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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Augen nur einmal gesehen hatte, der vergaß es so leicht nicht wieder. Es war Hedwig Rüstow, und dicht neben ihr saß in sehr vertraulicher Weise Graf Edmund, der in der Zwischenzeit unmöglich im Forsthause gewesen sein konnte. Die Beiden waren in ein äußerst lebhaftes Gespräch vertieft, das aber weder ernst noch inhaltreich zu sein schien. Es war vielmehr wieder jenes muthwillige Spiel, das sie schon bei der ersten Begegnung mit solcher Vorliebe getrieben hatten, ein neckisches Hin- und Herfliegen von Worten, ein Lachen und Scherzen ohne Ende, nur daß dies heut alles den Anschein der engsten Vertraulichkeit hatte. Und jetzt nahm Edmund neckend den Hut aus den Händen des jungen Mädchens und warf ihn auf den Rasen, während er sich der Hände selbst bemächtigte, um stürmisch Kuß auf Kuß darauf zu drücken, und Hedwig ließ das ohne jeden Einspruch geschehen, als sei es durchaus selbstverständlich.

Einige Minuten lang stand der fremde Zuschauer regungslos und sah den Beiden zu; dann wandte er sich um und wollte unbemerkt wieder unter die Bäume zurücktreten, aber dabei krachte ein trockener Ast unter seinen Füßen und verrieth ihn. Hedwig und Edmund blickten gleichzeitig auf und der letztere sprang rasch empor.

„Oswald!“

Dieser sah, daß ein Zurückziehen jetzt nicht mehr möglich war. Er verließ daher seinen Standpunkt und näherte sich dem jungen Paare.

„Du bist es!“ sagte Edmund in einem Tone, der zwischen Verlegenheit und Aerger schwankte. „Wo kommst Du denn her?“

„Aus dem Walde!“ versetzte der Gefragte lakonisch.

„Aber Du wolltest ja sofort nach Hause zurückkehren?“

„Und Du wolltest nach dem Forsthause, das ja wohl in entgegengesetzter Richtung liegt.“

Der junge Graf biß sich auf die Lippen. Er mochte wohl fühlen, daß es nicht möglich war, dieses Beisammensein für ein zufälliges auszugeben; überdies mußten die leidenschaftlichen Handküsse gesehen worden sein; er suchte sich deshalb so gut wie möglich zu fassen.

„Du kennst Fräulein Rüstow bereits von unserer ersten Begegnung her,“ warf er leicht hin. „Ich brauche Dich also nicht vorzustellen.“

Oswald verneigte sich völlig fremd vor der jungen Dame.

„Ich bitte die Störung zu entschuldigen; sie war durchaus unfreiwillig. Ich konnte meinen Vetter unmöglich hier vermuthen. Sie gestatten wohl, mein Fräulein, daß ich mich sofort wieder zurückziehe?“

Hedwig hatte sich gleichfalls erhoben. Sie empfand das Peinliche der Situation augenscheinlich viel tiefer als Edmund; denn auf ihrem Gesichte lag eine flammende Röthe, und ihr Auge haftete am Boden. Erst bei dem Ton der Anrede, der trotz aller Höflichkeit doch eine wahre Eiseskälte hatte, hob sie den Blick empor. Er begegnete dem Oswald's, und das junge Mädchen mußte darin wohl etwas sehr Verletzendes lesen; denn die dunkelblauen Augen sprühten plötzlich auf, und die Stimme, die soeben noch in jenem frischen, silberhellen Lachen geklungen, bebte in zorniger Erregung, als sie rief:

„Herr von Ettersberg – ich bitte Sie zu bleiben.“

Oswald, der wirklich im Begriff war zu gehen, hielt betroffen inne. Hedwig stand bereits neben dem jungen Grafen und legte ihre Hand auf die seinige.

„Edmund, Du wirst Deinen Vetter nicht so gehen lassen. Du wirst ihm die nöthige Aufklärung geben – sofort, auf der Stelle! Du siehst es ja, daß er sich im – Irrthum befindet.“

Oswald war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten, als er dies „Du“ vernahm, aber auch Edmund sah sehr überrascht aus bei dem energischen, fast befehlenden Tone, den er wohl zum ersten Male von diesen Lippen hörte.

„Aber Hedwig, Du selbst warst es ja, die mir Schweigen auferlegte,“ sagte er. „Sonst hätte ich Oswald sicher kein Geheimniß aus unserer Liebe gemacht. Du hast Recht, wir müssen ihn in's Vertrauen ziehen; mein gestrenger Mentor ist sonst im Stande, Dir und mir eine vollständige Strafpredigt zu halten. Also mag die Vorstellung in aller Form erfolgen. Oswald – meine Braut und Deine künftige Cousine, die ich hiermit Deiner verwandtschaftlichen Liebe und Hochachtung empfehle.“

Der junge Graf hielt auch bei dieser gewiß ernst gemeinten Vorstellung den heiter scherzenden Ton fest, aber Hedwig, die sonst stets bereit war, darin einzustimmen, schien ihn hier beinahe peinlich zu empfinden. Sie stand wortlos an der Seite ihres Bräutigams und blickte mit eigenthümlicher Spannung zu dem neuen Verwandten hinüber, der noch immer schwieg.

„Nun?“ fragte Edmund befremdet und etwas verletzt durch dieses Schweigen. „Und Du gratulirst uns nicht einmal?“

„Ich habe wohl zunächst um Verzeihung zu bitten,“ sagte Oswald, indem er sich an die junge Braut wandte. „Auf eine solche Neuigkeit war ich allerdings nicht gefaßt.“

„Das ist Deine eigene Schuld,“ lachte Edmund. „Warum hast Du meine Mittheilungen über meinen ersten Besuch in Brunneck so schroff zurückgewiesen! Du hattest alle Aussicht auf den Posten eines Vertrauten. Aber nicht wahr, Hedwig, wir haben Unglück mit unserem Rendez-vous? Es ist das erste Mal, daß wir uns allein, ohne die schützenden Flügel der Tante Lina treffen, und sofort überrascht uns dieser Cato, auf dessen Gesicht das Entsetzen über den Handkuß, den er mit angesehen, so deutlich ausgeprägt stand, daß wir ihn schleunigst mit der Verlobungsanzeige beruhigen mußten. Hoffentlich nimmst Du jetzt Deine Malice wegen der 'Störung' zurück – und im Uebrigen warten wir noch immer auf Deinen Glückwunsch.“

„Ich gratulire Dir,“ sagte Oswald, die dargebotene Hand seines Vetters ergreifend. „Auch Ihnen, mein Fräulein!“

„Wie einsilbig das klingt! Willst Du Dich etwa auch zu unserem Gegner erklären? Das fehlte noch! Wir haben genug mit dem voraussichtlichen Widerstande unserer Eltern zu thun. Der Sturm zieht von zwei Seiten zugleich heran, und da muß ich wenigstens Dich als Verbündeten haben.“

„Du weißt, daß ich bei der Tante keinen Einfluß habe,“ sagte Oswald ruhig. „Du mußt da Deiner eigenen Macht vertrauen. Aber eben deshalb solltest Du es gerade jetzt vermeiden, Deiner Mutter anderweitigen Anlaß zur Verstimmung zu geben, und das wird sicher geschehen, wenn Du die heutige Conferenz versäumst. Dein Rechtsanwalt ist jedenfalls schon in Ettersberg, und Du hast noch eine volle Stunde bis zum Schlosse. – Sie entschuldigen, mein Fräulein, aber ich muß meinen Vetter an eine Pflicht erinnern, die er vollständig vergessen zu haben scheint.“

„Du hast eine Conferenz im Schlosse?“ fragte Hedwig, die sich während der letzten Minuten auffallend schweigsam verhalten hatte.

„Ja, wegen Dornau's,“ lachte Edmund. „Wir befehden uns ja noch immer unversöhnlich deswegen. Bei Dir habe ich freilich Proceß und Conferenzen vergessen; es ist ein Glück, daß Oswald mich daran erinnert. Ich muß heute noch nothgedrungen mit der Mama und dem Herrn Advocaten Pläne schmieden, wie Dornau der Gegenpartei zu entreißen ist. Sie haben ja keine Ahnung davon, daß wir beide den Proceß längst auf dem etwas ungewöhnlichen, aber sehr praktischen Wege der Verlobung erledigt haben.“

„Und wann werden sie das erfahren?“ fragte Oswald.

„Sobald ich weiß, wie Hedwig's Vater die Sache aufnimmt. Er ist gestern zurückgekommen und eben deshalb mußten wir uns noch einmal ungestört sprechen, um den Kriegsplan zu berathen. Es hilft nun einmal nichts: wir müssen jetzt hervor mit unserem Geheimniß. Ettersberg und Brunneck werden freilich darüber entsetzt sein und noch eine Weile Montecchi und Capuletti spielen, aber wir werden schon dafür sorgen, daß das Drama keinen tragischen Ausgang nimmt, sondern mit einer fröhlichen Hochzeit endigt.“

Es sprach eine so heitere Zuversicht aus den Worten des jungen Grafen, und das Lächeln, mit dem Hedwig ihm antwortete, war so siegesgewiß, daß man sah, der Widerstand der Eltern wurde hier gar nicht als wirklich ernster Conflict in Betracht gezogen. Das junge Paar war sich seiner Macht über Vater und Mutter hinreichend bewußt.

„Aber nun muß ich nach Hause,“ rief Edmund aufbrechend. „Es ist wahr, ich darf jetzt die Ungnade der Mama nicht herausfordern, und sie ist sehr ungnädig, wenn sie warten muß. Verzeih, Hedwig, daß ich Dich nicht durch den Wald zurückbegleite! Oswald wird es statt meiner thun. Du mußt ihn als Verwandten ja jetzt überhaupt näher kennen lernen; er ist nicht immer so schweigsam wie bei der ersten Begegnung. Oswald, ich übergebe meine Braut feierlichst Deinem Schutze und Deiner Ritterlichkeit. Und nun lebe wohl, meine süße Hedwig!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_351.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)