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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 22.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Der März und auch der größte Theil des April waren vergangen, und Schneegestöber und Kälte hatten nun endlich ein Ende genommen. Trotzdem ließ sich der Frühling noch immer erwarten; es sah noch recht öde aus draußen im Freien, wo sonst um diese Jahreszeit schon Alles im Frühlingsschmuck prangte. Vorläufig war von Wärme und Sonnenschein noch nicht viel die Rede, und die Witterung war und blieb wochenlang so unerfreulich wie nur möglich.

In den feindseligen Beziehungen zwischen Ettersberg und Brunneck hatte sich, dem äußeren Anschein nach, nichts geändert. Der Proceß nahm ungestört seinen Fortgang; jede der Parteien behauptete nach wie vor ihren Standpunkt, und von irgend einem Vergleich war nicht die Rede. Die Gräfin ertheilte alle Anweisungen im Namen ihres Sohnes, der sich um die ganze Angelegenheit nicht im geringsten kümmerte, und der Oberamtsrath vertrat seine minderjährige Tochter, die ja überhaupt noch gar keine Meinung haben konnte. Das war von Anfang an so gewesen und wurde als selbstverständlich angenommen.

Aber die beiden Hauptpersonen, die eigentlich den Proceß mit einander führten, verhielten sich keineswegs so passiv, wie es den Anschein hatte, und die Eltern, die mit der größten Hartnäckigkeit ihre „Principien“ verfolgten, ahnten nicht, was sich inzwischen im Stillen vorbereitete.

Rüstow war überhaupt während der letzten Wochen nicht in Brunneck gewesen. Seine Betheiligung an einem großen industriellen Unternehmen hatte ihn nach der Residenz gerufen. Man forderte auch hier seinen Rath und Beistand, aber die Sache zog sich in die Länge, und aus der anfangs nur kurz bemessenen Abwesenheit wurden volle vier Wochen.

Als Graf Ettersberg nach Verlauf von acht Tagen seinen Besuch in Brunneck wiederholte, fand er den Herrn desselben schon abwesend, aber Fräulein Hedwig und ihre Tante waren zu Hause, und Edmund versäumte es natürlich nicht, sich bei den Damen liebenswürdig zu machen. Diesem zweiten Besuch folgte bald ein dritter und vierter, und von nun an fügte es ein merkwürdiger Zufall, daß regelmäßig, wenn die beiden Damen einen Spaziergang, eine Ausfahrt oder einen Besuch in der Nachbarschaft unternahmen, der junge Graf immer genau zu derselben Zeit auf demselben Wege war. Das gab dann stets Gelegenheit zur Begrüßung und zu einem längeren oder kürzeren Zusammensein – kurz, der freundnachbarliche Verkehr war im vollsten Gange.

Der Oberamtsrath wußte freilich nichts davon. Seine Tochter hielt es nicht für nöthig, dergleichen in ihren Briefen zu erwähnen, und Edmund befolgte die gleiche Taktik seiner Mutter gegenüber. Seinem Vetter hatte er allerdings jenen ersten „Einbruch in das feindliche Lager“ triumphirend mitgetheilt, da Oswald aber einige scharfe Bemerkungen darüber gemacht und den Verkehr mit Brunneck während der Dauer des Processes als unpassend bezeichnet hatte, so wurde auch er keiner ferneren Mittheilung mehr gewürdigt.

Es war gegen das Ende des April, an einem ziemlich kühlen und trüben Vormittage, als Graf Edmund und Oswald durch den Wald schritten. Die Ettersberg'schen Waldungen waren sehr ausgedehnt und erstreckten sich auch über einen Theil jenes Höhenzuges, der sich als Vorläufer der eigentlichen Berge in das Land hineinschob. Die beiden Herren stiegen dort bergaufwärts, aber es schien nicht der Spaziergang zu sein, der sie hinausgelockt hatte; denn sie musterten prüfend die Umgebung, und Oswald sprach eindringlich auf seinen Vetter ein.

„Nun sieh Dir doch Deine Forsten an! Es ist unglaublich, wie in den letzten Jahren da gewirthschaftet worden ist; den halben Wald haben sie Dir niedergeschlagen. Ich begreife nicht, wie Dir das nicht auffallen konnte; Du bist ja fast täglich ausgeritten.“

„Bah, ich habe nicht darauf geachtet,“ sagte Edmund. „Du hast Recht, das sieht allerdings bedenklich aus, aber der Administrator behauptet, er hätte den Ausfall der anderweitigen Einnahmen nur auf diese Weise decken können.“

„Der Administrator behauptet alles Mögliche, und da er bei Deiner Mutter in großer Gunst steht, so glaubt sie ihm anstandslos und läßt ihn überall gewähren.“

„Ich werde mit meiner Mama darüber sprechen,“ erklärte der junge Graf. „Eigentlich wäre es besser, wenn Du das thätest. Du verstehst es weit klarer und nachdrücklicher auseinander zu setzen als ich.“

„Du weißt, daß ich Deiner Mutter nie einen Rath ertheile,“ entgegnete Oswald kalt. „Sie würde das auch von meiner Seite als ein unberechtigtes Eindringen auffassen und demgemäß abweisen.“

Edmund schwieg zu der letzten Bemerkung, deren Wahrheit er wohl fühlen mochte.

„Hältst Du den Administrator für betrügerisch?“ fragte er nach einer kleinen Pause.

„Nein, aber für gänzlich unfähig, seine Stellung auszufüllen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_349.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)