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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ja, liebe verehrte Frau,“ sagte er; „so steht’s: es ist und bleibt ein armer Krüppel, dem Sie Ihr Wohlwollen geschenkt. Das darf Sie aber nicht trübe stimmen, besonders heute nicht, wo wir zu guter Letzt nur Freundliches zu Worte kommen lassen wollen.“

„Was mich bekümmert, ist weniger Ihr Zustand selbst – weiß ich doch, mit welcher Beherrschung Sie ihn zu tragen wissen,“ entgegnete ich bewegt; „daß Sie aber bei solchem Zustand so vereinsamt leben, erscheint mir allzu traurig. Ich, meiner Glieder mächtig, jede Freiheit genießend, kehre jetzt in den Kreis meiner Lieben zurück, und Sie – weiß ich – Alles entbehrend.“

„Nicht so sehr vielleicht, wie Sie glauben! Mein alter Joseph ist so viel werth, wie eine ganze Familie.“

„Frauenpflege und -Nähe wäre doch noch mehr werth. Ein Wesen an Ihrer Seite, dem das Recht, die Pflicht zustände, Ihnen, was Sie entbehren, zu ersetzen – wie tröstlich wäre das! Und gewiß könnte dies Ihr Theil sein. An Herzen, welche Sie sich gewannen, wird es nicht gefehlt haben.“

Eine feine Röthe stieg zu seinen Schläfen empor; sein lächelndes Gesicht wurde plötzlich ernst.

„Sie halten es für so leicht, ein Herz zu gewinnen?“ sagte er. „In dem Sinne, daß es dauernde Gabe wird, zu jedem Opfer bereit? O, verehrte Frau! Mir scheint nichts seltener und schwerer, als das Herz auch nur eines einzigen Menschen so zu gewinnen. Und dennoch –“

Er brach ab; ein sonnenheller Strahl drang aus seinem Auge.

„Eines war mein.“

Ich schwieg; seine Seele war im Begriffe, sich aufzuthun, kein Laut sollte sie stören.

„Sie rühmten mich zuweilen als Stoiker oder guten Christen,“ sprach er weiter, „weil ich, statt fruchtlose Klagelieder zu singen, mich lieber jeder freundlichen Stunde freue. Eigentlich hätte mich dieses Lob beschämen müssen. Ersparen Sie mir das Bekenntniß, in welchem Maße sich zu Anfang Alles in mir gegen den Spruch des Schicksals bäumte! Der Contrast war zu grell – es bedarf keines Ausmalens; die Lage, in welcher mich mein Loos traf, die, in welche es mich versetzte, sprechen für sich selbst. Noch war mein Denken, mein Charakter damals nicht fertig. Es ist unmöglich, zwischen den Coulissen von Schlacken frei zu bleiben; das Selbstbewußtsein mischt sich in Alles, will Anderes zur Erscheinung bringen, als nur das Göttliche, und wird durch mancherlei Einflüsse gerade in dem Punkte abgenutzt, auf welchem der Werth des Künstlers beruht. Heute beschämt mich die uralte Wahrheit, daß ich den Menschen abgeneigt wurde, weil mir verwehrt war, sie ferner in Enthusiasmus zu versetzen; damals machte ich mir das nicht klar, sondern überließ mich nur dem Hange bitterster Stimmung. Es handelte sich darum, einen Entschluß für künftiges Verweilen zu fassen. In der Stadt zu bleiben, war mir zuwider; umherzureisen stand außer Frage; ein dauernder Aufenthalt auf dem Lande versprach nur dann häusliches Behagen, wenn ich mir eigene Einrichtung beschaffte, und der bloße Gedanke an Dergleichen belästigte mich damals. Wohin also mit mir?

Die Frage wurde einmal in Gegenwart eines mir nicht unsympathischen Cavaliers des Fürsten erörtert, an dessen Hofbühne mich mein Schicksal betroffen. Baron F. mochte demselben über meine Mißstimmung und deren äußerliche Seite berichtet haben. In Folge dessen ließ mir der Fürst, welcher mir seit dem Unfalle seine Wohlgewogenheit mehrfach an den Tag gelegt, die Benutzung der Parterrezimmer eines ihm gehörigen, isolirt gelegenen Schlößchens anbieten. Dasselbe, eigentlich nur eine Villa, befand sich auf der Insel eines schönen Landsees, welche der Lieblingsaufenthalt der erst im Jahre zuvor verstorbenen Prinzessin Theodora, des Fürsten jüngster Tochter, gewesen war. Er hatte sich seitdem nicht mehr entschließen mögen, den Ort zu betreten, noch ihn von Anderen besucht zu wissen. An das Publicum, welchem die Insel stets zugänglich gewesen war, wenn sich die Herrschaften nicht gerade dort aufhielten, wurden keine Erlaubnißkarten mehr ausgetheilt. Ich verdankte die Gunst, welche mir der Fürst erwies, zum Theil dem Umstande, daß Prinzessin Theodora sich an meinem Gesange besonders erfreut hatte; dies deutete der Baron an, als er mir das freundliche Anerbieten brachte, welches ich gern und dankbar annahm. Die Insel war mir als eines der schönsten Fleckchen Erde bekannt; zu meiner persönlichen Pflege bedurfte ich nur Joseph’s, und die materiellen Lebensbedürfnis konnten vom Gärtnerhause aus beschafft werden.

Da der Mai schon in’s Land gekommen, rüstete ich mich sogleich zur Uebersiedelung. Mein Zustand machte es mir unmöglich dem Fürsten persönlich zu danken; ich that es schriftlich und wurde durch eine Antwortzeile ausgezeichnet, deren Schlußworte mich wohl neugierig gemacht haben würden, wäre ich in der Stimmung gewesen, mich für Räthsel zu interessiren.

‚Erholen Sie sich,‘ lautete der Satz, ‚und grüßen Sie mir das Frühlingsblümchen!‘“

(Fortsetzung folgt.)




Ein geographisches Jubiläum.
Von A. Woldt.

„Rastlos nach dem unerforschten Innern der Kontinente wandert der Mensch, trotz Seuche und Gefahr; furchtlos ob der starren Natur, durchbricht er die Geheimnisse der ewig eisumgürteten Pole des Erdballs; die höchsten Gipfel der himmelanstrebenden Gebirge muß er ermessen und mit seinem meilenlangen Senkblei den tiefsten Grund des Meeres erfassen. Die Phänomene der Luft, der Fluth, das Innere seiner Erde muß er ergründen und auf ihre einfachen Naturgesetze reduciren, des gelben weltregierenden Metalles verborgene Schlupfwinkel prophetisch verkünden und die naturgerechten Stätten der ihm unentbehrlichen Pflanzen und Thiere in Gürtellinien um die Erde legen. Das ist das Reich der heutigen geographischen Wissenschaft, eine wunderbare große Welt des menschlichen Wissens, von der es unseren Vorvätern kaum geahnt ...“

Es sind jetzt gerade fünfundzwanzig Jahre verflossen, als der geniale Geograph und Kartograph Dr. August Petermann mit diesen einleitenden Worten die nunmehr so berühmten „Mittheilungen aus J. Perthes’ geographischer Anstalt“ in Gotha in’s Leben rief.

Noch nicht dreiunddreißig Jahre alt, hatte Petermann bereits damals eine auf dem Gebiete der Kartographie und Geographie reiche Vergangenheit hinter sich. In seltener Weise vereinigte sich bei ihm, dem Sohn armer Eltern, schon in der Jugend ein hervorragendes technisches Geschick und ein durchdringender, rastlos strebender Geist. Mit siebenzehn Jahren in die geographische Kunstschule des Dr. Hermann Berghaus eingetreten, mit dreiundzwanzig Jahren auf seines Freundes, des heute in Berlin lebenden hochgeachteten Dr. Henry Lange, Empfehlung nach Edinburg in die große geographische Anstalt von Johnston berufen, von dort, nach neunjähriger ungemein fruchtbarer Thätigkeit im Jahre 1855 einem Rufe nach Gotha zu Justus Perthes folgend, hatte dieser weitschauende unermüdliche Mann alsbald nach seiner Rückkehr nach Deutschland den Plan zur Herausgabe einer Fortsetzung des geographischen Jahrbuches von Heinrich Berghaus gefaßt, welches die Bezeichnung „Petermann’s geographisches Jahrbuch“ tragen sollte.

Da schlug ein Geschäftsgehülfe vor, anstatt eines Jahrbuches zwanglose Hefte unter dem Titel „Geographische Mittheilungen“ zu geben, und dieser Gedanke zündete bei Petermann so, daß das am Abend Besprochene schon am nächsten Tage in Form eines von Bernhard Perthes genehmigten Programmes vorlag. So entstanden die „Mittheilungen“, deren erstes Monatsheft nach einer handschriftlichen Notiz Petermann’s am 16. März 1855 fertig geworden ist.

Gleich vom ersten Moment an strebte die neue Zeitschrift dem großen Ziele zu, nicht nur die bedeutendste, die geographischen Forschungen und Entdeckungen am schnellsten und vollständigsten wiedergebende Publication zu sein, sondern sich auch vor allen anderen durch eine Fülle sorgfältig bearbeiteter und sauber ausgeführter Karten auszuzeichnen. Hierbei verstand es Petermann vortrefflich, die zahlreichen persönlichen Beziehungen, welche er mit den meisten geographischen Forschern, Reisenden und Gelehrten mündlich oder brieflich angeknüpft hatte, mitwirken zu lassen und das Material fast stets in erster Linie direct zu erhalten. Gleichzeitig glückte es ihm aber auch, diejenigen Hülfskräfte zu finden, mit denen sich die mühevolle schwere Arbeit der Herstellung der Zeitschrift erledigen ließ.

Fast vom ersten Augenblicke des Erscheinens der „Mittheilungen“ an haben die beiden Männer, welche wir heute an der Spitze des Unternehmens stehen sehen, diesem ihre Thätigkeit gewidmet. Vor Allen ist es Ernst Behm, der, nur acht Jahre jünger als Petermann, schon seit dem Beginn des Jahres 1856 die Redaction des Textes der „Mittheilungen“ übernahm, ein Mann von strengster Pflichterfüllung, unermüdlichem Fleiße und eminentem Wissen. Seiner riesigen und ausdauernden Arbeitskraft, derzufolge er reichlich die Hälfte des Textes der sämmtlichen fünfundzwanzig stattlichen bisher erschienenen Jahrgänge geschrieben hat, ist es vornehmlich zuzuschreiben, daß die Riesenaufgabe der Zeitschrift, zu deren Lösung unter anderen Umständen ein ganzes Personal gehört haben würde, scheinbar so spielend ausgeführt wurde.

Der zweite ist der Kartograph Bruno Hassenstein, dessen Thätigkeit als fünfzehnjähriger Lehrling und Hülfszeichner Petermann’s mit der Gründung der „Mittheilungen“ begann, und dem seit Petermann’s Tode, im Jahre 1879, die Herstellung der Karten für die „Mittheilungen“ übertragen wurde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_214.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2022)