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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

der neuern Zeit mehr Weltbürgerlichkeit erzeugt hat, so sind doch die meisten Geschichtsschreiber unter allen Völkern dem alten Gesetze treu geblieben, und die Geschichte fremder Völker ist gewöhnlich nur geschrieben worden mit dem Gedanken an das eigene Vaterland.“

Dieses Bekenntniß kennzeichnet den ganzen Mann. Vaterländischen Geist in der studirenden Jugend zu verbreiten, dabei mit Freisinn und Gerechtigkeit die Ideen des Zeitgeistes zu würdigen, das war ihm ein heiliger Beruf, in welchem er unerschrocken wirkte selbst in der schlimmsten Zeit französischer Tyrannei. Das Vertrauen, mit welchem die leicht begeisterte Jugend sich ihm anschloß, wirkte auch weiter. In jenen Tagen der Unterdrückung (von 1806 bis 1813) hatte das Leben, wie es wohl überall geführt wurde, soweit der französische Druck reichte, einen eigenen Charakter, einen Reiz, welcher Luden noch später mit Wehmuth und Sehnsucht, erfüllte. Die allgemeine Noth führte auch zu allgemeiner Entsagung von Luxus, aber „je geringer und armseliger der sinnliche Genuß war, desto reicher und tiefer war der geistige und sittliche, der sich überall darbot. Alle Menschen waren klüger und besser, als sie früher gewesen, als sie sich später gezeigt haben. Freilich war es nur ein Gedanke, der sie ergriffen hatte: das Vaterland; aber dieser Gedanke schließt alle Ideen ein, die für des Menschen Bestimmung von Bedeutung sind. – – Niemals sind die deutschen Fürsten mehr geliebt worden von ihren Völkern, weil ein Jeder erkannte, daß sie mit ihrem Volke litten. Ich selbst habe einen Bauer helle Thränen vergießen sehen, weil sein Landesherr den Hut in der Hand neben einem Wagen ritt, in welchem Napoleon saß, den Hut auf dem Kopfe.“ So erzählte Luden.

Solche Erinnerungen und solche Bilder allein führen uns in jene Zeit ein, wo sich in Deutschland im Stillen so viel Geist und Muth zum großen Befreiungskampfe rüstete – und der Vordersten einer auf dieser Bahn war Heinrich Luden.

In dieser Zeit (Ostern 1812) vertraute sich ihm ein von der französischen Allgewalt Verfolgter als ein Herr von Gerlach an, wie er sich als Studirender hatte einschreiben lassen; er hatte in Spanien gegen die Franzosen gefochten, war gefangen worden, glücklich entwichen und suchte nun in Jena Verborgenheit; nach kurzer Zeit entdeckte er sich Luden als Herr von Grolmann; es war der spätere General, der bald in einem wichtigen Augenblick mit sicher lenkender, vielleicht rettender Hand in Luden’s Leben eingreifen sollte. Denn als 1813 Alles zu den Waffen griff, fühlte auch der rüstige Professor den Beruf, zum Schwert zu greifen. Der ruhige, besonnene, kriegskundige Grolmann vermochte es, nach hartem Widerstand, Luden zu der Ueberzeugung zu bekehren, daß der Geist sein Schwert sei und bleiben müsse.

Um ein allezeit schlagfertiges Kampfschwert zur Verfügung zu haben, verband sich 1813 Luden mit Bertuch in Weimar zur Herausgabe einer „Zeitschrift für Politik Und Geschichte“, der „Nemesis“, von welcher 1814 bis 1818 zwölf Bände erschienen sind. Für uns ist ein wiederum Goethe betreffender Umstand dabei von besonderem Interesse. Bertuch wünschte, daß Luden mit Goethe über ihre Zeitschrift spreche. Dies geschah. Das ebenfalls von Luden aufbewahrte Gespräch ist ein beide Männer sehr ehrendes. Luden schließt seinen Bericht darüber mit den Worten: „Nur das Eine will ich bemerken, daß ich in dieser Stunde auf das Innigste überzeugt worden bin, daß Diejenigen im ärgsten Irrthum sind, welche Goethe beschuldigen, er habe keine Vaterlandsliebe gehabt, keine deutsche Gesinnung, keinen Glauben an unser Volk, kein Gefühl für Deutschlands Ehre oder Schande, Glück oder Unglück. Sein Schweigen bei den großen Ereignissen und den wirren Verhandlungen dieser Zeit war lediglich eine schmerzliche Resignation, zu welcher er sich in seiner Stellung und bei seiner genauen Kenntniß von den Menschen und Dingen wohl entschließen mußte.“ – Wie den alten Arndt, hätte man auch Luden „das deutsche Gewissen“ nennen können, und darum hat aus seinem Munde dieses Wort besondern Werth.

Zu den Studenten, und besonders zu den Mitgliedern der Burschenschaft stand Luden in dem Verhältniß innigen gegenseitigen Vertrauens. Er veranlaßte unter Anderem die Auf- und Feststellung der „Grundsätze und Beschlüsse der Wartburgfeier“, welche „den studirenden Brüdern auf anderen Hochschulen zur Annahme, dem gesammten Vaterlande zur Würdigung von den Studirenden in Jena vorgelegt“ werden sollten. Sie wurden massenhaft durch Abschriften verbreitet und zeugen noch heute für den ernsten und klaren Sinn der Gründer der Burschenschaft. Geharnischt trat Luden in seiner „Nemesis“, und mit ihm zugleich Oken in seiner „Isis“ gegen die Verleumdungen der deutschen Universitäten und namentlich Jenas durch Kotzebue, Schmalz, Kamptz u. dergl. Gesellen auf, und als Oesterreich seinen Gesandten in Dresden, den Grafen Zichy, insgeheim nach Weimar schickte, damit er von dort sich nach Jena begebe und „persönlich das verschrieene Demagogennest einsehe, um Auskunft darüber zu geben, ob denn wirklich dort ein so rohes, wildes, barbarisches, aufrührerisches Wesen unter den Professoren und Studenten herrsche“, wie die Lästerer es den Höfen vorgemalt hatten – war Luden es, der den Tag dieses Besuches erkundschaftete und den Studenten verrieth. Der weimarische Minister und der österreichische Gesandte staunten nicht wenig, als sie am 16. December 1817 nach Jena kamen und eine solche sittsame Ruhe und Stille auf Markt und Gassen fanden, daß der Bericht nach Wien „die Ordnung, die Disciplin und die trefflichen Gesinnungen, welche unter den Studenten zu Jena stattfände“, nicht genug preisen konnte. Schon am folgenden Tag holte der Student jedoch alles Versäumte nach, indem Blücher’s Geburtstag mit allem möglichen akademischen Ulk und Pomp nachgefeiert wurde. Luden’s „Nemesis“ aber begrüßte dieses frische Treiben mit den Worten: „Die Jugend muß brausen, wie der junge Wein, dann wird sie, wie er, mild und stark zugleich werden. Wer aber elfer Rheinwein und dreizehner deutsche Jugend gut vertragen soll, der muß selbst nicht kraftlos sein.“

Zu Anfang des Jahres 1823 ging Luden als Abgeordneter der Universität zum Landtage nach Weimar. Dies warf abermals einen Schatten auf sein Verhältniß zu Goethe, der für derlei Volksvertretung und deren Kämpfe keine Sympathie hatte. Dennoch wurde er einmal, 1829, als Abgeordneter zu einer Soirée bei Goethe eingeladen. Er ging hin und fand dort die ganze vornehme Welt Weimars nebst den ausgezeichnetsten Fremden versammelt. „Meinen Blick,“ erzählt er, „zog nur der Herr des Festes auf sich. Und Er, der alte Herr, stand da, fest und gerade, in der besten Haltung, den Hut unter dem Arme, mit allen seinen Orden geschmückt, und empfing, immer auf derselben Stelle, die Huldigung aller Gäste mit großer Liebenswürdigkeit. Ich bewunderte und bedauerte ihn. Aber nach etwa anderthalb Stunden hatte ich der Sache genug.“

Im Jahre 1832 hatte Luden auch des Landtags genug, wies jede weitere Wahl zurück und lebte fortan nur seinem doppelten Berufe als Lehrer und Schriftsteller.

Es war noch in der sogenannten „guten alten Zeit“ des Studentenwesens, als ich, im Herbst 1834, zum ersten Male in Luden’s Hörsaal trat. Mein Erstaunen war nicht gering, als ich so manches „alte Haus“ im Schlafrock, die lange Pfeife in der Hand und die Mappe unterm Arm in die Räume wandeln und auf den Bänken sitzen sah, wo ich mit dem Herzpochen der Ehrfurcht und der Erwartung des Augenblicks, in welchem ich den großen berühmten Mann zum ersten Male schauen sollte, bescheiden Platz nahm. Zur Ehre der „Bemoosten“ muß ich jedoch sofort aussprechen, daß von den langen Pfeifen kein Gebrauch gemacht wurde. Der Schlafrock hinderte Keinen, die größte Hochachtung vor dem Lehrer zu hegen. Endlich öffnete sich die Thür, und Luden trat ein und bestieg das Katheder. Der Contrast war zu auffällig. Hier die Schlafrockgesellschaft, und dort der stattliche Mann in Frack und feiner Kleidung, der, die goldene Dose in der Hand, seine Zuhörer in einer Weise begrüßte, als trügen auch sie alle Zeichen des äußeren Anstandes zur Schau.

Nach wenigen Worten aus seinem Munde war jedoch alles Störende der Umgebung verschwunden, Alles lauschte dem herrlichen Klange seiner Sprache, und bald waren Geist und Herz gefesselt von dem wunderbar dahinfließenden Strom der Gedanken und Bilder, mit denen er uns das Leben der Vergangenheit vorführte. Die volle Aufmerksamkeit war unaufhörlich gespannt; keine Ermüdung konnte eintreten; denn auch der erfrischenden Heiterkeit ward ihr Recht vergönnt, und selbst die Aushülfsphrasen, die er so fein stets an bedeutungsvoller Stelle einzuschalten verstand, sein gedehntes, „in jeglicher Weise“ und das ironisch betonte „wenn Sie wollen, meine Herren,“ trugen zur immer frischen Belebung der Vortrages bei. „Wenn mir aber einmal die Vocabeln ausgehen wollen, so öffne ich meine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_247.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)