Seite:Die Gartenlaube (1880) 382.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Nein,“ sagte Oswald kalt, „nicht die mindeste! Aber in jeder anderen Laufbahn bin ich gezwungen, noch Jahre lang die bisherigen – Wohlthaten anzunehmen, und das will ich nicht. Jener Weg ist der einzige, der mich zur Unabhängigkeit und Freiheit führt, und diesem einen Ziele opfere ich Alles.“

Es sprach ein unbeugsamer Entschluß aus diesen Worten, zugleich aber auch ein herber Vorwurf, den die Gräfin nur zu gut verstand.

„Du hast allerdings diese Wohlthaten so lange angenommen, daß Du sie füglich jetzt entbehren kannst,“ warf sie hin.

Der Ton der Bemerkung war noch verletzender als ihr Inhalt, aber auch Oswald verlor jetzt seine Ruhe. Seine kurzen heftigen Athemzüge verriethen, wie erregt er war, als er ebenso verletzend antwortete:

„Wenn man mich bisher an der Kette meiner Abhängigkeit festhielt, so ist das sicher nicht meine Schuld gewesen. Einem Ettersberg war es ja nicht erlaubt, sein Fortkommen in der Welt auf eigene Hand zu suchen, wie das in bürgerlichen Verhältnissen geschieht. Ich hatte mich der Tradition meiner Familie zu fügen. Ich habe warten müssen bis zu dieser Stunde, wo ich endlich meine Zukunft selbst in die Hand nehme.“

„Und Du thust das in der rücksichtslosesten Weise,“ sagte die Gräfin mit steigender Heftigkeit. „In vollster Gleichgültigkeit gegen diese Traditionen, in offener Empörung gegen die Familie, der Du Alles verdankst. Hätte mein Gemahl das vorhergesehen, er hätte nie die Bestimmung getroffen, daß Du mit seinem eigenen Sohne erzogen und wie ein Kind des Hauses gehalten werden solltest, dem Du jetzt in einer solchen Art dankst. Freilich, Dankbarkeit ist ein Wort, das Du überhaupt nicht zu kennen scheinst.“

Oswald's Blick flammte auf, und ein drohender, unheilverkündender Strahl brach daraus hervor.

„Ich weiß es, Tante, welch eine schwere Last Dir der Onkel mit dieser Bestimmung auferlegte, aber glaube mir, ich habe daran noch schwerer getragen als Du! Wäre ich als Waise in die Welt hinausgestoßen, wäre ich von Fremden auferzogen worden, ich hätte es leichter ertragen, als das Leben in diesen glänzenden Umgebungen, wo ich täglich und stündlich an meine Nichtigkeit erinnert wurde, wo die stolze Ettersberg'sche Ader in mir sich nicht regen durfte, ohne sofort unterdrückt zu werden. Der Onkel hat meine Aufnahme in seinem Hause durchgesetzt, mich zu schützen hat er nie versucht, und Dir war ich ja von jeher nur das Vermächtniß eines feindseligen und gehaßten Schwagers. Ich bin mit Abneigung empfangen, mit Widerwillen geduldet worden, und dieses Bewußtsein hat mich oft genug zur Verzweiflung getrieben. Wäre nicht Edmund gewesen, der Einzige, der mir Liebe entgegenbrachte, der Einzige, der fest zu mir hielt, trotz Allem, was geschah, ihn mir zu entfremden, ich hätte dieses Leben nicht ausgehalten. Du verlangst Dankbarkeit von mir? Ich habe sie nie gegen Dich gefühlt, werde sie nie fühlen; denn tief in meinem Innern regt sich oft eine Stimme, die mir zuruft, daß ich hier nicht zu danken habe, sondern – anzuklagen.“

Er schleuderte das letzte Wort voll und drohend heraus; die Schranke war gebrochen, und all der Haß, all die Bitterkeit, die er Jahre lang verborgen in sich getragen, flutheten jetzt in wilder Empörung der Frau entgegen, die, äußerlich wenigstens, Mutterstelle bei ihm vertreten hatte. Auch sie hatte sich erhoben und stand ihm jetzt Auge in Auge gegenüber. Sie maßen sich, wie zwei Todfeinde vor dem beginnenden Kampfe, und die nächsten Worte hätten vielleicht zu einem unheilvollen Bruche geführt, wenn sich nicht Baron Heideck rasch in's Mittel gelegt hätte.

„Oswald, Du vergißt Dich,“ rief er. „Was ist das für eine Sprache, die Du Deiner Tante gegenüber zu führen wagst!“

Die kalte scharfe Stimme brachte die Beiden gleichzeitig zur Besinnung. Die Gräfin ließ sich langsam wieder auf ihren Sitz nieder, und ihr Neffe trat einen Schritt zurück. Einige Secunden hindurch herrschte ein peinliches Schweigen; dann nahm Oswald in völlig verändertem, eiskaltem Tone das Wort:

„Es ist wahr – ich habe um Verzeihung zu bitten. Zugleich bitte ich aber auch, mich meinen Weg fortan ungehindert gehen zu lassen. Er entfernt mich voraussichtlich für immer von Ettersberg und hebt jede fernere Beziehung zwischen uns auf. Ich glaube, das liegt in unseren beiderseitigen Wünschen, und jedenfalls ist es das Beste für uns.“

Und ohne irgend eine Antwort oder Entlassung abzuwarten, wandte er sich und verließ das Zimmer.

„Was war das?“ fragte die Gräfin tonlos, als die Thür sich geschlossen hatte.

„Eine Drohung!“ sagte Heideck. „Hast Du sie nicht verstanden, Constanze? Ich denke, sie war deutlich genug.“

Er sprang auf und ging einige Male rasch und unruhig auf und nieder. Selbst die kühle Gemessenheit des Bureaukraten hielt vor dieser Scene nicht Stand; endlich blieb er vor seiner Schwester stehen.

„Wir werden nachgeben müssen. Die Sache liegt jetzt anders, ganz anders. Ein energischer Widerstand unsererseits könnte bedenklich werden – das haben mir die letzten Minuten gezeigt.“

„Meinst Du?“

Die Worte fielen fast mechanisch von den Lippen der Gräfin; sie blickte noch immer starr auf die Thür, hinter der Oswald verschwunden war.

„Unbedingt!“ sagte Heideck rasch und bestimmt. „Der Bursche ahnt mehr als gut ist; es ist gefährlich ihn zu reizen. Wenn er es durchaus will, so mag er gehen. Wir haben ohnehin keine Macht mehr, ihn zu halten; er hat sich ja völlig unangreifbar gemacht mit diesem meisterhaft ausgearbeiteten Zukunftsplane. Darauf war ich allerdings nicht gefaßt, aber wir wissen jetzt wenigstens, was hinter seiner scheinbare Ruhe und Gleichgültigkeit verborgen ist.“

„Ich habe das längst gewußt,“ erklärte die Gräfin, die jetzt erst wieder zur klaren Besinnung zu kommen schien. „Ich habe nicht umsonst diese kalten, spürenden Augen gefürchtet. Schon als sie mir das erste Mal aus dem Antlitz des Knaben entgegenblickten, wehte es mich an wie eine Ahnung, daß sie einst Verderben über mich und meinen Sohn bringen würden.“

„Thorheit!“ sagte Heideck. „Was sich Oswald auch einbilden mag, es kann und wird nie mehr als eine Ahnung bleiben, und er wird sich hüten, ihr je wieder Worte zu leihen. Es war nur die äußerste Aufregung, die ihm jene Andeutung entriß, aber gleichviel – derartige Scenen dürfen nicht wiederkehren. Darin wenigstens hat er Recht, daß es das Beste ist, wenn er Ettersberg für immer meidet. Dann hören schließlich auch seine Beziehungen zu Edmund auf. Wir müssen in unserem eigenen Interesse ihn jener Laufbahn überlassen.“

Oswald hatte inzwischen rasch die Gemächer der Gräfin durchschritten und war eben im Begriff, sie zu verlassen, als er Edmund begegnete, der auf dem Wege zu seiner Mutter war. Heiter, sorglos und übermüthig wie gewöhnlich bemächtigte sich der junge Graf sofort seines Vetters und hielt ihn fest.

„Nun, Oswald, wie ist die Gerichtsscene da drinnen ausgefallen? Wir müssen jetzt fest zusammenhalten; wir sind ja in dem gleichen Falle, nur daß der meinige romantisch und der Deinige juristisch ist. Ich hatte schon vorhin im Wagen eine kleine Voruntersuchung auszuhalten, und jetzt kommt die hochnothpeinliche Verhandlung selbst. Ist der Onkel sehr ungnädig?“

„Gegen Dich wird er es schwerlich sein,“ war die einsilbige Antwort.

„O, ich fürchte mich auch nicht im Mindesten!“ rief Edmund lachend. „Die Mama allein hätte ich längst auf meine Seite gebracht; leider weiß sie das und hat sich den Onkel zur Hülfe kommen lassen. Mit dem ist nun allerdings schwerer fertig zu werden, doch allzu arg verfährt er auch nicht mit mir. Aber Du, Oswald,“ er trat dicht vor seinen Vetter hin und sah ihm forschend in die Augen. „Du siehst wieder so finster, so verbittert aus. Dich haben sie wohl recht gequält?“

„Du weißt ja, daß es bei solchen Dingen nicht ohne heftige Debatten abgeht,“ versetzte Oswald ausweichend. „Ich habe aber trotzdem meinen Willen durchgesetzt. Doch noch Eines, Edmund! Ich werde Ettersberg wahrscheinlich früher verlassen, als es anfangs bestimmt war, vielleicht schon in den nächsten Tagen.“

„Weshalb?“ fuhr der junge Graf auf. „Was ist vorgefallen? Du warst ja entschlossen, bis zum Herbste zu bleiben. Hat Dich der Onkel beleidigt, daß Du fort willst? Das dulde ich nicht; ich werde auf der Stelle –“

„Ich sage Dir ja, daß Alles geordnet und ausgeglichen ist,“ unterbrach ihn Oswald. „Es ist durchaus nichts vorgefallen. Die Tante und ihr Bruder sind natürlich etwas gereizt gegen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_382.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)