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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


war. Und wer sollte denn an einem so schönen Tage nicht fröhlich sein? Schien doch die Sonne so hell, war doch der Himmel so blau und der Frühling so grün, die Luft so duftig und der Fluß so eilig. Man bekam selber Lust zu singen und zu hüpfen.

„So mach doch kein so fürchterlich ernstes Gesicht und höre einmal mit dem langweiligen Haus auf! Du wohnst ja drin, kannst es Dir alle Tage ansehen – was brauchst Du's denn noch gemalt?“ rief Lora ungeduldig der Schwester zu.

„Was man liebt, besitzt man nie genug,“ entgegnete Lisa, ohne sich stören zu lassen.

„Liebst Du denn etwas? Ich meine so recht von Herzen.“

Da hierauf keine Antwort erfolgte, lag mit einem Male der Strauß auf dem Blatte.

Aengstlich, ob die Farben auch nicht verwischt seien, hob Lisa die Blumen hinweg. Sie hatte einen kleinen Ausruf des Unwillens ausgestoßen. Nun aber schüttelte sie lächelnd den Kopf, da sie sah, daß ihre Arbeit unversehrt geblieben, und halb wieder versöhnt, sagte sie:

„Du bist ja heute ganz übermüthig. Was freut Dich denn so sehr?“

„Alles! Das Leben.“

In einem so vollen Jubeltone aus tiefer Brust kam das über die frischen Lippen, daß es Lisa mächtig ergriff.

„Du Glückliche!“ sagte sie seufzend.

„So glücklich kannst Du auch sein. Grund genug zur Freude giebt es ja, wo man hinsieht.“

„Mit jungen frohen Augen.“

„Ah, die Deinen sind schon furchtbar alt. Arme Alte!“ Sie lachte hell auf, um dann mit der Miene einer Protectorin fortzufahren: „Den Frohsinn aber verscheuchst Du selbst. Ist das eine Miene für einen Tag wie der heutige? Singe, lache, tanze! Kommt nicht Witold heim? Ist das nicht schon Grund, sich zu freuen? da, da – das zum Schmuck! Ah, wie prächtig es Dir zu Deinem Haare und Teint steht!“

Der kleine Zweig mit hellrothen Pyrusblüthen, den sie ihrer Schwester in's aufgenommene dunkle Haar gesteckt, bildete in der That einen hübschen Gegensatz zu dem matten Weiß des feinen Gesichtchens, das ein leises Lächeln jetzt noch mit anmuthsvoller Wärme beleble. Dabei glitt aber doch ein forschender Blick zu Lora hinüber.

„Blumen und Freude kommen zu früh für solchen Zweck. Lomeda kommt ja, wie er der Tante schrieb, frühestens heute Abend, wahrscheinlich aber erst morgen zurück.“

„Nun, so freue Dich über etwas Anderes. 'Immer alerte!' wie Steinweg sagt.“

„Vielleicht soll ich mich mit Dir über – oder vielmehr auf Steinweg freuen?“ suchte Lisa die Schwester zu necken. Diese aber lachte so laut und anhaltend, als ob etwas ungeheuer Drolliges gesagt worden wäre.

„Da bist Du wirklich auf dem – 'Steinweg'!“ rief sie, den Strauß, dessen Symmetrie durch die Entfernung des Pyruszweiges etwas gestört war, mit großem Eifer auf's Neue ordnend. „Wie Du nur darauf kommen magst?“

„Nun, Du beschäftigst Dich doch häufig mit ihm.“

„Ich glaube es schon, wenn Ihr ihn mir auf dem Halse laßt,“ fiel Lora verdrießlich die Achseln zuckend ein.

Ihre Schwester mußte schweigen, denn sie konnte ihr nicht Unrecht geben. Jedesmal, so oft Rittmeister Steinweg seinen Besuch erneuerte – und es war noch keine Woche vergangen, ohne daß er einmal nach Riefling getrabt kam – war Lisa für ihn unsichtbar geblieben. Das eine Mal hieß es, sie sei bei der alten kranken Rasenbäuerin im Dorfe, das andere Mal war sie selber unwohl – ein Vorwand hatte nie gefehlt. Ein einziges Mal nur war sie ihm aus der Rückkehr von einem größeren Spaziergange mit Gretchen in dem Augenblicke begegnet, wo er eben wieder fortritt. Da aber auch andere Leute des Weges kamen, so war es bei wenigen Worten geblieben.

„Warum weichen Sie mir aus, Elise?“ hatte er, sein Pferd anhaltend, gefragt, indem er Miene machte, abzusteigen, was er aber auf ihren abwehrenden Wink dann unterließ.

„Weil ich kein Mittel habe, Sie zum Wegbleiben zu zwingen, da mein deutlich ausgesprochener Wunsch Sie nicht dazu bewegt.“

„Ach, Sie fürchten sich.“

„Nein,“ hatte sie fest und ruhig geantwortet.

„Nun denn, auch ich fürchte mich nicht, und ich werde es darauf ankommen lassen, daß mir Herr von Lomeda selbst das Haus verbietet, das viel zu viel Angenehmes hat, um es freiwillig zu meiden.“

Mit diesen trotzigen Worten war er höflich grüßend davongeritten, indem er sie in dem peinlichen Gefühle zurückgelassen, daß sie thatsächlich kein Mittel besaß, ihm das Wiederkommen zu verwehren. Eines hätte es allerdings gegeben, das nämlich: sich an ihren Gatten zu wenden, dann aber mußte sie ihm die Gründe angeben, welche ihr die Ausweisung des aufdringlichen Gastes wünschenswerth machten, und welchen Ausgang ein Zusammentreffen der beiden Männer dann hatte, war kaum zweifelhaft. Einen solchen aber konnte sie doch unmöglich herbeiführen wollen. Ergriff sie jedoch ein anderes Auskunftsmittel und machte sie ihren Mann auf den bedenklichen Verkehr des jungen Officiers mit ihrer Schwester aufmerksam, so leitete sie nur eine Erklärung ein, die Steinweg gewissenlos dazu mißbrauchen konnte, sich erst recht für die nächste Zeit den Zutritt zu sichern. Hatte er ja eben jetzt erst eine Anspielung fallen lassen, die wohl darauf berechnet gewesen war, ihre Eifersucht zu erregen – wie wenig kannte er ihre Empfindungen! Ebenso konnte er ihrem Manne gegenüber eine Zeit lang die Rolle eines Werbers oder Bräutigams spielen – um unter diesem Deckmantel seine Pläne weiter zu verfolgen.

„Aber warum nur spielen? fuhr es ihr plötzlich durch den Kopf, und von da ab wandte sie den Gedanken um und um und beobachtete Lora schärfer.

Eigenthümlich war es, daß der beinahe mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehrende Besucher auch dem Herrn des Hauses fast nie oder nur flüchtig begegnete. Witold war seit jenem ersten Zusammentreffen, das eine schwere Wolke auf seiner Stirn zurückließ, überhaupt viel abwesend, in Feld und Wald, in eigenen und bald auch, als die innere Unruhe bei ihm zunahm und ihn rastlos umhertrieb, in fremden Angelegenheiten, die er sich halb erbeten, halb freiwillig aufgeladen. Glücklicher Weise hatte der alte Verwalter seine Stelle noch nicht geräumt, und so litt wenigstens die Bewirthschaftung des Gutes nicht unter den gerade in einer Jahreszeit, wo es für den Landmann so viel zu thun giebt, wiederholt unternommenen Reisen nach der Hauptstadt und, wie es eben jetzt wieder der Fall war, nach Sternberg.

War Steinweg vermieden von den Einen, so war er nur um so lieber gesehen von den Anderen im Hause. Besonders die Tante hatte an seinem gewandten und liebenswürdigen Benehmen, wie an seiner ehrfurchtsvollen Galanterie, welche er der älteren Dame widmete, großen Gefallen gefunden und den jungen, hübschen, eleganten und – was bei ihr nicht Nebensache war – auch wohlhabenden Reiterofficier in's Herz geschlossen. Ein solch frohmüthiger Husar war auch ihr jüngster Bruder gewesen.

Sie selbst war es, die ihn zur Wiederkehr aufmunterte, und auf Lora's harmlosen Vorschlag, der sich nur so beiläufig einmal im Gespräche ergab, hatte sie es sogar für passend gefunden, den immer nur auf ein, zwei Nachmittagsstunden einkehrenden Gast für nächsten Sonntag auch einmal zum Mittagstische einzuladen.

Auf diesen gehörte nun freilich selbstverständlich der Schmuck der ersten Frühlingsblumen, und daß Lora es sich so lebhaft angelegen sein ließ, ihn zu beschaffen, hatte ihrer Schwester Anlaß zu der Neckerei gegeben, welcher – auch wenn Lisa es sich nicht eingestand – die Absicht zu Grunde lag, die Andere auszuhorchen, und welche nun jene ernstlich aussehende Kundgebung abwehrenden Verdrusses hervorrief.

Lora sprach sogar recht abfällig über Steinweg, indem sie ihn zwar nicht, wie nach seinem ersten Auftreten, verspottete, doch aber seine Eigenschaften in ziemlich unparteiischer Weise Revue passiren ließ und sie dabei eher unter als über dem Werthe anschrieb. Einige Male hatte Lisa selbst ernste Einwendungen gegen solche Geringschätzung und gab sich Mühe, ihre Schwester zu einer gerechtern Würdigung zu bekehren, vielleicht sogar gegen ihre eigene Ueberzeugung.

„Ei!“ sagte Lora, nach einer Weile listig lächelnd, „so ist es denn wahr: 'alte Liebe rostet nicht'. Du hast ja noch recht viel Interesse für Deinen einstigen Verehrer.“

„Was sprichst Du da?“ fuhr Lisa betreten auf.

„Nur nicht geleugnet, Schwesterchen! Unter uns, so ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_219.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)