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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Lebens- und Wachsthumsbedingungen der Pflanze zur Geltung zu bringen, so gilt das nicht minder bezüglich der thierischen und pflanzlichen Parasiten, die in immer steigender Zahl die Früchte bedrohen. Mit Hülfe des Mikroskops hat die Wissenschaft so manche Krankheitserscheinung erklärt, so manchen Schmarotzer entlarvt und, was mehr sagen will, deren Entwickelung und Fortpflanzung klar gelegt.

Keinen geringeren Gewinn als der Ackerbau hat der andere Zweig der landwirthschaftlichen Production, die Thierzucht, aus den Fortschritten der Wissenschaft gezogen. Schon Thaer hatte auch auf diesem Gebiete ganz erhebliche Verbesserungen eingeführt. Insbesondere hatte er in richtiger Erkenntniß, daß es weniger auf die Kopfzahl des Viehstandes, als auf die gute Haltung ankomme, eine bessere Ernährung desselben angestrebt. Er hatte dafür gewisse Normen aufgestellt, den Futterbedarf nach dem Lebensgewichte der Thiere berechnet und den Nährwerth der verschiedenen Futtermittel, unter Zugrundelegung eines einheitlichen Werthmessers, des Wiesenheus, festzustellen gesucht. Die moderne Wissenschaft hat aber auch an dieser Stelle Manches zu berichtigen gefunden. Man unterscheidet heute schärfer noch zwischen Erhaltungs- und Productionsfutter, und setzt letzteres, welches allein Leistungen zu schaffen vermag, in directe Beziehung und in ein angemessenes Verhältniß zu diesen Leistungen. Die sogenannten Respirationsapparate, in welchen man die Ernährungsvorzüge controlirt, haben über die Verwerthung des Futters mehr Aufschluß gegeben als früher überhaupt denkbar erscheinen konnte. In den Stand gesetzt, die ganze Ernährung und alle Vorgänge bei der Verdauung und Athmung durch die Ausscheidungen – feste, flüssige und gasförmige – zu überwachen, hat man jene einheitlichen Heuwerthe der Thaer’schen Schule verwerfen müssen.


Das landwirthschaftliche Institut der Universität Leipzig.


Man zerlegt heute die Trockensubstanz eines Futtermittels in verdauliche und unverdauliche Theile. Letztere haben nur, indem sie die Verdauungsorgane füllen, einigen Nutzen. Jene, die eigentlich ernährenden, zerfallen wieder in mehrere Gruppen von sehr verschiedenem physiologischem Werthe. Man unterscheidet Proteïnstoffe, früher auch als plastische bezeichnet, weil sie es sind, welche vorzüglich den Körper aufbauen, ferner Kohlenhydrate und Fett, die man als Respirationsmittel zusammenfaßte, weil sie speciell den Athmungsproceß stützen sollten. Zu einer guten Ernährung gehört in jeder Futterration eine gewisse Menge von Nährstoffen, bei denen wieder jede jener Gruppen vertreten sein muß. Jede Thiergattung, jeder Nutzungszweck, vielleicht jedes Individuum vermöge seines eigenthümlichen Organismus, verlangt ein besonderes Nährstoffverhältniß, wenn eine recht wirthschaftliche Ausnutzung des Futters erzielt werden soll.

Viel, sehr viel hat dadurch die Landwirthschaft nutzbarer anzuwenden und zu ersparen vermocht, und ebenso in anderer Richtung durch die bessere, den jeweiligen Nutzungszwecken mehr entsprechende Auswahl der Rassen. Man hat die Paarung dem Zufall entzogen, überhaupt auch innerhalb der Rasse nur solche Thiere zur Zucht verwendet, welche den beabsichtigten Leistungen entsprechen. Man hat die Züchtungskunst von einer Menge Charlatanerien befreit, nachdem die Wissenschaft manche wunderbare Vorstellungen dahin verwiesen, wohin sie gehörten: in das Reich der Fabel.

Endlich ist noch hervorzuheben, daß ein neuer Zweig des Wissens für die moderne Landwirthschaft mit der Nationalökonomie zur Geltung gekommen ist. Sie hat als Grund- und Hülfswissenschaft eine nicht minder große Bedeutung erlangt, wie die Naturwissenschaften. Während diese Aufschluß geben über die Kräfte der Natur und die Gesetze, nach welchen sie wirken, giebt jene Kenntniß von den wirthschaftlichen Gesetzen der Gütererzeugung und Consumtion, des Verkehrs, der Entwickelung der Preise und des Ertrages. Jeder Landbesitz erfordert jetzt seine besonders gestaltete Ordnung und Leitung; eine schablonenhafte Organisation ist unmöglich oder doch ganz unwirthschaftlich geworden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_209.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)