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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Mitte nimmt der bis zu einer Höhe von zwanzig Meter aufsteigende Vestibülbau ein, welcher durch beide Geschosse hindurchgeht; ihn krönt die mächtige Uhr, deren Seiten die vom Bildhauer Brunow modellirten Figuren des Tags und der Nacht, in Kupferniederschlag von Riedinger in Augsburg ausgeführt, einnehmen; drei kreisrunde Fensteröffnungen und die beiden Sandsteinreliefs des Bildhauers Geier „Ingenieurwissenschaft“ und „Architektur“ beleben ihn. Am Vestibül tritt wiederum die niedrigere Unterfahrt in einer Höhe von 11 Meter vor, welche sich gegen den Askanischen Platz mit drei Rundbogen öffnet. Von hier aus findet der Zutritt zu dem Bahnhofe statt, und zwar ist Raum für die gleichzeitige Vorfahrt von drei Droschken genommen.

Die Langseiten des Bahnhofes sind, wenn auch natürlich nicht mit so prächtiger Façade, wie die der Hauptfront, geschmückt, dennoch durch die mächtigen Bogenfenster der Halle, sowie durch die gemusterten Füllungen der breiten Pfeiler in anziehender Weise belebt.


Der neue Anhalter Bahnhof in Berlin: Die Verkehrshalle.
Originalzeichnung von Neubauer.[WS 1]


Nachdem wir die äußere Schönheit des Werkes in Augenschein genommen, betreten wir vom Askanischen Platze aus durch die Unterfahrt das Innere des Bahnhofs. Drei Thüren vermitteln den Eingang in das mächtige Empfangsvestibül, dessen Umfang 390 Quadratmeter beträgt. Die Großartigkeit in der Anordnung des ganzen Gebäudes offenbart sich hier sofort dem Beschauer, indem unmittelbar ein freier Einblick bis weit in die große Bahnhofshalle beziehentlich das Dachwerk derselben gewährt wird. Im Vestibül befinden sich links die sechs Billetschalter, während sich rechts der Raum für die Gepäckannahme anschließt. Das hier abgegebene Gepäck gelangt durch die überwölbten Schachte des Erdgeschosses auf Karren bis zu hydraulischen Aufzügen. Mittelst derselben werden die Güter zur Perronhöhe emporgehoben und sodann auf besonderen, zwischen den Abfahrtsgeleisen liegenden Gepäckperrons bis zu den für ihre Verladung bestimmten Wagen gekarrt. Durch zwei entsprechende Versenkungen an der linken Seite des Bahnhofs gelangt das von den Gepäckperrons der Ankunftsgeleise gekarrte Personengut der ankommenden Reisenden nach dem Tunnel und von dort zur Gepäckausgabe. Dieser sinnreichen Einrichtung zufolge wird die Belästigung der Reisenden durch das sonst übliche Hin- und Herstoßen der Gepäckkarren auf die glücklichste Weise vermieden.

Wir verlassen das Vestibül und dringen auf einem breiten, oben in zwei Arme sich spaltenden Treppenaufstieg zu der großen Corridorhalle, dem Vorraum zur eigentlichen Bahnhofshalle, empor. Dieses Foyer, welches eine Länge von 87 Meter erhielt, entfaltet, im Osten und Westen durch Kuppelräume mit Oberlicht abgeschlossen, eine ungemein imposante architektonische Wirkung. Es übertrifft die berühmte Vorhalle der Peterskirche zu Rom in der Länge um 15 Meter.

Von der Corridorhalle führen rechts wie links vier Thüren in den eigentlichen Kopfperron der Bahnhofshalle. Der ungeheure Raum, dessen Grundfläche fast derjenigen des Marcus-Platzes von Venedig gleich ist, liegt voll vor unseren erstaunten Blicken. Ueber uns wölbt sich die mächtige Rundung der Halle in ihrer bisher von keinem ähnlichen Baue erreichte Höhe von 34,25 Meter. Die 60,72 Meter betragende Breite des Raumes wird nur von der Sanct-Pancrasstation zu London und der Centralstation zu Birmingham übertroffen. Vor uns liegen in gerader Richtung die Schienenstränge für die einlaufenden und abgehenden Züge und an denselben die zwei Seiten- und zwei Mittelperrons für die ein- und aussteigenden Reisenden. Es ist ermöglicht, daß hier zu gleicher Zeit sechs verschiedene Personenzüge, und zwar vier abgehende und zwei einlaufende, Aufstellung finden können.

Auf der rechten Seite des Kopfbaues befinden sich für das abreisende Publicum Wartesäle von mächtiger Ausdehnung, an welche sich die Räume für die Telegraphie, für die Stationsbeamten, sowie die Empfangssäle für den kaiserlichen Hof anschließen. Auf der linken Seite öffnet sich mit drei Thüren das 300 Quadratmeter große Ausgangsvestibül für die angekommenen Reisenden. Neben demselben ist durch Einrichtung eines Wartesaals für das auf die Ankommenden wartende Publicum einer sonst selten berücksichtigten Forderung Rechnung getragen. Hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_297.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)