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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Vaters handelte. Sie würden sonst blindlings, ohne Rücksicht auf Neigung oder Widerwillen, ihre Zustimmung gegeben und geloost haben, welche von Beiden sich als die Braut Sergey’s erklären sollte. Nikolai aber wollte, daß unter allen Umständen die Entscheidung aus einem von jeder Nebenrücksicht freien Gefühle entspringe.

Am nächsten Tage blieb Alles so still im Hause, daß der Gast weder den Vater noch die Töchter in den Vormittagsstunden zu Gesicht bekam. Nikolai war, als man ihm gesagt, daß Matrjona wieder bei ihren häuslichen Beschäftigungen und Milinka bei ihren Büchern sei, in das Zimmer seiner Kinder gekommen und hatte eine lange Unterredung mit ihnen geführt. Jetzt, vor Tische, kam er zu Sergey und zeigte eine betrübte Miene.

„Wir haben es nicht gut gemacht, Bruderherz,“ sagte er; „die Kinder, die neugierig vor mir standen, waren von der Proposition, daß eine von ihnen Dich nehmen sollte, so überrascht, ich will nicht sagen, bestürzt, daß sie auf ihre Sessel niedersanken. Sie ließen die Köpfe hängen. Ob sie Dich denn nicht leiden könnten, ob sie Dich haßten? fragte ich. Da betheuerte Jede einzeln mit feurigen Worten – und ich habe sie selten in einer Sache in solcher Uebereinstimmung gefunden – daß sie Dich liebe, wie einen theuren Freund; aber um keinen Preis – kurz, wir haben es nicht gut angefangen. Denn ich will Dir etwas sagen, Sergey Iwanowitsch!“

Er räusperte sich und rang nach dem Ausdruck:

„Weißt Du, daß, wenn Du an Eine herangetreten wärest, an welche immer, aber mit entschlossener Wahl, sie hätte Dich sogleich genommen. Denn sie sind Dir Beide gut, und die Gewählte hätte sich geliebt geglaubt und wäre von der Andern beinahe beneidet worden. Jetzt, da Du sozusagen um Beide zugleich wirbst, vermissen sie die Liebe in Dir, und für Keine hat die Sache irgend einen Reiz.“

Sergey senkte betroffen das Haupt.

„Was sagte ich den Kindern darauf?“ fuhr Nikolai fort: „Ihr seid unerfahrene Mäuse. Ihr kennt die Fallen nicht, die Euch das Leben stellt. Wißt Ihr, was geschieht, wenn ich meinem Freunde vermelde, daß Jede von Euch sich weigert, ihn zu erhören? Ein abgewiesener Freier kommt niemals wieder in das Haus, in welchem er einen Korb bekommen hat – das fordern Selbstgefühl und Schicklichkeit.“

Nikolai betrachtete nach diesen Worten fragend seinen Freund, und da dieser mit keinem Zuge des Gesichtes seine Meinung verrieth, fuhr Nikolai fort:

„Kaum hatte ich dies den Mädchen gesagt, als sie in ein Jammergeschrei ausbrachen. Sie beschworen mich, Dir von meiner Unterredung mit ihnen noch gar nichts zu sagen. Ich sollte Dir melden, ich hätte die Werbung noch hinausgeschoben; ich müßte Deinen Antrag selbst noch bedenken. Ich versprach es ihnen nicht, aber, wenn Du willst, so kannst Du thun, als wüßtest Du von ihrer Weigerung noch nichts, und kommst also ganz unbefangen zu Tische. Ja, wenn Du ignorirst, daß ich für Dich geworben und vergeblich geworben habe, so bekommst Du ihnen gegenüber freie Hand, noch gut zu machen, was verdorben ist, nämlich Dich für die Eine oder die Andere bestimmt zu entscheiden.“

„Ich tauge nicht gut zum Komödienspiel,“ erwiderte Sergey; „ich soll mich jetzt stellen, als wüßte ich nicht, daß sie meine Absichten von Dir erfahren haben? Wenn ich auch unbefangen bliebe, würden sie es bleiben? Wäre es nicht immer ein gestörtes Beisammensein? Nein! Ich lege Deinen Töchtern die Karten offen auf den Tisch. Bringe mich noch in dieser Stunde mit ihnen zusammen, ich habe ihnen einen Vorschlag zu machen, und Du mußt dabei sein und Deine väterliche Einwilligung geben.“

Die vier Betheiligten kamen im Salon zusammen, dessen Thüren gesperrt wurden.

„Meine Fräulein,“ sagte Sergey, „die unbestimmte Werbung, die Ihnen der Vater überbrachte, sollte mir nur das Recht verschaffen, Ihnen sagen zu dürfen, was ich mit Ihnen vorhabe. Die Gräfin Varinka Tschatscherin, meine Tante, wünscht lebhaft meine Verheirathung. Trotz großer Kreise, die sie umgeben, lebt sie sehr einsam. Ihre Tochter ist in Paris verheirathet; die Tante sehnt sich nach einer Nichte, an der sie wieder etwas Verwandtes, eine weibliche Stütze um sich hätte. Wenn ich nun die Töchter meines theuersten Freundes gefragt habe, ob sich eine als Lebensgefährtin mir anschließen wolle, so war ich nicht so vermessen zu glauben, die Entscheidung werde augenblicklich erfolgen. Nicht nur bin ich dazu nicht jung, schön und anspruchsvoll genug, gegenüber so vieler Jugend, Schönheit und Berechtigung, das Beste anzusprechen – auch Sie, meine lieben Freundinnen, sind dazu nicht welterfahren genug. Sie haben bisher in trauter Stille, fern vom Treiben der Welt gelebt; ich bin fast der einzige Mann, der sich Ihnen näherte – es hieße Ihre Jugend, Ihre Unerfahrenheit ausbeuten, wenn man Sie wählen ließe, ohne daß Sie mit Anderen vergleichen können, ohne daß Sie jemals Gelegenheit gehabt, die Menschen, die Verhältnisse der großen Welt kennen zu lernen.“

Er hielt inne; die Mädchen schlugen die Augen nieder. Die Miene Matrjona’s schien Zustimmung zu dem Gesagten auszudrücken, die Milinka’s eher Verletzung, daß man ihr, der Vielbelesenen, die Kenntniß der Dinge dieser Welt nicht zutraute.

„Ich habe nun gedacht,“ fuhr Sergey fort, „daß es gut wäre, Ihnen Gelegenheit zu geben, die Welt kennen zu lernen. Wenn ich der Tante schreibe, daß ich diejenige von Ihnen zur Gattin wählen will, die sich nach einigem Verkehr im Leben der Welt dafür entscheidet, so wird die gute Frau Sie mit offenen Armen in ihrem Hause empfangen, zunächst erfreut darüber, Jugend und Frohsinn um sich zu haben. Sie verbringen die Wintermonate in Petersburg. Sie beobachten, wie es in der großen Gesellschaft aussieht, Sie begegnen Männern, ausgezeichnet durch Geist, Liebenswürdigkeit und hervorragende Stellung, auch der Werth oder Unwerth weltlicher Freuden macht sich Ihnen fühlbar – und wenn sich Ihnen zuletzt ein Loos nach Ihren Wünschen darbieten sollte, besser als Sie es an meiner Seite finden, so trete ich zurück, zwar mit dem Schmerz, entsagen zu müssen, aber mit befriedigter Freundschaft. Darum bitte ich Sie, mir zu gestatten, wenigstens an die Möglichkeit zu glauben, daß Sie sich einst für mich entscheiden; denn diese Möglichkeit allein giebt mir das Recht, Sie bei meiner Tante einzuführen, und sichert Ihnen von Ihrer Seite den freudigsten Empfang. Wollen Sie nach Petersburg reisen?“

Matrjona sprang lachend von ihrem Sitz auf und klatschte in die Hände.

„Es wäre himmlisch, Petersburg zu sehen, all die berühmten Plätze und Promenaden, die Boutiquen, die Theater, die Gesellschaften! Und was man da lernen kann für Haus und Leben, tausend Dinge, die wir auf dem Lande nie erfahren!“

Milinka blieb ruhig auf ihrem Sitz; ein Zug verächtlicher Gleichgültigkeit spielte um ihre Lippen.

„Die Welt bietet nichts, was das Herz ausfüllen könnte – ich weiß es! All der Glanz und die Vergnügungen haben keinen Reiz für mich, aber ich wäre es im Grunde zufrieden, meine richtige Werthschätzung der Dinge dieser Welt auch einmal thatsächlich zu erproben.“

„Halt!“ sagte jetzt Nikolai, „darüber habe ich vorher noch ein Wort mit diesem Schwärmer zu sprechen.“

Er zog Sergey in die Fensternische und eine leise Debatte, eifrig aber kurz, wurde über die finanziellen Mittel zur Ausführung des Planes zwischen den Freunden geführt. Sergey nannte es Verrath am Vaterlande und an der Freundschaft, wenn bei diesem Anlaß der ganze Umfang russischer Gastfreundschaft nicht unbedenklich in Anspruch genommen würde. Außerdem bekannte er rund heraus, daß er Kenntniß von der gefährlichen Lage Nikolai’s gewonnen habe und diesen für verpflichtet halte, Vorschläge anzuhören, deren Erwägung nur an Ort und Stelle, nur in Petersburg möglich wäre. Nikolai mußte zugeben, daß, nachdem der Freund sich in die Sachlage gleichsam eingedrängt hatte, es am besten wäre, ihm für einige Zeit die Führung zu überlassen.

So kehrte denn Nikolai zu seinen Töchtern zurück, um ihnen seine Zustimmung zu der Reise nach Petersburg mitzutheilen. Die Mädchen umarmten sich im ersten Augenblick des Entzückens. Denn eine Abwechslung im „ermüdenden Gleichmaß der Tage“ war auch für Milinka erfreulich, obgleich ihre Wehmuth, gewohnte Verhältnisse verlassen zu müssen, gleich wieder zum Vorschein kam und sie von Neuem die Ueberzeugung aussprach, daß die Welt ihr kein Glück zu bieten haben werde. Matrjona hingegen machte kein Hehl aus ihrem Jubel, aus der vollen, kindlichen Hingebung an die unerwartete Freude.

Es wurde nun beschlossen, daß Sergey nach seinem Gute zurückkehre, um von dort aus der Gräfin Tschatscherin den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_331.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)