Seite:Die Gartenlaube (1880) 203.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Entschlossen ging sie auf die Treppe zu, an der Wilhelm, welcher, der Gelegenheit zu Liebe, den auf dem Lande abgelegten Livréefrack in aller Eile übergezogen hatte, bereits mit der Meldung harrte, Herr Rittmeister Steinweg habe sich anmelden lassen und sei von Fräulein Lora angenommen worden.

Die Gräfin schüttelte das graue Haupt. Daß Mädchen so ohne weiteres Officiere zum Besuche empfingen, erschien ihr als eine neue, selbst an ihrem Lieblinge nicht lobenswerthe Mode. Nur mit einer leichthingeworfenen Frage vergewisserte sie sich, daß der Rittmeister zu dem Bekanntenkreise der beiden Schwestern gehöre, und erklärte dann, ihnen den Besuch allein überlassen zu müssen, da ihre Toilette den Rücksichten auf den Empfang nicht entspräche.

„Auch gilt ja die Visite nicht mir,“ fügte sie nach einem ernstforschenden Blicke hinzu, wenigstens glaubte Lisa einem solchen begegnet zu sein und war unwillkürlich erröthet.

Sie nahm sich übrigens nicht Zeit, ihrer eigenen Toilette noch besondere Sorgfalt zu widmen; allerdings stand sie, nachdem die große Schürze abgebunden worden war, in tadellosem Anzuge da. Das graue Wollkleid, das sie trug, war zwar das allereinfachste ihrer Garderobe, aber nur nach dem Maßstabe ihres früheren Bestandes, denn für das stille Landhaus blieb es immerhin noch ein Muster der Eleganz. Sie steckte nicht einmal die etwas verschobene blaßblaue Bandschleife am Halse zurecht; so ganz nahm sie der Gedanke in Anspruch, den Besuch Steinweg's abzukürzen und – für die Zukunft einer Wiederholung vorzubeugen. Ihr war der Gedanke, daß Lomeda mit ihm zusammentreffen könnte, plötzlich höchst unangenehm. Nicht, daß sie die Furcht beschlich – zu welchen denkbaren Conflicten konnte denn eine solche Begegnung führen? Nein, das peinliche Gefühl, das sie bedrückte, war anderer, undefinirbarer Art; ihr selbst blieb es undeutlich, aber sie empfand es.

Bei ihrem Eintritte in den Salon sprang Steinweg von seinem Stuhle auf und unterbrach somit das lebhafte Gespräch, in das er sich schon mit Lora vertieft hatte, die ihrerseits sich alle Mühe gab, Gretchen zu bewegen, dem „Soldaten, der bei Mama gewesen“, ein vertrauensvolles „Patschhändchen“ zu geben.

„Ich habe Sie nicht erwartet,“ waren Lisa's erste und durch die ruhige Betonung für ihn und jedes aufmerksame Ohr auch bedeutungsvolle Worte, wobei sie zwar die Spitzen ihrer Finger in die von ihm dargereichte Hand legte, sogleich aber wieder zurückzog, ehe er sie noch an die Lippen gezogen.

„Sie haben darin Unrecht gethan, Baronin,“ entgegnete er, ohne sich diesen wenig einladenden Empfang verdrießen zu lassen, „denn ich halte mein Versprechen. Sie sehen, ich habe keine Minute verloren. Gestern eingerückt, heute hier.“

Dem vielsagenden Blicke, welchen er ihr dabei zuwarf, wich sie aus, indem sie auf das kleine Sopha in der Fensterecke zuging und ihn so zwang, sich wieder Lora zuzuwenden, welche schon dort saß und vor welcher er sich kein einverständnißsuchendes Mienenspiel mit der Schwester erlauben durfte. Da Lisa schwieg, bemächtigte sich ihre Schwester, welche unterdeß neugierige Blicke hinüber und herüber wandern ließ, des Wortes und erklärte scherzend, weshalb der Besucher solche Eile gehabt habe.

„Um mir zu versichern, daß ich ein häßlicher kleiner Knirps gewesen sei.“

„Ich bitte, mein Fräulein!“ suchte sich Steinweg zu entschuldigen, indem er die gefalteten Hände erhob. „Ich habe nur gesagt, daß Sie sehr groß geworden seien.“

„Und sehr hübsch – bitte kein Wort auszulassen! Und Sie haben es mir sogar mit einem feierlichen, fremdartig lautenden Schwur bekräftigt. Das ist es ja eben; das ist ja das Verbrechen, das ich Ihnen nun und nimmer vergeben kann. Hätten Sie sich lieber meiner gar nicht mehr erinnert! Beachtet haben Sie mich ja doch nicht viel. – Ich bitte, ich bitte, darüber herrscht kein Zweifel in meinen Annalen. Gehen wir über diesen Gegenstand großmüthig hinweg! Aber schwieriger ist es mit der neuen Beleidigung. Es giebt nichts Erniedrigenderes, als immer wieder an eine obscure Vergangenheit erinnert zu werden.“

„Mein Gott, ich kann Sie doch nicht klein und – und –“

„Häßlich finden?“ half Lora nach. „Meinetwegen – aber können Sie denn nicht galanter Weise annehmen, daß, was wir sind, wir auch immer waren? Götter altern nicht.“

„Dann können Sie auch nie avanciren, denn das geht nach der Anciennetät,“ setzte er lachend hinzu, und Lisa sah verwundert bald auf ihn, bald auf ihre Schwester, die so herzlich mitlachte. Warum nur gewann ihr selbst der Witz nicht das leiseste Lächeln ab? War er wirklich schal oder war sie nur so mißgestimmt?

Lora sprang plötzlich auf, und einen weiter entfernten Lehnstuhl aufsuchend, rief sie, ihr Näschen zwischen Daumen und Zeigefinger fassend, der Schwester in komischer Entrüstung zu:

„Ach Gott, Du kommst schon wieder aus dem Stalle. Pfui! ich kann den Geruch nicht ausstehen.“

„Sie machen mich trostlos,“ übernahm Steinweg die Antwort. „Dann trifft das am Ende auch den Träger des Duftes, denn der dürfte ich sein; wir Cavalleristen alle schmuggeln diesen Odeur mit ein.“

„Ach, ein Pferdestall, das ist ganz etwas Anderes,“ erklärte Lora eifrig. „Für Pferde schwärme ich.“

„Sie sollten reiten lernen, Fräulein.“

„Witold hat es mir schon versprochen. Mein Herr Schwager reitet selbst ausgezeichnet.“

„Ein Civilist?“

Das Lächeln und der zweifelnde Ton machten Lora ungeduldig.

„Wie ein Centaur,“ entgegnete sie mit lebhaftem Widerspruche. „Glauben Sie denn, daß es außer den Husaren gar keine Männer mehr giebt, welche ein Pferd zu tummeln und zu bändigen verstehen? Das ist ja das Handwerk jedes Kunstreiters, jedes Jockeys. Das kann nicht so übermäßig schwer zu erreichen sein. Was uns imponirt, ist, wenn ein Mann, der geistig Alle überragt, auch noch nebenher in allen ritterlichen Künsten Meister ist. Der ist des Kranzgewinnes sicher beim wackeren Turnier.“

„Ei, mein Fräulein, ich bin trostlos. Sie scheinen den Kampfpreis ja bereits vergeben zu haben. Zum Glücke werden nicht alle Preisrichterinnen so denken. Wir Leute vom – Handwerk müßten ja sonst geradezu verzweifeln und vor stillem Neide vergehen.“

Sein Auge hatte sich wie in siegesgewisser Appellation auf Lisa gerichtet, welche, durch die von ihrer Schwester unbedacht herausgesprudelten Worte eigenthümlich berührt, ihren Blick sinnend auf Gretchen senkte, welche schon vor einer Weile ihren Schooß erklettert hatte. Als Steinweg erkannte, daß ihm diesmal keine Antwort zu Theil wurde, wirbelte er ein wenig verdrießlich seinen Schnurrbart und wendete sich dabei wieder nach der andern Seite, wo Lora, die spöttelnde Erwiderung ganz anders nehmend und über die ihr nun selbst einleuchtende Tactlosigkeit ihres verletzenden Ausfalls erröthend, auf eine ausgleichende Wendung sann.

Endlich aber kam es halb im Ernst, halb im verlegenen Lachen über ihre Lippen geplatzt.

„Hab' ich etwas Dummes gesagt? Ach, ich bin doch noch ein recht kleines Mädchen! Schlimm war's gewiß nicht gemeint. Ich wollte die Soldaten wahrlich nicht in eine Linie stellen mit – mit Kunstreitern und –“

„Jockeys.“

„Nun ja. Ich habe ja auch einen Bruder, der Soldat ist, und wenn ich ein Mann geworden wäre, ich hätte mir selber nichts Schöneres wünschen mögen, als Soldat zu werden. Nein, Herr Rittmeister, es ist nur so einfältig herausgekommen. Bitte, nehmen Sie mir's nicht übel!“

Und wie ein Verzeihung erschmeichelndes Kind hielt sie die Hand hin, in welche einzuschlagen sich Steinweg nicht zum zweiten Male auffordern ließ. Wer hätte einer so hübschen reumüthigen Büßerin die Absolution auch vorenthalten wollen, selbst wenn sie sich weit schwerer vergangen hätte?

„Von mir aus sind Sie freigesprochen,“ antwortete er scherzend. „Ich kann gegen eine Dame weder einen Proceß führen, noch Genugthuung von ihr verlangen.“

„Das Letztere würde ich Ihnen auch nicht gerathen haben,“ war Lora schon flugs wieder mit ihrer früheren Munterkeit bei der Hand, „das müßte ein Duell auf Nadeln geben, und in deren Führung sind wir die Meister.“

„Doch halt!“ fiel er ein, indem er die entschlüpfende Hand zu bleiben zwang. „Im Namen der Armee kann ich nicht so nachsichtig sein. Ein Kriegsgericht muß aussprechen, welche Sühne Sie ihr schulden.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_203.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)