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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Auf der Suche nach Nordenskjöld.
Tragisches Ende einer Dampferfahrt.
Von einem Augenzeugen.
(Schluss.)

Japan ist ein ungeheuer rasch sich entwickelndes Land; noch vor dreißig Jahren liefen Europäer im Fall eines Schiffbruchs an diesen ungastlichen Gestaden Gefahr, ihr Leben durch Henkershand zu verlieren oder Jahre lang, ängstlich bewacht, im Lande zurückgehalten zu werden, und jetzt wurden wir mit der ausgesuchtesten Höflichkeit aufgenommen, in einem für japanische Verhältnisse recht guten Gasthause untergebracht und täglich dreimal mit frischem, lachsartigem Fisch versehen; ja aus Besorgniß für unser kostbares Leben wurde es uns nicht einmal gestattet, den zahlreichen Bären, die das Reisen in der Nachtzeit dort sehr gefährlich machen, einige Denkzettel an unsern Aufenthalt zu geben. Nur heimlich gelang es einigen von uns, bis an die Zähne mit Messern, Revolvern und Flinten bewaffnet, sich eines schönen Tages aus dem Städtchen hinaus in's Freie zu stehlen, um eine frische, fröhliche Jagd auf die Ungethüme zu veranstalten. Unsere Jagdlust wurde aber nach fünfstündigem Herumirren in dem pfadlosen Urwald mit seinen mannshohen Gräsern und unpassirbaren Sümpfen bald bedenklich abgekühlt; das Gewirr der umgefallenen, halbvermoderten Baumriesen, in die man häufig beim Ueberklettern bis an den Leib hineinsank, das dichte Unterholz, durch welches man sich nur mit größter Mühe Schritt für Schritt einen Weg bahnen konnte, ließen es räthlich erscheinen, bei anbrechender Nacht die gastlichen Wohnstätten der Menschen wieder aufzusuchen, zumal Meister Petz, wie wir aus einigen aufgefundenen, aber leeren Lagern sahen, es vorgezogen hatte, vor unserer lärmenden Jagdgesellschaft einen schleunigen Rückzug anzutreten. Sehr ermüdet und verfolgt von den ironischen Blicken der Bewohner, kehrten wir am Abend in das Städtchen zurück, als einzige Jagdbeute einige unschuldige Raben mit uns führend, die so unvorsichtig gewesen waren, uns auf Schußweite herankommen zu lassen.

Wir hatten nun reichliche Muße, um uns das Städtchen genau anzusehen und alle Merkwürdigkeiten zu studiren. Wie im Abendlande die Kirchen zu den hervorragendsten Bauten in Dörfern und Städten gehören, so fallen auch in Japan in allen Ortschaften sofort gewisse Gebäude in's Auge, die religiösen Zwecken geweiht sind. Besonders bemerkenswerth sind die meist reich vergoldeten, mit wunderbarem Schnörkelwerk ausgestatteten Buddhatempel, die häufig inmitten oder in nächster Nähe eines aus hohen, uralten Bäumen gebildeten Haines liegen und mit den zu ihnen hinführenden Reihen von steinernen Laternensäulen nicht selten sehr malerische Bilder liefern, welche einen tiefen Frieden, eine heilige Stille athmen.

Der Buddhismus, obwohl nicht officielle Staatsreligion Japans, hat doch die meisten Anhänger unter den Landesbewohnern. Im Allgemeinen freilich ist der Japaner sehr indifferent; namentlich die gebildeten Stände lassen sich über religiöse Fragen nicht im Mindesten graue Haare wachsen und sehen besonders mitleidig auf das Thun der in allen Farbenschattirungen zahlreich vorhandenen Missionäre herab, deren Erfolge denn auch, trotz aller rosig gefärbten Berichte, so ziemlich gleich Null sind. Diesen Herren, unter denen sich übrigens einige sehr tüchtige Kenner japanischer Verhältnisse befinden, ist die Ausübung ihres Berufes im Innern des Landes untersagt, wohl im Hinblick auf einige Vorkommnisse sehr ärgerlicher Natur in früheren Jahrhunderten, wo die damals in Japan sehr zahlreich vorhandenen, von Jesuiten bekehrten Christen die Fahne des Aufruhrs gegen die Regierung erhoben, bis sie endlich gänzlich ausgerottet wurden. Heute ist es Jedermann gestattet, wenn er sich von dem Gesandten seines Heimathslandes mit einem Paß versehen läßt, ungehindert im ganzen Lande sich umzusehen; nur darf er sich's dabei nicht einfallen lassen, predigen zu wollen oder Tractätchen zu vertheilen.

Dem toleranten Charakter des Buddhismus entsprechend, war es für uns nicht schwer, Eintritt in den Tempel des Städtchens zu erhalten und Freundschaft mit den Priestern desselben zu schließen. Gern gestattete man uns, nachdem wir Buddha oder vielmehr seine Vertreter auf Erden mit einigen Kupfermünzen bereichert hatten, des öfteren dem Gottesdienst beizuwohnen, der durch die weißgekleideten, ganz glatt geschorenen Priester und die Knaben mit Räuchergefäßen und Lichtern, sowie durch das Knieen und Niederbeugen der andächtig Versammelten sehr an den Cultus in katholischen Kirchen erinnerte. Die Versammlung der Andächtigen bestand außer uns meistens aus Frauen und alten Männern. Zur Schonung der zarten Strohmatten, mit denen alle Gebäude ausgelegt sind, hatten wir die Fußbekleidung hübsch draußen vor der Thür stehen lassen müssen; dagegen brachte man uns, um uns der für Europäer doch recht beschwerlichen Landessitte zu überheben, nach Türken-Art oder auf den Hacken am Boden zu sitzen, einige Stühle, wahrscheinlich die einzigen im ganzen Orte.

Aber nicht allein mit den Buddhapriestern, sondern auch mit den übrigen Bewohnern standen wir auf gutem Fuße. Der eine oder andere lud uns dann wohl bei unserm Hindurchschlendern durch die Straßen ein, näher zu treten und in seinem Hause ein Täßchen Thee einzunehmen; besonders gern geschah dies von solchen Leuten, die schon einige Brocken Englisch sich angeeignet hatten und stolz darauf waren, diese Weltsprache verstehen zu können. Wenn der Stoff zu der mühsam geführten Conversation auszugehen drohte, wurde das Schreibzeug, bestehend aus einem Kasten mit Tusche und feinen Haarpinseln, herbei geholt, und wir mußten auf höfliches Ersuchen unsere Namen zu Papier bringen. Das höchst wichtige Actenstück wurde dann von den Herren in sorgsamen Verwahr genommen, und nun wurden auch wir von dem Namen unseres gütigen Wirthes in Kenntniß gesetzt.

Nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalt beförderte uns endlich ein japanischer Regierungsdampfer nach der Stadt Hakodade, wo uns die Nachricht vom glücklichen Eintreffen der „Vega“ in Jokohama erreichte.

Sobald sich eine Schiffsgelegenheit bot, eilten wir dorthin, um Professor Nordenskjöld und seine muthigen Gefährten begrüßen zu können, und wenn auch unser Zusammentreffen unter gänzlich anderen Verhältnissen und an einer andern Stelle stattfand, als wir bei unserem Fortgange von Europa erwartet und gehofft hatten, so tröstete uns doch die Freude über das nunmehr glücklich von der „Vega“ vollendete Werk der Umschiffung des nördlichen Theiles der alten Welt über unser eigenes Unglück und wir waren neidlose Zeugen der allseitigen Bewunderung, welche der kühnen That Professor Nordenskjöld's und seiner Genossen von Seiten der in Japan lebenden Europäer und der gebildeten Japaner selbst gezollt wurde. Eine Festlichkeit reihte sich in jenen Septembertagen an die andere, alle aber wurden von dem Glanze eines Nachtfestes überstrahlt, welches in Tokio, der Hauptstadt Japans, von der englischen und deutschen ostasiatischen Gesellschaft und von dem erst kürzlich gegründeten, bisher nur geborene Japaner zu Mitgliedern zählenden geographischen Verein gegeben wurde; es wird sicherlich den Hunderten von Theilnehmern unvergeßlich bleiben.

Die Ehrengäste des Abends wurden mittelst Equipagen von dem Bahnhofe der Eisenbahn, welche Jokohama mit Tokio verbindet und auf der von früh Morgens bis spät in die Nacht hinein alle fünfviertel Stunden Züge zwischen beiden Städten verkehren, nach dem zum Festlocale auserkorenen Gebäude der polytechnischen Schule von Tokio übergeführt. Der Garten und das ganze stattliche Ziegelgebäude waren mit Hunderten der in Japan allgemein üblichen bunten Papierlaternen beleuchtet, und der ganze Saal mit schwedischen, englischen, deutschen, russischen und den weißen, mit einer rothen Sonne in der Mitte versehenen japanischen Flagge ausgeschmückt. Alles, was Japan an einheimischen und fremden politischen wie wissenschaftlichen Größen aufzuweisen hat, war hier versammelt. Es war Gelegenheit geboten, jene Männer kennen zu lernen, welchen das Land die Anregung zu den seit zehn Jahren in's Werk gesetzten großartigen Umgestaltungen seines socialen und politischen Lebens verdankt, durch deren Bemühungen Japan binnen zweier Decennien aus Verhältnissen, welche ungemein an unsere eigenen mittelalterlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_370.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)