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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


eingerichtet und nie mehr betreten, seit dem Tage vor seiner Hochzeit. Die Wände begannen um ihn zu kreisen. Der rosige Schein der Ampel schien das verödete Lager in Gluth zu tauchen. – War er nicht hier zu Hause? War er hier nicht im Recht?

Alles umwirbelte ihn – ein Rausch, ein Taumel bemächtigte sich seiner. Fester preßte er die Geliebte an sich, indem er sie auf die Kissen niederließ; seine glühenden Lippen legten sich an ihren Mund.

Und es war ihm, als höbe ein Seufzer diese zarte Brust, als schlinge ein Arm sich um seinen Hals.

Da riß er sich mit übermenschlicher Gewalt empor. Ein Grauen vor sich selbst hatte ihn durchzuckt – sollte er zum Sclaven seiner trunkenen Sinne werden?

„Kein Raub, kein Frevel!“ brauste es in seinen Ohren und scheuchte ihn hinweg. Noch einen Blick that er auf die stille Schläferin, die wie ein Marmorbild auf einem Sarkophage zu ruhen schien. Dann stürzte er fort.

Lust ohne Liebe? Nein, das war es nicht, wonach sein Herz schrie.

(Schluß folgt.)




Frauen als Entdeckungsreisende und Geographen.
II.
Mistreß Atkinson's sibirische Hochzeitsreise.

Es war in den Jahren 1848 bis 1851, als der englische Maler Thomas Atkinson seine mehrjährige Studienreise nach Sibirien, der Mongolei, der Kirgisen-Steppe, der chinesischen Tatarei ausführte. Sein Reisewerk mit mehr als achtzig Bildern und Skizzen erschien im Jahre 1860, fand aber wenig Beifall, obgleich es von Gegenden handelte, die damals noch wenig bekannt waren. Um so mehr Anerkennung erwarb sich die Beschreibung derselben Reise, welche seine Frau, Mrs. Atkinson, die den Gatten muthig und treu in allen Beschwerden und Gefahren begleitet hatte, 1863 herausgab.

Wir sehen an ihr, daß Frauen ganz andere Dinge beobachten und fremde Eigenthümlichkeiten oft schärfer auffassen, als Männer; daher bietet das Buch eine Fülle interessanter Neuigkeiten und spannender Situationen dar. Mrs. Atkinson war überdies eine wahrhaft heroische Dame; denn es gehört nicht wenig Muth zu dem Entschlusse, aus der gebildeten Welt heraus eine vierjährige Wanderung unter den nomadischen Steppenvölkern Sibiriens zu unternehmen und auszuführen. Hierzu kam, daß diese Wanderung die Hochzeitsreise der Mrs. Atkinson war; eine seltsame Hochzeitsreise! Zu den eigenthümlichen Vorbereitungen für dieselbe gehörte unter anderem eine fleißige Uebung im Pistolen- und Büchsenschießen, im Handhaben verschiedener Waffen, um in Noth und Gefahr sich selbst vertheidigen zu können. –

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Wir begrüßen unsere Reisenden in Jalutarowsk am Ischim. Es war die erste sibirische Stadt, wo länger gerastet wurde. Das junge Ehepaar war an Herrn Murawieff empfohlen, einen der Hauptverschwörer des Jahres 1825. Sein Bruder war jener Serjei Murawieff, der damals unter Umständen hingerichtet wurde, die selbst in Rußland Grauen und Schrecken erregten. Schon hatte der Henker sein Amt vollbracht, schon hing der Unglückliche am Galgen – da riß der Strick. Ehe man einen neuen herbeigeschafft, kehrte dem Gehenkten die Besinnung zurück; er merkte, was um ihn vorging, und äußerte darüber die herzbrechenden Worte: „Es ist doch zu viel für einen Menschen, zweimal hingerichtet zu werden.“ Herr Murawieff befand sich inzwischen hier so wohl, wie sich in Sibirien ein Verbannter befinden kann.

Zwischen Omsk und Tomsk begegnete es den Reisenden, daß sie im Schlitten eingeschlafen waren, und als sie erwachten, stand derselbe still und die Pferde waren ausgespannt, obgleich die Gegend keine Poststation aufzuweisen hatte, sondern nur zwei oder drei elende Hütten mitten im Wald. Der spitzbübische Yemtschik (Postillon) hatte die Schläfer einer Diebesbande zugeführt, und nur ihr wackerer Steppenhund und die gespannten Pistolen verhalfen ihnen wieder zu dem Ihrigen, so daß die Reise fortgesetzt werden konnte.“

Tomsk ist eine Stadt der Goldwäscher. Mrs. Atkinson sah hier Goldstufen von fünfundzwanzig bis dreißig Pfund Gewicht. Auch der Vicegouverneur gehörte zur Goldaristokratie des Ortes. Er hatte die Tochter eines Goldsuchers geheirathet, die früher barfuß in den Straßen herumgelaufen war, bis ihr alter Vater an einem glücklichen Tage durch Entdeckung eines Goldlagers zum steinreichen Manne geworden.

Am 3. Juni 1848 ging die Reise von Tomsk südwärts. Frau Atkinson war entzückt über den Blumenreichthum der Steppe. Ganze Flächen leuchteten in tiefer Orangefarbe von den Blumen der Kugelanemonen, zwischen denen hellblaue Streifen von Vergißmeinnicht sich zeigten. Dabei lag noch viel Schnee. Der Obi hatte weite Strecken überschwemmt, was das Reisen sehr erschwerte; auch brach ein Steppensturm aus, wegen dessen man die Nacht am Ufer des Stromes zubringen mußte.

Dafür wurde es am nächsten Tage in Barnaul gemüthlicher. Mrs. Atkinson lernte hier das Hausfrauenleben in einer Steppenstadt von einer eigenthümlichen Seite kennen. Die Hausfrauen zeigten hier mit Stolz ihre Vorrathskammern oder vielmehr Vorrathssäle, die einem vollständigen Specereimagazin glichen. Ganze Kisten von Lichtern, Mehl, Gewürzen etc. waren mit untadelhafter Sauberkeit aufgespeichert. Jede Familie muß sich nämlich für ein ganzes Jahr mit Vorräthen versehen, und wehe der Hausfrau, die nicht gut gerechnet oder die Vorräthe nicht zusammengehalten hat, denn mit Geld läßt sich der Schaden nicht mehr gut machen, da der Apotheker nur einmal im Jahre auf die Messe nach Irbit geht, wo er den Hausfrauen ihre Bedürfnisse für das ganze Jahr einkauft.

Nach dem Ritt durch die heiße Steppe von Bisk mußte der schöne Damensattel mit einem Herrensattel vertauscht werden; denn die Gebirgspfade sind so schmal und schwindelerregend, daß ein anderes als Cavalierreiten unmöglich ist. Die beherzte Engländerin hatte daher Manneskleider angelegt, saß auch in einem Mannessattel fest und sicher und schlief unter dem Filzzelte eines Kalmückendorfes ruhig und sorglos.

Am goldenen See im Altai verlebte das junge Ehepaar die Flitterwochen; dann ging's nach Kopal im Süden des Balkaschsees. Sehr glücklich machte es überall die Frauen, zu erfahren, daß die Großfürstin Olga verheirathet sei. Jetzt, meinte eine derselben, da sie einen Mann habe, müsse sie auch ein Platock, das ist ein Kopftuch, tragen. Wie betroffen aber war die sibirische Einfalt, als die Engländerin versicherte, daß eine Großfürstin weder vor noch nach der Hochzeit ein Tuch um den Kopf winde, was den loyalen Sibirierinnen wie eine anstößige Sittenverletzung erschien.

Ein Kirgisen-Aul südlich von Ajagyz auf der Steppe zeigte ringsum nur Heerden. Die Jurte, das Wohnzelt, welches Frau Atkinson betrat, stand auf einem reinen Rasenflecke in der Nähe eines kleinen Stromes, und der Boden war bedeckt mit prächtigen bucharischen Teppichen. Als der Thee fertig war, zu welchem auf erlesenem chinesischem Porcellan getrocknete Früchte gegeben wurden, brachte ein struppiger Kirgise ein kleines lebendiges Lamm, um die Gäste zu fragen, ob sie mit dem Aussehen des Thieres zufrieden seien. Da kein Einwand zu erheben war, mußte das arme Thier bluten und dampfte wenige Minuten später schon in einem bereit stehenden Kessel. Nach dem Thee wurden vom gastfreien Häuptling des Aul Kumis (gegohrene Stutenmilch) und Pfeifen servirt.

Am 13. September verließ man einen Lagerplatz in der Nähe des Ala-Kul-Sees. Es war ein köstlicher Morgen, zum ersten Male zeigte sich die Silberkette des Ala-Tau im Süden. Frau Atkinson fühlte sich schon seit mehreren Monaten Mutter, und die Beschwerden der Reise wurden um so empfindlicher. Man ritt den ganzen Tag. Kein Tropfen Wasser war anzutreffen; nur eine Wassermelone gewährte einige Erquickung. Die Sonne sank, und Dämmerung folgte rasch hinterdrein. Der Ritt ging auch in der Dunkelheit immer vorwärts. Aber bald wurde es bitter kalt, Mrs. Atkinson konnte vor Erstarrung nicht mehr die Zügel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_258.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)