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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


dafür angestellte Beamte arbeitet in angestrengtester Weise mit mehreren Gehülfen, um den ersten Anforderungen zu genügen.

Der Forscher, welcher in der Station arbeitet, soll dort Alles vorfinden, was ihm zu seiner Arbeit nöthig ist. In keinem andern Laboratorium, so weit ich sie kenne, findet sich eine Bibliothek, welche sich nur im Entferntesten mit derjenigen der Station in Neapel vergleichen ließe. Ein Bibliothekar ist nöthig, sie in Ordnung zu halten. Wenn derselbe heute noch nebenbei zeichnet und wissenschaftlich forscht, so wird dies bald, bei fortschreitender Vermehrung der Bibliothek, kaum mehr möglich sein. –

„Ist das Thier, welches ich eben untersuche, auch wirklich die Art, für die ich es halte?“ Eine oft ungemein schwer zu beantwortende Frage, die sich aber leichter lösen läßt, wenn eine typische Sammlung sämmtlicher im Golfe gefundener Arten existirt, mit welcher ich meinen Fund vergleichen kann. Aber es giebt tausend und abertausend Arten, und der Beamte, der dieselben sammeln und bestimmen soll, schwitzt manchmal Tage lang über Texten und Zeichnungen, bis er die richtige Lösung findet.

„Ich komme, um die Entwickelung des Amphioxus zu studiren,“ sagt ein in den Osterferien eintretender Forscher.

„Thut uns leid, das Thierchen laicht erst im Hochsommer – haben Sie den Katalog der Erscheinungs- und Laichzeiten nicht nachgesehen, den wir veröffentlicht haben und alljährlich vervollständigen? Wenden Sie sich an Herrn Doctor Eisig – er wird Ihnen sagen können, was jetzt vorkommt, laicht, sich fortpflanzt und entwickelt!“

„Kann ich Bonellia bekommen?“ fragt ein Anderer. „Ich möchte gern diesen merkwürdigen Wurm studiren, dessen winzige Männchen als Schmarotzer in den Organen des riesigen Weibchens leben.“

„Sie sollen welche haben bei dem nächsten Ausfluge des Dampfers nach Gaëta, wo das Thier in Menge in Löchern des Uferkalkes lebt; hier in der Nähe ist es zu selten, als daß wir eine bestimmte Zusage machen könnten.“

Es ist klar, daß die Station eine ebenso vollständige Kenntniß der Erscheinungszeiten, der Entwickelungsperioden der Thiere und Pflanzen besitzen muß, wie sie andererseits wissen muß, an welchen Orten, in welcher Tiefenzone dieses oder jenes Wesen zu haben und wie ihm am leichtesten beizukommen ist. Sie muß nach und nach den Golf und seine Bewohner, deren Wechsel und Standorte ebenso genau kennen, wie ein Forstmann sein Revier, um den wissensdurstigen Jägern ihre tägliche Beute zuführen zu können.

Als vor vierzig und mehr Jahren die Forschungen am Meeresufer allgemeiner zu werden begannen und sich von dem elementaren Sammeln und Suchen nach neuen Orten zu tieferen Studien über die Organisation und Entwickelung der Seethiere ausbildeten, da war fast Alles neu, die Mühe geringer, der Erfolg sicherer. Ein Aufenthalt von einigen Wochen während der Ferien gab Ausbeute genug – es bedurfte nur eines Bootes, eines Netzes und eines Mikroskopes, um die kurze Zeit fruchtbringend verwenden zu können. Damals schöpfte man gewissermaßen den Rahm ab. Aber jetzt sind diese von selbst sich bietenden Gegenstände nahezu erschöpft; es bedarf längerer Studien, zeitraubender Präparationen, um die verwickelten Fragen beantworten zu können, welche die Wissenschaft täglich aufwirft. Je mehr die Untersuchung sich vertieft, desto bedeutender werden die Forderungen nach den Hülfsmitteln, deren sie bedarf. Es geht hier so, wie bei allen anderen Forschungszweigen. Das Postament eines einzigen Teleskopes kostet heutzutage mehr, als zu Galilei’s Zeiten sämmtliche Sternwarten der Welt in ihrer Gesammtheit, und zur Beobachtung eines so einfachen Phänomens, wie der Durchgang der Venus vor der Sonne, mußten sich alle civilisirten Nationen der Welt verbinden und förmliche Flottenexpeditionen ausrüsten.

So ist denn auch hier aus den Forderungen der Wissenschaft selbst eine großartige internationale Anstalt erwachsen, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens ihre Nothwendigkeit schon dadurch documentirt hat, daß eine Menge kleinerer Anstalten entstanden sind, welche ähnliche Zwecke, wenn auch mit geringeren Mitteln und größerer localer Beschränkung fördern. Man kann dies nur mit Freuden begrüßen – aber wenn diese localen Anstalten nützlich und nothwendig sind, so ist damit nicht gesagt, daß die größere Centralanstalt deshalb unnöthig geworden wäre. Die großen Universitäten haben die kleinen nicht entbehrlich gemacht – im Gegentheile – das rege Leben der Glieder führt dem Mittelpunkte und dieser den kleineren Anstalten größere Kräfte zu.

Die zoologische Station in Neapel ist die Gründung eines jungen, energischen, deutschen Forschers, Dr. Anton Dohrn aus Stettin, der sich nicht gescheut hat, ein bedeutendes eigenes Capital von 100,000 Mark darauf zu verwenden, für eine weitere Summe von etwa 75,000 Mark einzustehen und mit größter Uneigennützigkeit seine ganze, wirklich staunenswerthe Thätigkeit dem Unternehmen zu widmen. Die Anstalt, welche jetzt erst seit sechs Jahren eröffnet ist, kämpft noch immer, trotz bedeutender Zuschüsse von Regierungen Instituten, Gesellschaften und Privaten, mit einem stets zunehmenden Deficit. Als Speculation von Seiten eines Privatmannes betrachtet, wäre sie ein absolut hoffnungsloses Unternehmen, das nothwendig zum Ruin führen müßte.

Gar Mancher hat schon eine unglaubliche Energie und seine ganze Existenz an Unternehmungen geknüpft, welche nicht aufrecht erhalten werden konnten. Hätte die zoologische Station in Neapel nicht ihre innere Berechtigung, wäre sie nicht eine unabweisliche Nothwendigkeit für die Wissenschaft, so könnte man den Gründer bedauern, ohne die Verpflichtung zu fühlen, seine Schöpfung über dem Wasser zu erhalten.

Glücklicher Weise ist dem nicht so. Ich stehe nicht an, zu behaupten, daß die zoologische Station in Neapel gegründet werden müßte, wenn sie nicht schon existirte, und daß sie in diesem Falle immer wieder als internationales Institut in einer ähnlichen oder noch größeren Ausdehnung in's Leben gerufen werden müßte.

Die nationale Arbeit wird immer, in jeder Wissenschaft, die Grundlage und Bedingung des Fortschrittes sein, während die internationale Vereinigung die Krönung des Werkes bildet. Wir haben nicht umsonst in allen Wissenszweigen, neben den nationalen Gesellschaften, die internationalen Versammlungen und Congresse; sie sind eine wesentliche Bedingung des auf gegenseitigem Verständniß beruhenden allgemeinen Fortschrittes. Hier ist, in einer Wissenschaft, welche einerseits im höchsten Grade von der Ausbildung der technischen Methoden, andererseits von dem Kampfe der theoretischen Gesichtspunkte abhängt, eine beständige internationale Vereinigung geschaffen, in welcher keine Lehre dominirt, kein Meister Bedingungen vorschreiben kann. Das ist eine unschätzbare Wohlthat für den Arbeitenden, der durch die unmittelbare persönliche Bekanntschaft aus dem engen Kreise angelernter oder angenommener Anschauungen und Vorurtheile heraustritt.

Es wäre meines Erachtens ein großes Unglück für die Wissenschaft selbst, wenn, durch die Verhältnisse gezwungen, die Station diesen internationalen Charakter abstreifte und eine exclusiv deutsche Anstalt würde. Daß das deutsche Reich und dessen Einzelstaaten in der Anstalt eine vorwiegende Rolle spielen, ergiebt sich schon aus der Nationalität des Gründers und aus der Thatsache des überwiegenden Antheils, welchen die deutsche Wissenschaft an den Forschungen dieser Art nimmt; es ist deshalb auch vollkommen gerechtfertigt, wenn Deutschland den größten Theil der Kosten übernimmt und im Interesse seiner nationalen wissenschaftlichen Arbeit von Reichswegen die Station ebenso gut unterstützt, wie das archäologische Institut in Rom; aber es ist zu hoffen, daß diese Unterstützung, für welche der Reichstag seine Geneigtheit in Folge einer von du Bois-Reymond, Helmholtz und Virchow unterzeichneten Person ausgesprochen hat, den deutschen Forschern auch die Gelegenheit erhalte, mit den Forschern anderer Nationen auf dem neutralen Felde der Wissenschaft zusammenzutreffen.

Das jährliche Budget der Station beträgt an Ausgaben etwa 80,000 Mark, an Einnahmen 42,000 Mark. Dem Vernehmen nach hat das deutsche Reich eine Summe von 30,000 Mark auf dem jährlichen Budget bewilligt, welche das Institut wird flott erhalten können, wenn es auf dem bisherigen Stande verharrt.

Es giebt unter den heute lebenden Naturforschern wohl nur wenige, welche so viele und lange Zeit den Seestudien gewidmet haben, wie ich. Es wäre mein höchster Wunsch in jüngeren Jahren gewesen, eine zoologische Station gründen zu können, und ich habe manchen Plan für eine solche ausgearbeitet. Das thut dem Verdienste Dohrn’s, der einen solchen selbstständig verwirklichte, keinen Eintrag. Aber es erlaubt mir doch wohl, als Sachverständiger zu sprechen, und da kann ich sagen, daß ich es für eine kolossale Aufgabe halte, zwanzig bis dreißig Naturforschern, die keine Anfänger, sondern selbstständige Arbeiter sind,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_343.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)