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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Er versteht nichts zu leiten, nichts zusammen zu halten. Wie in den Forsten, so sieht es in der ganzen Verwaltung aus. Jeder der Beamten wirthschaftet auf eigene Hand, und wenn das so fortgeht, werden sie Dir Deine Güter bald in Grund und Boden wirthschaften. Sieh Dir Brunneck an, wie es dort zugeht! Der Oberamtsrath zieht aus dem einen Gute so viel, wie Du aus Deiner ganzen Herrschaft, und Ettersberg hat noch ganz andere Hülfsquellen. Bisher hast Du Dich auf Andere verlassen müssen. Du warst ja jahrelang auf der Universität und dann im Auslande, jetzt aber bist Du eigens hier, um Deine Güter zu übernehmen; jetzt muß auch energisch eingegriffen werden.“

„Was Du in den sechs Wochen nicht alles herausgefunden hast!“ sagte Edmund mit aufrichtiger Bewunderung. „Wenn die Sache so steht, werde ich allerdings eingreifen müssen; wenn ich nur wüßte, wo ich eigentlich anfangen soll.“

„Für's Erste entlaß die Beamten, die sich unfähig erweisen, und ersetze sie durch bessere Kräfte! Ich fürchte freilich, daß Du dann fast das ganze Personal wechseln mußt.“

„Um des Himmelswillen nicht! Das giebt Weitläufigkeiten und Widerwärtigkeiten ohne Ende. Es ist mir peinlich, lauter neue Gesichter um mich zu sehen, und es wird Monate dauern, ehe sie sich einarbeiten. Inzwischen habe ich die ganze Last und muß Alles selbst thun.“

„Dafür bist Du aber der Herr. Du wirst doch wenigstens befehlen können.“

Edmund lachte. „Ja, wenn ich Deine Leidenschaft für das Commandiren hätte und Dein Talent dazu! Du würdest in vier Wochen Ettersberg total umgestalten und in drei Jahren eine Musterwirthschaft daraus machen, wie Brunneck es ist. Wenn Du mir nur wenigstens zur Seite bliebest, Oswald! Dann hätte ich doch eine Stütze, aber nun willst Du durchaus im Herbste fort, und dann sitze ich hier allein mit unzuverlässigen oder fremden Beamten. Schöne Aussichten! Ich habe das Majorat noch gar nicht einmal officiell angetreten, und schon ist es mir eine Plage geworden.“

„Das Schicksal hat Dich aber doch nun einmal zum Majoratsherrn gemacht,“ sagte Oswald sarkastisch, „also wirst Du die schwere Last wohl tragen müssen. Noch einmal, Edmund, es ist die höchste Zeit, daß hier irgend etwas geschieht. Versprich mir, daß Du ungesäumt zur Abhülfe schreiten wirst!“

„Ja, gewiß, unter allen Umständen,“ versicherte der junge Graf, den das Gespräch sichtlich langweilte. „Sobald ich nur irgend Zeit habe – jetzt habe ich so viel andere Dinge im Kopfe.“

„Wichtigere Dinge als das Wohl und Wehe Deiner Güter?“

„Vielleicht! Aber ich muß jetzt fort. Kehrst Du von hier aus nach Hause zurück?“

Die Frage klang eigenthümlich forschend. Oswald achtete jedoch nicht darauf; er hatte sich in offenbarer Verstimmung abgewendet.

„Gewiß! Kommst Du nicht mit mir?“

„Nein, ich will nach dem Forsthause hinüber. Der Förster hat meine Diana in Dressur genommen; ich muß einmal nach dem Thiere sehen.“

„Muß denn das gerade jetzt sein?“ fragte Oswald befremdet. „Du weißt ja, daß heute Mittag Dein Rechtsanwalt aus der Stadt kommt, um mit Dir und Deiner Mutter wegen des Processes zu conferiren, und Du hast versprochen, pünktlich zu sein.“

„O, bis dahin bin ich längst wieder zurück,“ sagte Edmund leichthin. „Adieu, Oswald! Mach' mir kein so finsteres Gesicht. Ich verspreche Dir, daß ich morgen ausführlich mit dem Administrator reden werde, oder übermorgen. Jedenfalls wird es geschehen – verlaß Dich darauf!“

Damit schlug er einen Seitenpfad ein und verschwand bald darauf zwischen den Bäumen.

Oswald sah ihm finster nach.

„Es wird auch morgen und übermorgen nichts geändert werden und überhaupt niemals. Da hat er wieder irgend eine unnütze Tändelei im Kopfe, und darüber kann ganz Ettersberg zu Grunde gehen. Freilich,“ hier zuckte ein Ausdruck tiefer Bitterkeit über das Gesicht des junge Mannes, „freilich, was geht das mich an! Ich bin ja ein Fremder auf diesem Boden und werde es bleiben. Wenn Edmund durchaus nicht hören will, so mag er die Folge tragen! Ich kümmere mich nicht mehr darum.“

Das war aber leichter gesagt als gethan. Oswald's Blick kehrte immer wieder zu dem arg gelichteten Wald zurück. Sein zorniger Unwille über die völlig planlose Verwüstung ringsum wollte sich nicht unterdrücken lassen, und anstatt nach Hause zurückzukehren, wie es seine Absicht gewesen war, stieg er weiter bergaufwärts, um auch den hochgelegenen Theil zu untersuchen. Es war nicht viel Tröstliches, was er dort entdeckte. Auch hier hatte die Axt überall in zerstörender Weise gehaust, und das nahm erst oben auf der Höhe ein Ende. Dort begann bereits das Gebiet von Brunneck, wo es nun allerdings anders und besser aussah.

Es war zunächst nur dieser Vergleich, der Oswald bewog, das fremde Gebiet zu betreten, aber sein Unwille stieg beim Anblicke dieser prächtigen, sorgfältig geschonte Waldungen, hinter denen die Ettersberg'schen Forsten in ihrem jetzigen Zustande weit zurückblieben. Was hatte überhaupt die Thätigkeit eines einzigen Mannes aus diesem Brunneck gemacht, und wie war dagegen Ettersberg gesunken! Seit dem Tode des alten Grafen befanden sich die Güter fast gänzlich in den Händen der Beamten. Die Gräfin, eine vornehme Dame, die seit ihrer Vermählung nur von Glanz und Reichthum umgeben war, fand es selbstverständlich, daß die Verwaltung von den Untergebenen geführt und die Herrschaft so wenig wie möglich damit behelligt wurde. Ueberdies war der gräfliche Haushalt auf einem sehr großen Fuße zugerichtet; die Summen dazu mußten geschafft werden, und die Güter mußten sie schaffen, gleichviel auf welche Weise. Der Bruder der Gräfin, Edmund's Vormund, lebte in der Residenz, wo er ein höheres Staatsamt bekleidete, und war sehr von seinem Berufe in Anspruch genommen. Er trat überhaupt nur selten und nur in besonderen Fällen ein, wenn die Schwester seinen Rath und Beistand verlangte; nach den Verfügungen ihres Gemahls war sie ja auch die eigentlich Beschließende. Das nahm nun freilich mit Edmund's Mündigkeit ein Ende, aber was von der Thätigkeit und dem Interesse des jungen Majoratsherrn für seine Güter zu erwarten war, das hatte sich ja soeben gezeigt. Oswald sah mit Bitterkeit, wie eine der reichsten Herrschaften des Landes durch die Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit ihrer Besitzer dem sicheren Verfalle entgegen ging, und er empfand das um so schwerer, als er sich sagte, daß ein ungesäumtes, energisches Eingreifen noch Alles wieder gut machen konnte. Noch war es Zeit; in zwei Jahren vielleicht war es schon zu spät.

Der junge Mann war auf diese Weise immer tiefer in den Wald hineingerathen; jetzt blieb er stehen und sah nach der Uhr. Mehr als eine Stunde war vergangen, seit er sich von Edmund getrennt hatte; dieser mußte längst auf dem Rückwege sein. Auch Oswald beschloß jetzt umzukehren, aber er wählte dazu einen andern, etwas weiteren Weg. Er hatte ja nichts zu versäumen; seine Gegenwart bei der Conferenz war weder nöthig noch erwünscht; also konnte er den Spaziergang ganz nach Belieben ausdehnen.

Es mußten eigenthümliche Gedanken sein, die in der Seele des jungen Mannes wühlten, als er so langsam dahinschritt. Er dachte längst nicht mehr an Forsten und Gutsverwaltung. Es war etwas Anderes, was seine Stirn so drohend faltete und auf sein Antlitz einen so herben, feindseligen Ausdruck legte, als sei er bereit, mit aller Welt den Kampf aufzunehmen. Es war ein finsteres, forschendes Grübeln, das sich ruhelos um einen einzigen Punkt drehte, von dem er sich vergebens loszureißen suchte, und das ihn trotzdem immer mehr und mehr gefangen nahm.

„Ich will nicht mehr daran denken,“ sagte er endlich halblaut. „Immer und immer wieder dieser unselige Verdacht, den ich nicht los werden kann! Ich habe nichts, was ihn bestätigt, und doch verbittert er mir jede Stunde, vergiftet mir jede Regung – fort damit!“

Er fuhr mit der Hand über die Stirn, als wolle er die quälenden Gedanken verscheuchen, und verfolgte rascher den Weg, der jetzt eine Biegung machte und den Wald verließ. Oswald trat auf die freie Höhe hinaus, blieb aber hier wie angewurzelt stehen bei dem gänzlich unerwarteten Anblick, der sich ihm darbot.

Kaum zwanzig Schritt von ihm entfernt, am Rande des Waldes, saß auf dem rasigen Abhange eine junge Dame. Sie hatte den Hut abgenommen, sodaß man ihr Gesicht voll erblicken konnte, und wer dies reizende Gesicht mit den leuchtenden, dunklen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_350.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)