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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

nahm der Ausdruck „gawk“ auch die Bedeutung „Geck“ an. In Schottland hat sich dieses Kukuksjagen bis auf den heutigen Tag erhalten; nur wird öfters – nach der üblichen Auffassung „in Ermangelung eines wirklichen Kukuks“ – ein Mann dazu erkoren und gejagt.

In Frankreich schickt man gleichfalls noch heute den Narren in den April, was der Franzose, wie bemerkt, „donner un poisson d’avril“ nennt. Dieser Aprilfisch ist freilich kein anderer als der im Canal so häufig vorkommende Maifisch. Bekanntlich aber waren die Fische der Liebesgöttin Venus geweiht, die zugleich auch Göttin des Monats April war, in welchem ja Alles in der Natur zu neuem Leben keimt und sprießt.

Ueber den Ursprung dieser Sitte ist viel gestritten worden. Unzulässig ist ihre späte Ableitung aus der kirchlichen Ueberlieferung der Leidensgeschichte Christi, wonach sie das Herumschicken des Letzteren „von Pontius zu Pilatus“ abbilden solle, unwahrscheinlich der Einfall, daß sie der Unbeständigkeit des sprüchwörtlichen „Aprilwetters“ ihren Ursprung verdanke. Nach Jacob Grimm kennt das germanische Alterthum die Sitte gar nicht; dieselbe wäre vielmehr aus Frankreich in Deutschland eingewandert, und es steht zu vermuthen, daß sie keltischen Ursprungs, wohl der Rest einer keltischen Frühlingsfeier ist, welche, wie alle heidnischen Frühlingsfeste, der Ausdruck überschäumender Lustigkeit war. Vielleicht kommt man der Sache noch genauer auf den Grund, wenn man einen Zug in Erwägung zieht, der für alle Frühlingsfeste vorzugsweise charakteristisch ist: die Symbolisirung des Winters durch irgend eine bestimmte Figur, welcher sehr übel mitgespielt, welche im Kampfe besiegt, verspottet, vernichtet, oder aber verstoßen und verjagt wird. Es liegt nahe zu vermuthen, daß jener verjagte „Geck“, welchen man am ersten April „schicken kann wohin man will“, mit dem Winter zusammenhängt. Nebenbei bemerkt, dürfte auch unserer Redensart „Jemanden zum (das heißt als) Kukuk schicken“ die oben von Schottland berichtete Form des Wintervertreibens zu Grunde liegen und das Wort „gawk“ in Bezug auf seine Herkunft noch genauerer Erwägung werth sein.




Friedrich Harkort. Seit längerer Zeit schon mußten wir, dem Laufe der Natur gemäß, auf den Verlust des Hochbetagten gefaßt sein. Als aber am 7. März der Telegraph die Kunde brachte, daß er am vorhergehenden Tage für immer entschlafen sei, da haben doch unzählige Häupter sich trauernd geneigt, und es ist ein Gefühl ehrfurchtsvoller Ergriffenheit durch Tausende von Herzen gegangen Weit und breit in Deutschland kannte man den Werth des seltenen Mannes und die Art seines Verdienstes und seiner Bedeutung. Lag sie doch in Charakterzügen, die Jedermann verständlich sind, in der Schlichtheit und makellosen Reinheit seines Sinnes und Wandels, in der stolzen Festigkeit seines Bürgersinnes und seiner Vaterlandsliebe, in seinem unerschütterlichen Glauben an die Erlösungsaufgaben des Jahrhunderts, an den Segen der Freiheit, der Humanität und des Volksrechts, besonders aber in der muthvollen und unentwegten Hingebung, mit der er fort und fort für diesen Glauben gekämpft und ihn nach allen Seiten hin durch Wort und Werk bethätigt hat.

Und mit diesen Eigenschaften ist er in einem Moment dahin gegangen, wo nach einer kurzen Zeit volksthümlichen Aufschwunges der Schwarm wohlbekannter Rückwärtsdränger wiederum zur Macht gekommen, wo sie mit stark vordringender Kraftanstrengung ihre unterbrochene Hemmungsarbeit von Neuem begonnen haben und ein erheblicher Theil des zeitweilig kampfesmüde gewordenen Bürgerthums noch verblüfft, verwirrt und unschlüssig dieser verhängnißvollen Wendung gegenübersteht. In einem solchen Zeitpunkte bedrohlicher Vorgänge und dumpfer Stimmungen ist es ein doppelt harter Schlag für den liberalen Kern der Nation, wenn ihm freisinnige Führer von so eindrucksvoller Macht und Wärme der politischen und sittlichen Ueberzeugung abhanden kommen, wie sie Harkort und einige seiner im Tode ihm vorausgegangenen Kampfgenossen in früheren ähnlichen Perioden reactionärer Verdüsterung bewahrt haben.

Die „Gartenlaube“ kann es sich als ein Verdienst anrechnen, daß sie stets beflissen gewesen ist, das Andenken großer Helden und Märtyrer des Befreiungsringens durch zusammenfassende Schilderungen ihres Lebens und Charakters im Gedächtniß der Zeitgenossen lebendig zu erhalten. Auch von dem alten Harkort oder dem „alten Fritz Westfalens“, wie der Volksmund ihn nannte, hat sie ihren Lesern wiederholt erzählt, auch sein Bildniß ihnen vorgeführt, da er noch lebte und sein Tag sich zum Abend neigte (Jahrgang 1870, Nr. 2 und 1877, Nr. 7). Aus diesen Artikeln werden Viele sich noch erinnern, daß der jetzt Verstorbene schon unter Blücher in den Schlachten des Befreiungskrieges gefochten und mit dem Schmuck des Eisernen Kreuzes aus demselben zurückgekehrt ist, erfüllt aber mit dem Geiste Arndt’s und Körner’s, das heißt nicht als ein Duckmäuser und liebedienerischer Parteigänger der Gewaltigen, wie viele seiner Kriegscameraden.

Alsbald begann er sodann im Frieden auch die Arbeit des Friedens, seine großartige und geniale Industriethätigkeit, immer seiner Zeit voraus, wo es sich um sichere Erkenntniß, um rechtzeitige Benutzung und Einführung von großen Fortschritten des Erfindungsgeistes, z. B. des Dampfes, für Verkehr und Gewerbe handelte. Was Westfalen und die Rheinprovinz und von hier aus ganz Deutschland ihm in dieser Hinsicht zu danken haben, ist anerkannt. Zugleich richtete sich seine Fürsorge auch auf die Lage seiner Arbeiter, schon lange vor dem Heraufsteigen der „socialen Frage“ am politischen Horizont. Wunderbar ist es zu sehen, mit welcher Sicherheit der einzelne Mann schon damals die kranken Punkte in dem Leben der noch ganz passiv sich verhaltenden Fabrikarbeiter erkannte und in seinem Bereiche der Entwickelung schlimmer Verhältnisse durch Förderung von Unterricht und Bildung, durch wirksame Anregung der Association und besonders durch das Bemühen vorzubeugen suchte, jeden Arbeiter möglichst zum unabhängigen Besitzer eines Fleckchens Erde zu machen, in dessen Mitte sein Häuschen stand. Wären nach dieser Seite hin nicht bis heute die meisten Fabrikherren hinter ihm zurückgeblieben so hätte die social-demokratische Unterwühlung niemals eine so furchtbare Macht und Ausdehnung gewinnen können.

Harkort liebte das Volk und hatte auch in den Tagen des vormärzlichen absolutistischen Polizeistaats schon erkannt, daß aus diesem herrischen, alles freie Regen und Bewegen niederhaltenden Zwangs- und Bevormundungsregiment ein wahres Glück der Gesammtheit nicht erblühen könne. Darum sehen wir ihn sofort nach dem Ausbruche der Revolution von 1848 hervorragend in den öffentlichen Bewegungen stehen. Aber der Gang der Dinge sagte ihm zunächst nicht zu. Sein nüchterner Sinn verstand das rasche Ueberschäumen des jungen Freiheitsrausches nicht, und sein energischer Widerspruch dagegen ließ ihn als einen grämlichen Reactionär erscheinen. Wenn aber die Reaction ihn deshalb zu den Ihrigen zählte und auf die weitere Unterstützung dieser gewichtigen Persönlichkeit hoffte, so befand sie sich in einem starken Irrthum. Sein Streben hatte nichts gemein mit den Sonderinteressen und Absichten geistlicher und weltlicher Vorrechtskasten. So wie sie die erlangte Niederwerfung der Volksbewegung zur Durchsetzung ihrer Ansprüche, zur Herabdrückung des öffentlichen Geistes und seiner freien Entwickelung benutzten, finden wir auch Harkort inner- und außerhalb der Volksvertretung in den vordersten Reihen ihrer entschiedensten und erbittertsten Feinde. Für all sein Wirken kam ihm ein besonderes Talent zu Statten: er war ein Volksschriftsteller von Gottes Gnaden, und Unerreichtes hat er namentlich im Genre der kleinen Flugschrift geleistet durch die Klarheit seiner Urtheile, durch die Schärfe seiner Gründe, die geist- und herzbewegende Gewalt seiner Gedanken, für die er stets das gemeinverständliche Wort, den natürlichen Ton, den kernigsten und treffendsten Ausdruck fand.

Von dieser fast dämonischen und von ihm nur sparsam angewendeten Gabe machte er in der Schreckenszeit der fünfziger Jahre den vollsten Gebrauch. Als das Ministerium Manteuffel-Raumer-Westphalen in innigem Bunde mit der undeutschen junkerlich-clericalen Partei allgewaltig das Ruder des Staates führte und unaufhaltsam von Sieg zu Sieg schritt, da sandte Harkort 1851 wider dieses Beginnen seinen denkwürdigen „Bürger- und Bauernbrief“ in das Volk, der in jenen Tagen der Herabdrückung und Einschüchterung einen geradezu aufrüttelnden Eindruck machte, gegen welchen die angegriffenen Gewalten keinen andern Rath wußten, als daß sie den hochangesehenen Abgeordneten und Ritter des Eisernen Kreuzes auf die Bank der Angeklagten brachten. Mit solchen Mitteln aber war ein Harkort eben so wenig abzuschrecken, wie seine tapferen Mitstreiter. Wußte er doch, daß er nur zu hellem und offenem Ausdruck gebracht hatte, was dunkel und unausgesprochen Hunderttausende von Gemüthern bewegte.

Es erschien von ihm also 1852 ein zweiter, nicht minder eindringlicher „Bürger- und Bauernbrief“, sowie der gleichfalls berühmt gewordene „Wahlkatechismus“, und alle diese kleinen Manifeste haben in nachdrücklichster Weise dazu beigetragen, den Volkssinn vor Versumpfung zu bewahren und ihn frisch und wachsam zu erhalten für den Tag, wo mit Eintritt einer neuen Aera jene Herrschaft engherziger Finsterlinge ihr Ende fand. Harkort, der von 1848 bis 1872 der preußischen Volksvertretung angehörte, ging in mancher einzelnen Frage seine eigenen Wege. Ueberblickt man aber seine gesammte öffentliche Laufbahn, so weiß man, daß er bis zu seinem letzten Augenblicke als einer der unbeugsamsten Kämpfer auf der Seite des Fortschritts und der Freiheit, des Lichtes und der Menschlichkeit gestanden hat. Unvergeßlich wird namentlich für alle Zeiten sein niemals ermüdendes Wirken für den Unterricht und die Bildung der Jugend, für die Hebung der Schule und des Lehrerstandes bleiben, doppelt erinnerungswürdig im Angesichte der heutigen Umstände, wo die herrschgierigen Dunkelmänner wieder hoffnungsfreudig ihre Hände ausstrecken nach der Unterjochung der Schule und uns soeben von hoher Stelle aus ein Programm erneuerter Angriffe auf die Würde und Selbstständigkeit unseres ehrbaren und pflichtgetreuen Lehrerstandes verkündet wurde.

Gewiß, es ist kein erfreulicher Augenblick deutscher Geschicke, in welchem der liberale Patriarch von Barop als ein Siebenundachtzigjähriger seine Augen geschlossen hat. Gewiß aber ist auch die allenthalben seinem Andenken gewidmete Trauer eine Gewähr, daß die Aussaat seines Lebens nicht verloren gegangen ist. Außerordentlich großartig durch die nach Tausenden zählende Menge der Theilnehmenden, wahrhaft imposant durch die ergriffene Stimmung und Haltung derselben war sein Leichenbegängniß. Aus allen Gegenden Deutschlands waren die Blumen und Lorbeerkränze gekommen, die bergeshoch auf seinem frischen Grabe lagen. Reden wurden, seinem Wunsche gemäß, an demselben nicht gehalten. Aber bezeichnend für die Art des Mannes waren folgende seiner Bestimmungen. Aus einem Baume, den er selber (wohl für den Zweck) in seinem Garten gezogen, wurde sein Sarg gezimmert, mit dem Mantel, den er in den Befreiungskriegen getragen, ward sein Leichnam zugedeckt, auf dem Brautkleid seiner verstorbenen Gattin ruht sein Haupt. So schläft der volksfreundliche Fabrikherr, der wirkungsreiche Volksmann, Volksvertreter und Volksschriftsteller im Erdbegräbniß zu Haus Schede bei Wetter a. d. Ruhr den ewigen Schlaf, im Tode noch ein lebendiges Zeugniß wider jene kleinen und engen Geister, die jetzt den Schwachmüthigen und Gedankenlosen gern das seichte Märchen aufbinden möchten, daß die liberalen Gesinnungen und Einrichtungen ein Quell der Sünde, des wirthschaftlichen und sittlichen Verderbens der Völker seien. Als ein solches Zeugniß sollte das Leben Harkort’s von einem Kundigen ausführlich geschildert werden.

A. Fr.




Beiträge zur Erklärung des Wetterauer Frühlingsliedes. Wir theilten unter „Blätter und Blüthen“ in Nr. 7 dieses Jahrgangs den großentheils unverständlichen Text eines volksthümlichen Tanzliedes mit, welches zu einem österlichen Reigentanz in Langsdorf in der Wetterau bis vor Kurzem noch gesungen wurde, und wir gaben gleich dem Einsender der Vermuthung Raum, damit einen uralten Rest vorchristlichen Volksthums zu den Acten nehmen zu können.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_235.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)