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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


begegnete. Er kam auf den Gedanken, alle Nasenlosen Londons zu einem Banket einzuladen, welches die Begründung eines Clubs nach sich zog, der monatlich einmal zusammenkam. Als nach einem Jahre der Tod des Gründers eintrat, wollten die Mitglieder – die, wie sie sagten, „nicht Lust hatten, sich bei der Nase herumführen zu lassen“ – sich keinem neuen Vorsitzenden unterwerfen und trennten sich. In dieselbe Kategorie gehört der „Club der fetten Männer“. Der Sitzungssaal, dessen Größe dem Umfange der Mitglieder angemessen war, hatte zwei Thüren: eine schmale von gewöhnlichem Caliber und eine sehr breite mit zwei Flügeln; konnte ein Candidat durch die erstere gehen, so wurde er abgewiesen, andernfalls that sich die andere vor ihm auf und die corpulente Gesellschaft begrüßte ihn als Bruder.

Diesem Club zum Trotze bildete sich ein „Club der mageren Leute“. Zu bemerken ist, daß diese beiden Clubs nicht in London, sondern in einer Provinzstadt existirten; sie befehdeten einander jahrelang, und da die Mageren sich die öffentliche Gunst zu erobern verstanden hatten, drohten sie, die Fetten von den öffentlichen Aemtern auszuschließen. Schließlich einigte man sich dahin, daß die beiden obersten Beamten der Stadt aus je einem der beiden Clubs zu wählen seien.

Die Clubs der „Langen“, der „Kleinen“, der „befranzten Handschuhe“, der „Seufzenden“, den „Wittwen-Club“ und viele andere müssen wir übergehen. Die bizarren Clubs waren wenigstens harmlos, aber neben ihnen gab es auch Clubs düsterer und gefährlicher Natur; so z. B. den der Duellanten, dessen Präsident ein Dutzend Menschen im Zweikampf getödtet hatte; den der Menschentödter, in den man nur aufgenommen werden konnte, wenn man mindestens einen Mord begangen hatte; den der Schrecklichen, dessen Mitglieder ungemein lange Säbel trugen; den der Mohocks, der seinen Namen einem Menschenfresserstamm entlehnte und es als seine Aufgabe betrachtete, auf der Lauer zu liegen, Straßenpassanten anzuhalten und ihre Gefangenen auf’s Grausamste zu mißhandeln.

Anknüpfend an die Clubs, erzählt Alphonse Esquiros eine hübsche Anekdote. Der Lord-Oberrichter Holt hatte in seiner Jugend ein keineswegs musterhaftes Leben geführt und einem argen Club angehört. Als er eines Tages dem Central-Criminalgerichte von Old Bailey präsidirte, wurde ihm ein der Straßenräuberei überführter Mann vorgeführt, in welchem er einen seiner ehemaligen Clubgenossen erkannte. In der Meinung, dieser erkenne ihn nicht, fragte er ihn halb aus Neugierde, halb aus Theilnahme, was aus den übrigen Mitgliedern des gefährlichen Clubs geworden, dem der Gefangene angehört habe. Der arme Teufel salutirte und erwiderte seufzend: „Ach, Mylord, alle sind gehenkt worden, bis auf Euer Gnaden und mich.“

Ehe wir von den alten Clubs Abschied nehmen, sei eines höchst komischen Clubs Erwähnung gethan, der, wenn wir nicht irren, noch vor fünfundzwanzig Jahren bestand; wir meinen den Londoner „Unsuccessful-Club“ („Club der durchgefallenen Dramatiker“). Wer aufgenommen werden wollte, mußte der Ehre theilhaftig geworden sein, mit einem Theaterstück einen Mißerfolg erlebt zu haben. War ein Stück erst nach der zweiten Aufführung vom Repertoire verschwunden, so mußte über die Aufnahme oder Abweisung des Verfassers erst abgestimmt werden. War aber eines schon am ersten Abend ausgepfiffen worden, so wurde der Autor mit Acclamation aufgenommen und durfte auf Kosten des Clubs ein beliebiges Diner bestellen. Das Abzeichen des Clubs, das der Präsident im Knopfloch trug, war ein silbernes Pfeifchen.

Wie man sieht, entsprechen die englischen Clubs von früher mehr dem, was man heutzutage „Vereine“ oder dergleichen nennen würde. Wie anders sind in dieser, wie jeder andern Hinsicht die heutigen Clubs beschaffen! Doch davon in unserm Schluß-Artikel.




Eine spanische Verbrecher-Gesellschaft.

So allgemein bekannt es ist, daß in Spanien das Räuberwesen von jeher in Blüthe gestanden, so wenig verbreitet ist die Kunde von einer Jahrhunderte alten Organisation desselben im großen Stil, deren letzte Anhänger erst in unserm Jahrhundert, im dritten Jahrzehnt desselben, den Tod durch Henkershand starben. Wir meinen die Verbrechersecte, welche unter dem Namen Garduna-Brüderschaft beinahe vier Jahrhunderte lang in Spanien ihr Wesen getrieben hat und deren letzter Ordensmeister, mit zwanzig seiner Genossen in den Schluchten der Sierra Nevada verhaftet, am 25. November 1822 auf dem Marktplatze zu Sevilla gehängt wurde.

Nur in einem Lande wie Spanien konnte eine Gesellschaft bestehen, die ein so charakteristisches Gepräge, namentlich in der Vermischung von Religion und Verbrechen, trug. Vollkommen organisirt, mit Statuten versehen, deren strengste Befolgung verlangt und deren Verletzung schwer gerügt wurde, hatte sie den Zweck, zu einem festgesetzten Preise und unter tiefster Verschwiegenheit Verbrechen aller Art auszuführen. Der Mord stand am höchsten verzeichnet in diesem originellen Preiscourant, welcher unter anderm auch Entführungen von Männern und Frauen und Austheilung von Dolchstichen, je nach Erforderniß mit oder ohne tödtlichen Ausgang, umfaßte.

An der Spitze Aller stand ein Großmeister (hermano mayor, wörtlich: älterer Bruder), der zuweilen eine hervorragende Stellung im Staatsdienst einnahm; von ihm gingen die Befehle an das Personal des Bundes aus, das aus guapos, einer Art von ausgesuchten Banditen, bestand. Dieselben waren in zwei Unterclassen geschieden, guapos punteadores, das heißt Austheiler von Dolchstichen, und guapos floreadores, welch letztere zunächst sich mit der Anwartschaft auf jenen höheren Grad zu begnügen hatten, die aber dennoch schon geschickte Diebe waren und zuweilen einen Lehrcursus in den Gefängnissen von Sevilla oder Malaga durchgemacht hatten. Dann folgten die fuelles, wörtlich: Flüsterer oder Spürhunde, deren Name hinlänglich ihre Beschäftigung charakterisirt. Helfershelfer von weiblichem Geschlechte waren die coberteras (Hehlerinnen) und die serenas, junge schöne Frauenzimmer, welche die Opfer an Orte zu locken hatten, die der Durchführung des Verbrechens günstig waren.

Die Mitglieder der Garduna erhielten bei der Aufnahme einen besonderen Ordensnamen, und zwar bezeichnete derselbe in der Regel eine Eigenthümlichkeit oder hervorstechende Eigenschaft des Betreffenden, z. B. manofina (Feinhand) oder cuerpo de hierro (Eisenleib) etc. Ebenso hatte man den auszuführenden Verbrechen unverdächtig klingende Namen gegeben; so nannte man Dolchstiche: Taufen; Reise wurde der Raub auf der Heerstraße genannt, Ertränkungen hießen Bäder. War ein Verbrecher zum Bagno verurtheilt, so sagte man, er sei der königlichen Marine zugetheilt etc. Der Stützpunkt und Hauptversammlungsort dieser furchtbaren Gesellschaft war nicht die Hauptstadt Madrid, sondern Sevilla nebst Umgebung; ein daselbst gelegener alterthümlicher und halb verfallener Palast maurischen Stils wurde jahrelang zu ihren Zusammenkünften benutzt. Die Versammlungen begannen und schlossen mit Gebet, und ein Bildniß der heiligen Jungfrau, unter dem sich eine Opferbüchse befand, schmückte den Raum, wo man zusammenkam.

Als bei der oben erwähnten Gefangennahme der Letzten des Bundes auch dessen Papiere aufgefunden wurden, erhielt man Einsicht in die Statuten, aus denen hier nur noch folgende Punkte erwähnt sein mögen:

Die Novizen des Ordens, welche ein Jahr lang dienen mußten, bevor sie zu den eigentlich ausübenden oder thätigen Mitgliedern zählten, und die man chivatos (Ziegen) nannte, erhielten eine Geldentschädigung für Nahrung und Kleider; die Andern empfingen ein Drittel des Beutegeldes, während der Rest zur Hälfte in die allgemeine Casse floß, um Messen für die armen Seelen Verstorbener oder Gerichteter lesen zu lassen und um Gerichtsbeamte oder Gefangenwärter u. dergl. zu bestechen, die andere Hälfte aber dem Großmeister zufiel. Alle Brüder, hieß es in den Statuten, müssen lieber als Märtyrer sterben, als daß sie Verräther werden, und auch die weiblichen Theilnehmer des Bundes sind verpflichtet, diesem mit Leib und Seele zu dienen.

Eine besondere Sorgfalt verwandte man, um die Mitglieder zu ihren Ausführungen und Thaten gründlich geeignet zu machen und praktisch auszubilden. Sie erhielten Unterricht im Nachahmen der verschiedensten Thierstimmen; Nachts dienten besonders der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_294.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)