe, deren Zaubermacht nach Paulu’s Versicherung das Unwetter herbeigeführt, unserem entschlossenen Vorgehen gegenüber das Vergebliche ihrer Bosheit eingesehen hätte, zertheilte sich, als wir das Städtchen im Rücken hatten, das dunkle Gewölk, um uns nochmals das strahlende Antlitz der Frau Sonne erblicken zu lassen, welche eben mit warmem Abschiedslächeln hinter den Bergen verschwand. Auch die erst von dichtem Nebel verhüllten Höhen prangten wieder in blauer oder violetter Feiertracht, und der rasche Ritt in der ozonreichen reinen Luft war so erfrischend, daß ich mit Paulu’s Hartnäckigkeit vollkommen versöhnt war.

In der würzigen Abendfrische schien der arme Bursche Kopf- und Leibschmerzen gleichzeitig vergessen zu haben; denn während des munteren Trabes unserer Thiere war er geradezu unerschöpflich an lustigen Liedchen.

So erreichten wir das Bergdorf in heiterster Stimmung. Im Hause des Richters, wo wir unsere ursprünglichen Pferde wieder eintauschten, wiederholte sich die Scene vom Gasthause in Rimnik. Der alte Mann und dessen Hausgenossen schilderten die Gefährlichkeit des Riu rou (Wilder Bach) nach solchem Wetter und die Blutgier der Wölfe, gerade jetzt, wo die Schafheerden ihre Hauptnahrung, von den Alpen abgetrieben seien, in den lebhaftesten Farben, und Ersterer drang in gutmüthigster Weise in mich, die Nacht in seinem Hause vorlieb zu nehmen. Auch war ich nahe daran, auf den gutgemeinten Vorschlag einzugehen, als Paulu mir leise zuraunte:

„Wahrlich, Herr, die braune Suppe dort im Mamaligakessel des Richters scheint mir noch gefährlicher als das Wasser des Riu rou, und was die Wölfe anbelangt, so müßt Ihr selbst schon verspürt haben, daß es hier im Hause von Thieren wimmelt, die noch weit blutgieriger sind.“

Des Burschen Bemerkungen waren leider treffend; das würdige Oberhaupt des Dorfes mochte ein herzensguter Mann sein, allein in seinem Hause waltete keine Margita.

Vorwärts also! Die Gefahren, über welche Paulu so heiter scherzte, konnten nicht schlimmer sein als eine schlaflose Nacht.

Unter den Segenswünschen der Männer und eifrigem Kreuzeschlagen der Weiber ritten wir in die dunkle Nacht hinaus, auf immer rauheren Wegen zwar, doch ungehindert, bis nach etwa einstündigem Ritte sich das Rauschen des Riu rou vernehmen ließ und bald darauf die Pferde weiteres Vorschreiten hartnäckig verweigerten. Als wir dieselbe Stelle Vormittags passirten, wurden kaum die Hufe derselben benetzt, jetzt aber sahen wir, so weit unser Blick in die Dunkelheit drang, nur eine bräunlich schmutzige Wassermasse, welche unheimlich wirbelnd und gurgelnd an uns vorüber toste.

Paulu trieb sein Pferd so ungestüm dem Wasser zu, daß es, sich hoch aufbäumend, jeden Augenblick zu überschlagen drohte.

„Höre, Paulu, das Thier scheint klüger zu sein, als sein Reiter,“ sagte ich unwirsch über die Quälerei.

„Oh, oh,“ protestirte jedoch dieser, „behext ist es, und darum wasserscheu wie ein altes schmutziges Weib, doch Gott schlage mich, wenn Ihr es nicht gleich wie eine Ente plätschern seht.“

Damit sprang der Bursche aus dem Sattel und bis zum Gürtel in die reißende Fluth. In der That wirkte das gute Beispiel derart, daß nun beide Thiere willig in das nasse Element stiegen und uns – Paulu hatte sich sofort wieder in den Sattel geschwungen – muthig vorwärts trugen. Ich hatte den glücklichen Einfall, meine Pistolen aus dem Halfter zu ziehen und in der Brusttasche zu bergen, um sie vor dem Naßwerden zu schützen. Sie wären, wie sich sofort zeigte, diesem Schicksal sonst zweifellos anheimgefallen.

Es war ein unheimlicher Ritt. Durch den Schleier dunklen Gewölkes sandte der Mond sein mattes Licht in das einsame Karpathenthal, auf die hastenden, schäumenden Wogen um uns, die bald in Dunkel versanken, bald wieder aufblitzten; es war, als tummelten sich gnomenhafte Unholde mit unförmigen, schmutzigen Köpfen in phantastischem Reigen, das ringsum herrschende Todesschweigen durch ihr heiser kluxendes Gelächter unterbrechend. Mitten durch dieses wilde Getriebe aber brachen sich unsere braven Thiere Bahn, hart an einander gedrängt, als gelte es, sich gegenseitig beizustehen in dem gefährlichen Gange.

Daß die Gefahr keine geringe war, bezeugten die bleichen Züge meines Gefährten, seltsamer Weise aber – und bezeichnend für die dunkeln Irrgänge des Menschenherzens – fühlte ich weit weniger Sorge als Befriedigung, wenn unsere Pferde strauchelnd oder einsinkend bis an den Hals in die Wogen geriethen und ich in Paulu’s angstvoller Miene die gerechte Strafe für seinen fast unbegreiflichen Starrsinn lesen konnte. Oder war dieses Vorwärtstreiben um jeden Preis nicht Starrsinn, sondern gleich jener Empfindlichkeit für die Hitze ein Symptom beginnenden Wahnsinns?

Ich hatte nicht Muße, darüber nachzudenken, sondern vollauf zu thun, nicht von dem Wasserschwall aus dem Sattel gehoben zu werden, kaum aber hatten wir, dank der Muskelkraft unserer Pferde, das jenseitige Ufer glücklich, wenn auch wassertriefend, erreicht, als Paulu in lautes Jauchzen ausbrach und dann, sein Pferd liebkosend, rief:

„Ho, ho, Bräunchen, morgen sollst Du Malaia fressen bis zum Platzen, ich aber will nimmer eines Richters Kesselwasser verachten, wäre es auch braun wie Deine Haut!“

Während der närrische Bursche so schwatzte, lenkte er seine Stute, die Führung wieder übernehmend, in ein enges Seitenthal, dessen Gerinne zwar mit abgeschwemmtem Gerölle bedeckt war, jedoch leidliches Fortkommen ermöglichte, bis abermals mächtiges Rauschen ein neues Hinderniß ankündigte.

Wie sich nach näherer Untersuchung ergab, war durch die Gewalt des abstürzenden Regenwassers eine Erdlawine niedergegangen, die Thalsohle aufwärts in einen See verwandelnd,

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