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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


verfolgte sie den Lauf des Bootes, das soeben knapp am Ufer aufwärts getrieben bei ihr vorüberkam.

Eine gute Strecke drüben dem Dorfe zu legten Witold und Peter die Stangen beiseite und griffen zu den Rudern, um nun in die Strömung hinauszuhalten. Auch Steinweg hatte sich anheischig gemacht, zu helfen, doch wurde ihm die Betheiligung von Witold verweigert.

„Wenn Sie Ihrer Sache nicht ganz sicher sind,“ sagte dieser eiskalt, „so könnten Sie unheilbaren Schaden anrichten. Ich muß mir erlauben, mein Hausherrenrecht auszuüben und Sie daran zu verhindern; denn ich stehe für das Wohl und Wehe Derjenigen ein, die sich mir anvertrauen.“

Diesmal war es Steinweg, als müsse er geheimen Sinn aus der Rede heraushören, die von einem so feindselig durchbohrenden Blicke begleitet war und ihm fast wie ein greifbarer Fehdehandschuh zuflog. Er begnügte sich aber, über das Mißtrauen in seine nautischen Kenntnisse scherzend hinweg zu gehen, und da Comtesse Anna bemerkte, Lohengrin rudere auch nicht, so gab er sich zufrieden, diese Rolle weiterzuspielen, welche ihm freilich auch verbot, sich niederzusetzen. Aengstlich und doch zugleich bewundernd sah die Comtesse zu ihm auf, wie er so stolz und aufrecht in dem nunmehr schon recht schnell dahinschießenden Nachen stand und von einer Stange sein Taschentuch flaggen ließ.

Comtesse Anna sang mit dünner, aber ziemlich geübter Stimme das Lied von der „Loreley“; der Graf sah nach einfallenden Enten zwischen dem Schilfe aus und beklagte, kein Gewehr bei sich zu haben, indem er mit numerisch fortwährend wachsendem Erfolge im Geiste seine Schüsse abgab, und die beiden Ruderer setzten, unbekümmert um das Eine wie das Andere, in kräftigem Tacte ein, um bald hinüber zu kommen, da sich weiter stromaufwärts soeben auch die Fähre mit der darauf befindlichen Equipage an der Anfahrtstelle zu lösen begann. Dieselbe war denn auch noch nicht völlig an ihr Ziel gelangt, als der Kahn bereits am jenseitigen Ufer anlegte.

Witold, welcher zuerst an's Land gesprungen, half dem Grafen und seinem Töchterchen aus dem schwankenden Fahrzeuge, und während diese hastig der Anlandestelle der Fähre zuschritten, weil der Graf sah, daß die Pferde unruhig geworden waren, fragte Witold Steinweg, der eben im Begriffe stand, das Boot ebenfalls zu verlassen, ob er hoffen dürfe, ihn am nächsten Morgen zu Hause zu treffen. Die Anrede machte Steinweg stutzen. Es bedurfte nur eines Blickes in diese ihn förmlich durchbohrenden Augen, um ihn zu überzeugen, daß es sich hier um ernste drohende Absichten eines Gegners handelte. Unwillkürlich reimte er auch die frühere doppelsinnige Aeußerung des Barons an die eben ausgesprochene Frage.

Vor wenigen Wochen noch wäre dieser Frage wohl eine trotzbietende höhnende Antwort geworden, jetzt aber machten sich bei Steinweg andere Regungen geltend, und wenn er seine Betretenheit auch nicht ganz verbergen konnte, so klang doch seine Stimme gutmüthig und treuherzig.

„O, Sie kommen nach Moorstädtel?“ sagte er; „dann will ich mich vom Dienste freimachen. Es thäte mir leid, einen Besuch zu versäumen, der mir nur ein Vergnügen sein kann.“

„Wer weiß!“ bemerkte Witold, mit unverhohlenem Sarkasmus. Sein Achselzucken war an und für sich schon eine Beleidigung, doch entging es Steinweg, der in demselben Momente seine Aufmerksamkeit von anderer Seite in Anspruch genommen sah.

Man hörte von der Fähre her Rufen und Schreien; der Graf fluchte; die Comtesse kreischte, und Peter hatte sich schnell im Boote herumgewendet.

„Es triftet ab, es triftet ab,“ rief er bestürzt und deutete auf das breite Fährboot, welches, statt festzulegen, seinen Weg stromabwärts nahm.

(Fortsetzung folgt.)




„Verlorene Kinder des Nils.“
Ein Besuch bei den Papyrusstauden Siciliens.

Der modernen Siracusa sieht man es nicht mehr an, daß sie einst die volkreichste und glänzendste Stadt der griechischen Welt war. Heutzutage hat sie sich ganz auf die Insel Ortygia zurückgezogen, die ehemals nur einen kleinen Stadtteil trug, allerdings einen hochwichtigen, indem sich hier die Akropolis und die vornehmsten Heiligthümer erhoben. Die Ufer des angrenzenden Festlandes, im Alterthum mit glanzvollen Bauten übersäet, liegen jetzt öde und verlassen, ein trostloses Trümmerchaos, aus dem nur noch wenige Säulenreste emporragen. Außer diesen grandiosen Steinmassen aber, die allmählich hier auf Siracusas Aeckern verwittern ist auch eine noch immer in frischer Blüthe stehende Merkwürdigkeit übrig, welche an die Ruhmeszeit der alten Griechenstadt erinnert: die Papyrusstaude, welche in ganz Europa nirgend außer hier, am Gestade der Kyane, wild wächst, nachdem sie seit dem Jahre 1591 aus der Umgebung Palermos verschwunden ist. Vielleicht blühte sie zur Saracenenzeit auch noch an anderen Stätten Siciliens, jedenfalls ist sie in der Folge überall den Gefahren der Zeit und des Klimas erlegen. Schon in der kleinen Inselstadt selbst kann man die merkwürdige Pflanze üppig wuchern sehen, vornehmlich am Quellbecken der einst so gefeierten Nymphe Arethusa, allein die Stauden, welche den genannten Quell umrahmen, sind hier zum Schmuck künstlich angepflanzt, und ähnlich findet man sie wohl auch in anderen Städten Italiens an geschützten Stellen, namentlich in den botanischen Gärten. Wer aber die Pflanze in ihrer Urwüchsigkeit sehen will, muß den südlichsten Winkel der wogenumgürteten Trinakria, die mythenumrauschten Ufer der Kyane aufsuchen.

Die Lust zu diesem als sehr lohnend geschilderten Ausfluge führte uns, eine kleine Gesellschaft von drei Personen, begleitet von dem allen Syrakus-Besuchern wohlbekannten Cicerone (und Custoden des Museums) Salvatore Politi, eines Morgens aus den dumpfen Straßen der Stadt nach der schönen baumbepflanzten Marina, wo das vorsichtigerweise unter vorherigem Accord gemiethete Boot mit vier Rudern unser harrte. Das Wetter war wunderbar: ein köstlicher, sonnenheller Morgen lachte, wie ihn der elfte Januar nur in diesen Breiten schenken konnte. Goldig blitzten die Kämme der Wogen im Sonnenschein, und ein günstiger Wind, der die Entfaltung der Segel gestattete und die Ruder vor der Hand überflüssig erscheinen ließ, brachte uns bald auf die Mitte des „Porto maggiore“, jenes prachtvollen Wasserbeckens, das einst, nächst dem alexandrinischen, den berühmtesten Hafen des Alterthums bildete und in welchem mehr als einmal das Schicksal von Völkern und Staaten entschieden ward. Bis in späte Zeiten erhielt sich sein Glanz; noch der römische Schriftsteller Florus im zweiten Jahrhundert n. Chr. nennt ihn den „Marmorhafen“, vermuthlich weil sein Rand mit Marmorquadern eingefaßt war. Die Königsburg des Dionys verriegelte seinen Ausgang, die Einfahrt aber zwischen der Insel Ortygia und dem Felsencap Plemmyrion ist nur tausend Meter breit, sodaß sie mit eisernen Ketten gesperrt werden konnte, und es ist bekannt, wie die Anwendung dieses Mittels einst jene furchtbare, Athens Flotte gänzlich vernichtende Seeschlacht provocirte, welcher Thukydides durch seine unvergleichliche Schilderung ein ewig dauerndes Denkmal errichtet hat.

Und dieser berühmte Hafen, noch jetzt der größte und sicherste Italiens (fast zehn Kilometer im Umfang), liegt heute todt und still vor uns ausgebreitet. Melancholisch schaut die kleine Inselstadt, vor deren Mauern nur noch wenige Fahrzeuge ankern, über die weite Wasserfläche nach den einsamen, sonnenverbrannten Höhenzügen, die den Horizont in ernsten, großartigen Linien begrenzen.

Nach einer Fahrt von etwa fünfzehn Minuten sahen wir uns schon am jenseitigen Ufer angelangt und bogen, unter der Wölbung des Ponte grande durch, jener Brücke, über die einst die Helorische Straße führte, in die Mündung des Anapos ein. Die Ufer des mäßig breiten Flusses, aus dem noch das heutige Syrakus, wie einst das alte, seinen Wasserbedarf deckt, sind ziemlich monoton, aber immerhin malerisch; sie zeigen stellenweise einen ganz orientalischen Charakter. Weißgetünchte Steinhäuschen, von maurischen Kuppeldächern überwölbt, ihnen zur Seite vereinzelt schlanke Dattelpalmen, rings umher dichte Hecken von Opuntien, Agaven und andern Stachelgewächsen, im Vordergrunde das hohe Schilf des Flußufers – das sind die bescheidenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_240.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)