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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


geheimen Schatz des Glücks, daß die Tante sie wieder und wieder verwunderungsvoll angesehen.

Sobald dieselbe das Gemach verlassen hatte, zog Lisa einen Brief hervor, um die Adresse wieder zu lesen – sie selber wußte nicht, zum wievielten Male schon.

Er war ihr beim Erwachen übergeben worden. Noch lag ihr Denken wie in einen Schleier gehüllt; Traumgesichte umschwebten sie und erfaßten ihre Seele mit wunderbarer Macht, als ihr Blick auf diese Schriftzüge fiel. Ein Brief an Sie – von ihrem Manne?

Mit zitternder und doch hastiger Hand hatte sie danach gegriffen und den Umschlag aufgerissen; dann las sie mit einer Angst, daß ihr die Kehle wie zugeschnürt schien:

„Es bedarf zwischen uns keiner Worte. Seit Wochen erwarte ich den entscheidenden Schritt von Dir. Es scheint, daß Du heute Nacht die Absicht hattest, mir die Mittheilung zu machen und daß Dich die Kraft verließ. Ich ertrage die Qual nicht mehr, und so will denn ich ein Ende machen.

Witold.“

Was wollte er thun? Was war's?

Der Zettel, der herausfiel, erklärte Alles: jenes unselige Blatt von Steinweg's Hand, das sie vernichtet glaubte.

Es war also in Witold's Hände gefallen, und wohl damals schon, und daher jener ungeheure unverstandene Umschwung in seiner Stimmung, daher jenes kalte Zurückstoßen, jenes absichtliche Vermeiden einer Begegnung mit Steinweg. Aber wie ein Lichtquell sprang es auf in ihrem Herzen, und in jedem Worte dieser wenigen Zeilen las sie jauchzend die Bestätigung, daß sie geliebt war.

Kein Traum war's gewesen, daß sie ihr eigenes Bild gesehen, kein Traum, daß er sie selbst in seinen Armen treppauf getragen. Willenlos, unfähig, auch nur ein Glied zu regen, gelähmt und mit geschlossenen Augen hatte sie doch gefühlt, daß sie an seiner Brust gelegen, ein unbeschreiblich seliges Gefühl hatte sie durchrieselt, eine unnennbare Sehnsucht sie erfüllt; sein Kuß brannte jetzt noch auf ihren Lippen. Doch als sie seinen Namen rufen wollte, da waren ihr die Sinne von Neuem vergangen in wundersam süßer Betäubung, und als sie dann erwacht, da lag's um ihr Haupt wie ein wirres Gespinnst der Nacht, aus dem sie sich nicht zu lösen vermochte, bis andere Traumbilder emporstiegen und tiefer Schlaf sie umfing.

Und nun war's heller Tag um sie und in ihr. Was that's, daß hier die räthselhaften, unheimlichen Worte mit einem „Ende“ drohten? Ja, ein Ende der Qual sollte es sein und ein Anfang des Glücks. Die Angst, die ihr zuvor beim ersten Ueberlesen fast einen Schrei entrissen, schwand immer mehr. Was konnte geschehen, jetzt, da sie einander liebten? Ja, das – das war die Liebe.

Sie wollte beten und an ihn denken, und er mußte fühlen, wo er auch war, daß sie ihn rief. Die Liebe ist ja allmächtig.

Doch schlich sich leise wieder die Sorge ein, wie eine Begegnung zwischen den Männern ablaufen würde. War Steinweg so redlich, einzugestehen, daß er von ihr abgewiesen worden, war er so ruhig, auf ein anklagendes Wort mit keiner Beleidigung zu antworten? Besorgt sah sie von dem Briefe auf.

Da schlug ein Kichern an ihr Ohr und eine Stimme, die der Stimme Steinweg's glich. War's möglich?

Sie traute ihren Augen kaum, als sich hinter Lora her jetzt in der That durch die sachte aufgethane Thür derjenige schob, an den sie eben gedacht. Beide hielten sich an den Händen und verbeugten sich vor Lisa, und Steinweg sagte ein wenig verlegen, indem er den Maiglöckchenstrauß an seiner Brust hin und her schob:

„Es soll ein Rebus sein, Frau Baronin.“

„Herr Rittmeister Steinweg,“ setzte seine Begleiterin nach kurzer Pause schämig lächelnd hinzu, „und Fräulein Eleonore von Mildner empfehlen sich als Verlobte.“

Und ehe sie der Schwester noch Zeit gelassen, über diese Erklärung eigentlich recht in Staunen zu gerathen, flog sie ihr jubelnd um den Hals.

Der Rittmeister aber wandte sich der Tante zu, die auch eingetreten war und kopfschüttelnd immer noch ihr „Närrische Leute, närrische Leute!“ wiederholte, mit dem sie wohl schon seit einer Weile das glücklich aufgestöberte Paar begleitete, das so unbegreiflicher Weise die Frühstücksglocke überhört hatte.

„Ja, ist es denn möglich!“ rief Lisa mit vor Ueberraschung und tiefer Bewegung gedämpfter Stimme. „Ist es denn möglich! Die, welche Witold über alle Männer pries, der er ein Ideal, ein Halbgott war!“

„Ja, weißt Du,“ entgegnete Lora vertraulich: „Halbgötter betet man an, doch um sie zu lieben, muß man selbst mindestens eine – Halbgöttin sein, und das bist Du immer in meinen Augen gewesen. Wen ich liebe, der muß mich anbeten; das ist viel, viel schöner. Es hat eben jeder seinen eigenen Weg zum Herzen. Bei dem einen ist's eine glatte Chaussee, bei dem andern ein Hohlweg; da ein schmaler Waldpfad, den man leicht verliert und nur nach tausend Schritten in der Irre wieder findet; dort ein spurloser Steig, über rauhe Felsen und an Abgründen vorüber. Bei uns war's ein breiter ebener Rennplatz; wir sind beide hoch zu Roß unter Trompetengeschmetter bei einander eingeritten.“

Fröhlich, wie ein Kind, schlug sie die Hände zusammen und warf einen neckenden Blick auf ihren Verlobten, der herantrat, und Lisa die Hand küßte.

„Ich hatte schon gestern die Absicht, Ihre Fürsprache zu erbitten,“ wollte er beginnen, doch fiel ihm Lora rasch in's Wort.

„Welche Strafe gebührt dem Ueberläufer?“ fragte sie.

„Der Tod,“ sagte er.

„Nein, das – ist zu viel.“

„Tiefe Verachtung,“ meinte die Tante.

„Bitte, widme Du sie ihm,“ ersuchte Lora ihre Schwester. „Aber wer sich unverläßlich erweist,“ fuhr sie mit komischem Ernste fort, „wird außerdem am zweckmäßigsten an die Kette genommen, und das – will ich besorgen. Gewisse verdachterregende Schwankungen, nach dem gräflich Baumbach'schen Heerlager zu, haben mich zum Nachdenken und zu dem Entschlusse gebracht, diesem leichtsinnigen Herumstreifen ein Ende zu machen. Weißt Du, Lisa, der Mann that mir doch in der Seele leid; er hat im Grunde ein gutes Herz; unsern Witold hat er auch gerettet; man mußte etwas für ihn thun, und so nahm ich mich seiner an und trat bei seiner Escadron als Recrut ein. Aber nur zum Schein; denn eigentlich beabsichtige ich zu commandiren. Ich will ihn schon in der Uebung erhalten, mir allzeit pflicht- und ordnungsgemäß nach –“ hier hielt sie ein wenig inne und schloß mit einem Schelmenblick auf Steinweg: „nachzureiten.“

„Wie meinem Leitstern!“ betheuerte er entzückt.

Sie aber hüpfte lachend davon, schlang ihren Arm in den der Tante und zog diese in das Frühstückszimmer.

Auch Lisa lächelte mild und bewegt. Sie sah Steinweg an und konnte nicht begreifen, daß sie jemals hatte glauben können, daß dies ein Mann für sie sein könnte. Bei ihr war es allerdings anders als bei ihrer Schwester. Wo sie lieben sollte, da mußte sie auch verehren können. Das wußte sie jetzt.

„Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Glück,“ sagte sie weich. „Und hier – mein Hochzeitsgeschenk. Es war nahe daran, großes – nicht wieder gut zu machendes Unheil anzurichten.“

Er erkannte das Blatt, das sie hervorgezogen und ihm eingehändigt.

„Können Sie mir vergeben?“ bat er beschämt.

„Wenn Ihr nicht gleich kommt, so werde ich eifersüchtig und – hungrig. Herr Rittmeister, wo bleibt der Leitstern?“ rief Lora, die wieder unter der Thür erschien.

In diesem Augenblicke trat Witold durch die andere vom Flur her ein.

In Steinweg's Wohnung hatte er erfahren, daß derselbe hierher geritten, und in großer Erregung war er ihm gefolgt. Soeben war er vom Pferde gesprungen.

Lisa sah, daß Zorn in seinen Mienen arbeitete, und ihr Herz zitterte vor Furcht und namenloser Freude zugleich. Sie war nicht im Stande, auch nur ein Wort zu sprechen, und wenn es ihr Tod gewesen wäre.

Zum Ausbruch aber kam es nicht; denn schon hing Lora am Halse des eben Eingetretenen.

„Witold, sag', daß es recht ist!“ rief sie, schelmisch und doch in seltsamem Umschlag zur Rührung, beinahe schluchzend. „Dann erst bin ich ganz ruhig. Siehst Du, Lisa hat mir so ernstlich zugesprochen, daß ich nachgeben mußte. Sie hat es mit zu verantworten, wenn es ein Unglück giebt. Gustav will mich zur Frau.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_272.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)