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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Aber Lora schüttelte lachend den Kopf.

„Darnach strebt mein Sinn nicht,“ sagte sie, die Tante umschlingend. „Ich will im Walde Maiglöckchen suchen. Es sind gewiß schon welche heraus. Weißt Du, Mamachen, es giebt immer so vorwitzige Dinger, die es nicht erwarten können, in die Welt zu gucken.“

„Wie Du!“

Das Mädchen knixte lachend; ein Kuß, und sie war die Stufen hinunter.

Wie schön war der Morgen! Noch hatte die Sonne nicht jeden Thautropfen hinweggetrunken, und Lora mußte ihr Kleid schürzen, um keinen nassen Saum zu bekommen, während sie, leise trillernd, auf dem Feldrain der Anhöhe zuschritt, die von schattigem Walde gekrönt war. Als sie denselben erreicht, ging sie erst eine Weile am Rande hin; dann bog sie in einen schmalen Pfad ein und stieg immer höher, bald nach Blumen ausspähend, bald vor einem moosigen Steine oder einem wunderlichen Pilze stille stehend.

An einem Köhlerhause hielt sie an; sie sprach mit den Kindern, die davor saßen, half dem kleinen Mädchen die Puppe ankleiden und ließ auf dem Tische neben dem geleerten Milchglase ein ansehnliches Geschenk zurück. Vor dem Meiler blieb sie stehen und sprach mit dem Köhler über das Wetter. Und wieder stieg sie weiter.

Nach einer Weile kam sie auf eine Waldblöße heraus; es war fast auf der Kuppe des Hügelstriches. Die Sonne lag warm auf der Wiese, und in der Nähe von ein paar gefällten Bäumen leuchteten auch die ersten weißen Glockenstiele aus den grünen Blattscheiden.

Laut jubelnd begrüßte sie den Fund. Aber es schlossen sich unwillkürlich Worte an den Jubelruf.

„Ach, ich bin so froh! Ich möchte singen.“

Ob auch das den Blumen galt?

Inneres Glück strahlte aus ihren Augen, doch die waren in die Ferne gerichtet. Dort, wohin sie sahen, stiegen ein paar Kirchthürme zwischen grauen Häusern auf, und der glänzend weiße Bau, den die Morgensonne traf, war wohl das Schloß über dem Städtchen, das Comtesse Anna bewohnte.

„Die schläft gewiß noch in ihrem Bauer,“ kicherte Lora.

Sie dachte nur – ja bestimmt nur an das Canarienvögelchen.

Eine Zeitlang suchte sie noch weiter nach frischgeöffneten, duftenden Blüthen; dann setzte sie sich auf einen der Stämme, band einen Strauß, lauschte dem Gesange der Vögel, zählte den Kukuksruf und versank in sanftes Träumen. Ihr Blick war dabei wieder langsam über den stillen Hof und das Dorf hinweg, über den Fluß und den jenseitigen Uferhang zu den Kirchthürmen gewandert, deren vergoldete Helmkreuze hin und wieder Blitze auszusenden schienen.

Und fast war es, als ob der in seinen Ansprüchen verkürzte Schlummergott sein Recht einfordern wolle, so lange und so still saß die Träumerin an derselben Stelle, nur freilich blieben die Augen geöffnet und sahen immer, immer in derselben Richtung.

War's der Schlag der Thurmuhr aus dem Dorfe oder ein anderes Geräusch, das sie weckte – sie fuhr auf einmal überrascht auf, athmete tief und strich sich den dünnen Schleier ernster oder sehnsüchtiger Gedanken von der Stirn. Sie lächelte wieder.

Ihr Blick fiel dabei hinab; die in Bewegung gesetzte Fähre fesselte ihn. Das Fahrzeug war schon wieder an seiner alten Stelle und offenbar in Arbeit. Ein paar Leute und ein Pferd waren darauf. Jetzt trat das Pferd jenseits an's Land, und ein Reiter schwang sich auf. Die Gestalt konnte nur die Witold's sein. Wo mochte er hinreiten um diese Stunde?

Nun war es aber Zeit für sie, sich auf den Heimweg zu machen. Es ging rascher als bergan, doch schlug Lora zum Schlusse eine andere Richtung ein. Sie wollte durch's Dorf gehen und nach der Fähre sehen.

Da, wo der Gemeinde-Anger an die Straße stieß, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen; denn zwischen den letzten Häusern hervor trabte eben ein Reiter ihr entgegen, auf dessen Erscheinen sie in diesem Momente sicherlich nicht gefaßt gewesen.

Hatten denn ihre Blicke, welche soeben wieder und immer wieder auf den Kirchthürmen und dem Schlosse von Moorstädtel geruht, magnetische Kraft? Oder was sonst führte Steinweg gerade jetzt hierher, zu einer Zeit, wo sie ihn, nach seiner eigenen Mittheilung, tief vergraben in den allerwichtigsten dienstlichen Geschäften geglaubt? Hatte sie ihn nicht in der That auf der Reitschule, unter Remonten, bei der Unterofficierschule und weiß Gott wo gesehen, und nun – war er hier! War es ein Wunder, daß sie vor Ueberraschung zu glühen begann und das Herz auf einmal ganz schnell klopfte?

Aber auch der Reiter hatte sie erblickt. Er setzte sein Pferd sofort in Galopp und grüßte ganz unmilitärisch, indem er die Mütze hoch in die Luft schwang.

Jetzt stand der Fuchs wie eingemauert vor ihr und mit elastischem Absprunge Steinweg daneben.

„Guten Morgen, mein Fräulein!“ rief er fröhlich die Hand bietend. „Das nenne ich eine glückliche Begegnung, und abergläubisch, wie wir Soldaten sind, halte ich es für eine gute Vorbedeutung.“

„Das Gegentheil wäre auch zu ungalant,“ entgegnete Lora lachend. Der Schrecken war schon vorüber, und willig ließ sie sich die Hand schütteln. „Wissen Sie, daß ich heute schon in Moorstädtel war?“

„Sie?“

„Mit den Augen. Dort vom Hügel aus.“

„O, wenn ich mir schmeicheln dürfte –“

„Pfui, sich selber schmeicheln!“ unterbrach sie ihn, indem sie sich vor seinem ausdrucksvollen Blicke lächelnd abwandte und unwillkürlich den Weg gegen den Hof einschlug. „Thun Sie etwas eines Mannes Würdigeres und befriedigen Sie meine Neugierde! Erzählen Sie mir, was Sie eigentlich hierher führt!“

„Die Besorgniß um Baron Lomeda.“

„Ah!“ – es klang fast wie Enttäuschung – „da können Sie vollkommen ruhig sein. Mein Schwager ist keine Salondame. Ja, wenn Comtesse Anna das Bad genommen hätte!“

„Vielleicht würde ich dann weniger Eile haben, mich zu erkundigen.“

„Wirklich?“ Sie sah ihn forschend an, aber kein Zehntel einer Secunde lang; dann nickte sie ironisch und fuhr fort, ihn zu necken. „So sprechen Sie, und doch haben Sie sich heute sicherlich schon die Füße wund gelaufen nach dem Schlosse, um zu hören, wie man nach der Aufregung geschlafen hat.“

„Gelaufen, gelaufen!“ entgegnete Steinweg mißbilligend. „Ich laufe überhaupt nie, mein Fräulein.“

„Ist das unter der Würde eines Cavalleristen?“

„Gewiß. Um rascher von der Stelle zu kommen hat man ja das Pferd.“

„So sind Sie also auf's Schloß geritten, um anzufragen?“

„Auf Ehre! Sie thun mir heute ganz grausam Unrecht, Fräulein Lora,“ beklagte er sich. „Ich bin hierher gekommen, um Baron Lomeda zu sprechen.“

„Mein Schwager ist schon vor einer Weile fortgeritten.“

„Nach Moorstädtel?“

„Das weiß ich nicht. Aber über die Fähre.“

„Und ich habe den Weg über die Telzer Brücke genommen. So haben wir uns verfehlt. Zwar hat er mich schon gestern auf seinen Besuch vorbereitet, ich wollte ihm aber den Weg ersparen, da ich ja nicht wissen konnte, ob er nicht doch unwohl geworden sei.“

„Er wollte Sie heute sprechen? Aber in welcher Angelegenheit?“ fragte Lora, aufmerksam geworden.

„Ich weiß es nicht,“ sagte er ein wenig verlegen, doch setzte er rasch hinzu: „Wohl eines Pferdehandels wegen oder dergleichen. Wie fatal!“

„Ist Ihnen so leid um die verpaßte Gelegenheit?“

„Nur darum, daß ich jetzt umkehren muß, und ich wäre doch so gern hier geblieben.“

„Sie können meinen Schwager auch hier erwarten.“

Ein freudiges Aufleuchten ging über seine Miene, so harmlos sie das auch hingeworfen hatte. Er nahm den Antrag mit Begeisterung an. Und auch was das Pferd betraf, wenn es etwa, wie er voraussetzte, zum Damendienste verlangt wäre, könne hier zur Stelle Rath geschafft werden. Molly sei ein artiges Thier, und er könne sich kein größeres Glück vorstellen, als wenn er sie künftig auf seinem Pferde sehen dürfte.

Es war ein versteckter Sinn in diesen Worten, und Lora, die auf eine weitere Erläuterung zu warten schien, schnitt sie rasch ab, als sie endlich zögernd kommen wollte. Sie warf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_270.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)