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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Die Augen, von tiefstem Dunkelblau, hatten durchaus nichts von jener Ruhe und Sanftmuth, die man sonst in dem blauen Auge sucht; vielmehr sprühte auch hier der ganze kecke Uebermuth, den die Jugend und das Glück nur zu geben vermögen. Das Grübchen, das beim Lächeln die Wangen vertiefte, war allerliebst, aber um den kleinen Mund lag ein Zug, der entschieden auf Trotz deutete, und das Köpfchen dort unter den widerspänstigen Locken sah ganz so aus, als beherberge es allerlei Launen und Eigensinn. Aber vielleicht war es gerade dies, was dem Gesicht den eigenthümlich pikanten Zauber lieh, der unwiderstehlich fesselte und den Blick fast zwang, darauf zurückzukehren.

Der jungen Dame entging keineswegs der Eindruck, den ihre Erscheinung machte, und daher mochte auch wohl das Lächeln stammen, das den ungeduldigen Ausdruck in ihren Zügen verdrängte. Uebrigens dauerte das Verstummen Edmund's nicht lange. Verlegenheit und Schüchternheit gehörten durchaus nicht zu seinen Fehlern, und er war eben im Begriff, mit einem Compliment zu debütiren, als Oswald dazwischen trat.

„Die Schwierigkeit dürfte nunmehr gehoben sein,“ sagte er mit einer leichten Verbeugung. „Wenn Sie uns gestatten, mein Fräulein, Ihre Pferde vor die unsrigen zu legen, so wird es wohl möglich sein, zunächst die Postchaise durch den Schnee zu bringen, und dann in der gleichen Weise Ihren Wagen hinüber zu schaffen.“

„Ungemein praktisch!“ sagte Edmund, der sich unbeschreiblich ärgerte, daß er in seinem Complimente und in der sonstigen Entfaltung seiner Liebenswürdigkeit unterbrochen wurde, aber auch die junge Dame schien befremdet über den kurzen trockenen Ton, in welchem der Vorschlag gemacht wurde. Die höchst unpraktische Bewunderung des Grafen Ettersberg war ihr augenscheinlich weit angenehmer, als die praktische Gleichgültigkeit seines Begleiters.

Sie sagte nun auch ihrerseits sehr kurz:

„Ich bitte, verfügen Sie ganz nach Belieben!“ befahl dem Kutscher, den Anordnungen des fremden Herrn zu folgen, und machte dann Anstalt, in ihrem Wagen vor dem unaufhörlichen Schneetreiben Schutz zu suchen.

Edmund folgte ihr schleunigst. Er fand es nöthig, ihr beim Einsteigen zu helfen, und ebenso nöthig, auf den Wagentritt zu steigen, um über den weiteren Verlauf der Sache, die Oswald sofort mit voller Energie in Angriff nahm, Bericht zu erstatten.

„Jetzt setzt sich der Zug in Bewegung,“ rapportirte er durch das niedergelassene Wagenfenster. „Sie zwingen es kaum mit dem doppelten Gespann – da am Abhange wird die Sache bedenklich, die unglückliche Postkutsche kracht und wankt in allen Fugen – die beiden Rosselenker benehmen sich sehr ungeschickt; es ist nur ein Glück, daß mein Begleiter als Commandant das Ganze leitet. Das Commandiren versteht er ausgezeichnet. – Wahrhaftig, da legen sie Bresche in den Schneewall! Es geht wirklich. Oswald steht bereits drüben und giebt ihnen die Richtung an.“

„Und Sie stehen inzwischen hier auf dem Wagentritt,“ spottete die junge Dame.

„Aber mein Fräulein,“ vertheidigte sich Edmund. „Sie werden doch nicht verlangen, daß ich Sie allein auf der Landstraße lasse. Irgend Jemand muß doch zu Ihrem Schutze hierbleiben.“

„Ich glaube nicht, daß hier ein räuberischer Ueberfall zu fürchten ist; unsere Landstraßen sind sicher, so viel ich weiß. Sie scheinen aber diesen Standpunkt sehr zu lieben.“

„Da er mir eine so reizende Aussicht bietet – gewiß!“

Die kecke Galanterie mißfiel offenbar; denn augenblicklich flog der dunkelblaue Schleier wieder herab und verhüllte die eben noch so gerühmte Aussicht. Graf Edmund war etwas betreten. Er sah seine Uebereilung ein und wurde respectvoller.

Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis die Postkutsche über die bedenkliche Stelle geschafft war. Endlich stand sie drüben; Oswald kehrte zurück, und die Kutscher mit den Pferden folgten. Edmund stand noch immer auf dem Wagentritt und schien auch Absolution für seine Keckheit erhalten zu haben; denn es war ein äußerst lebhaftes Gespräch zwischen ihm und seiner Schutzbefohlenen im Gange. Nur fand diese ein boshaftes Vergnügen daran, ihm fortgesetzt ihren Anblick zu entziehen; der Schleier lag noch immer über ihrem Gesichte, als Oswald herantrat.

„Ich muß Sie ersuchen, auszusteigen, mein Fräulein,“ sagte er. „Der Abhang ist ziemlich steil und der Schnee sehr tief. Unsere Postchaise war mehrere Male in Gefahr, umgeworfen zu werden, und Ihr Wagen ist bedeutend schwerer. Die Fahrt würde bedenklich sein.“

„Aber Oswald, welche Idee!“ rief Edmund. „Die Dame kann doch nicht den Weg zu Fuß zurücklegen – das ist unmöglich.“

„Das nicht, nur etwas unbequem,“ lautete die gleichmüthige Antwort. „Die Wagen haben einigermaßen Bahn geschafft, und wenn wir ihnen unmittelbar folgen, so ist die Sache nicht so schwierig. Wenn die Dame es indessen nicht wagt –“

„Nicht wagt?“ unterbrach ihn diese in gereiztem Tone. „O, mein Herr, ich bitte mir doch nicht so viel Furchtsamkeit zuzutrauen. Ich werde es unter allen Umständen wagen.“

Damit verließ sie rasch den Wagen und stand in der nächsten Minute draußen auf der Chaussee. Hier aber erfaßte der Wind den bisher hartnäckig festgehaltenen Schleier, der hoch aufflatterte. Zwar griffen die kleinen Hände sofort danach, aber er hatte sich fest um den Hut geschlungen, und der Versuch, ihn wieder herabzuziehen, mißglückte, zum größten Vergnügen Edmund's, der nun ungestört die „Aussicht“ bewundern konnte.

Inzwischen waren die Pferde vor den zweiten Wagen gelegt worden. Da die Bahn bereits gebrochen war, so ging die Fahrt diesmal leichter von Statten; trotzdem hatte Oswald, der unmittelbar folgte, fortwährend zu lenken und einzugreifen. Das Schneetreiben wollte noch immer kein Ende nehmen, und der Wind trieb die Flocken wirbelnd durch einander. Die Dämme zu beiden Seiten des Weges waren nur undeutlich wie durch einen weißen Schleier sichtbar, während jeder weitere Ausblick im Nebel verschwand. Es gehörte sehr viel jugendlicher Uebermuth dazu, um dieses Wetter und diesen Weg erträglich oder gar amüsant zu finden. Zum Glücke besaßen die beiden jüngeren Passagiere diese Eigenschaft in hohem Maße. Sie betrachteten das Ganze offenbar als Vergnügungspartie. Das beschwerliche Vorwärtskommen, wo man bei jedem Schritt in den Schnee einsank, der fortwährende Kampf mit dem Winde, all die kleinen und großen Hindernisse, die überwunden werden mußten, waren ihnen eine unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit. Die Unterhaltung stockte nicht einen Augenblick – das flog wie Raketenfeuer hinüber und herüber; jedes Wort wurde aufgefangen und zurückgegeben. Keiner blieb dem Andern einen Spott oder eine Neckerei schuldig, und das Alles ging so unbefangen, so selbstverständlich, als hätten sich die Beiden schon seit Jahren gekannt.

Endlich war man glücklich drüben angelangt. Der Weg, der sich hier nach zwei verschiedenen Richtungen hin theilte, ließ ein ferneres Hinderniß nicht mehr besorgen. Die Wagen standen bereits neben einander, und die Gespanne wurden soeben in Ordnung gebracht.

„Wir werden uns jetzt wohl trennen,“ sagte die junge Dame, auf den Weg deutend. „Sie fahren jedenfalls die Poststraße; mein Reiseziel liegt nach jener Richtung hin.“

„Aber doch wohl nicht allzu weit?“ fragte Edmund rasch. „Ich bitte um Verzeihung, aber dieses Reise-Abenteuer mit seinen elementaren Hindernissen hat alle Etikette aufgehoben. Wir haben uns Ihnen noch nicht einmal genannt. Sie erlauben, mein Fräulein, daß ich in dieser etwas ungewöhnlichen Situation“ – er stemmte sich mit aller Gewalt gegen einen Windstoß, der ihm den Mantelkragen in die Höhe schlug und einen nassen Flockenschauer in das Gesicht trieb – „mich Ihnen vorstelle. Graf Edmund von Ettersberg, der das Vergnügen hat, Ihnen zugleich seinen Vetter, Oswald von Ettersberg, zu präsentiren. Die nöthigen Salonverbeugungen müssen Sie uns erlassen, sonst wirft uns dieser liebenswürdige Nordost sofort zu Ihren Füßen in den Schnee.“

Die junge Dame stutzte bei der Nennung des Namens.

„Graf Edmund? Der Majoratsherr zu Ettersberg?“

„Zu Befehl!“

Um die Lippen der Fremden zuckte es wie ein mühsam unterdrückter Lachreiz.

„Und Sie sind mein Beschützer gewesen? Wir haben uns mit unseren Pferden gegenseitig aus der Noth geholfen? O, das ist unvergleichlich.“

„Mein Name scheint Ihnen bekannt zu sein,“ sagte Edmund. „Darf ich nun auch meinerseits erfahren –“

„Wer ich bin? Nein, Herr Graf, das erfahren Sie jetzt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_303.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)