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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und so ihre sechs unversorgten Geschwister vor Noth zu schützen. Mittlerweile hatte sie jenen jungen Mann kennen gelernt, der eine Rolle in Schiller’s Flucht aus Stuttgart spielt, Andreas Streicher, der sich im nahen München als Clavierspieler und Componist hervorgethan hatte. Er wurde ihr Gatte, und mit ihm und ihrem ältesten Bruder begab sie sich im Jahre 1794 nach Wien und begründete unter ihrem Vaternamen Stein ein neues Geschäft, das sich bald zu der noch heute blühenden berühmten Streicher’schen Clavierfabrik entwickelte.

Hier begegnete sie nun dem fast gleichaltrigen Beethoven, der schon 1787, nach dem ersten Aufenthalte in Wien, wo er Mozart’s Anleitung genossen hatte, bei ihrem Vater in Augsburg gewesen war, und er, der die volle Erbschaft des jüngst gestorbenen Mozart übernommen hatte, ist es auch gewesen, der die Grundlage zu der Vollendung der Instrumente legte, auf denen die moderne Kunst des Clavierspiels in Liszt, Thalberg, Chopin ihre Wunder zu verrichten vermochte.


Nannette Streicher, geb. Stein.
Nach einem alten Portrait.


Wie erst die Vollendung des Geigenbaues durch die Meister Amati, Guarneri, Stradivari im siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert auch das erste künstlerisch vollendete Violinspiel in Meistern wie Corelli, Vivaldi und Tartini erzeugte, das dann in Paganini gipfelte, so bereiteten die Fähigkeiten der Stein’schen Instrumente den Meistern Mozart und Beethoven, zumal in ihren freien Phantasien, ganz neue Möglichkeiten der Ausführung. Dies spiegelte sich vor allem sogleich in den ersten Sonaten Beethoven’s wieder, und Streicher, der zunächst auch in Wien als Clavierlehrer weiter fungirte, war es, der, wie wir aus dem Buche „Beethoven nach den Schilderungen seiner Zeitgenossen“ ausdrücklich erfahren, diese neuen Compositionen nach Kräften bei seinen Schülern zu verbreiten trachtete.

Ja, zuletzt sollten es diese steten Neuproductionen Beethoven’s auf solchen Stein’schen Instrumenten sein, die Streicher selbst zu immer weiterer Verbesserung derselben führten. „Streicher hat das Weiche, zu leicht Nachgebende der anderen Wiener Instrumente verlassen und auf Beethoven’s Rath und Begehren seinen Instrumenten mehr Gegenhaltendes, Elastisches gegeben, damit der Virtuose, der mit Kraft und Bedeutung vorträgt, das Instrument mehr in seiner Gewalt hat,“ meldet Goethe’s „Spitz von Giebichenstein“, der Capellmeister J. F. Reichardt, von seinem Aufenthalte in Wien im Jahre 1809.

So verbanden gegenseitiges Interesse, Kunst und persönliche Freundschaft den Künstler und die Clavierbauerfamilie, und jener hatte den Hauptvortheil davon; denn das größere Bedürfniß nach thätiger Freundeshülfe lag auf seiner Seite.

Sein Gehörleiden hatte in einer Weise zugenommen, die einen unbeschreiblich quälenden Eindruck auf ihn machte; seine Geltung als Componist wollte noch immer nicht durchdringen, da seine Spielart zu schwierig und vor allem sein Ideenflug zu hoch war, und dies wirkte auf den Absatz seiner Werke und damit auch auf seine materielle Existenz zurück. Die Hochthat dreier österreichischer Großen, welche dem nahezu Vierziger zum ersten Male das Gefühl behaglich gesicherter Existenz geboten, war ebenfalls durch das unselige Finanzpatent von 1811, das den Werth Geldes auf ein Fünftel verringerte, zunächst fast unwirksam geworden. Dazu hatte eine tiefgehende Herzensleidenschaft, die Liebe zu Amalie Sebald, jener jungen Berlinerin, die ihm unter allen weiblichen Wesen, welche er je gekannt, die „Eine“ blieb, die er gefunden, sein Gemüth ebenso zerrüttet, wie die lange Reihe von Jahren voller Anstrengung ohne Rast und Ruhe seine Gesundheit untergraben hatte. Er befand sich in einer gänzlichen Erschöpfung, von der er selbst sagt, „daß so viele auf einander gefolgte Begebenheiten ihn beinahe in einen verwirrten Zustand gesetzt,“ und das „kostbarste Geschenk des Himmels“, seine Muse, schien ihm sogar nicht mehr so hold und fruchtbringend wie sonst sein zu wollen.

Jetzt konnte sich also zeigen, was thätige Freundschaft war.

Das Jahr 1813 war für Beethoven ein überaus leidvolles. Auf ärztlichen Rath ging er nach dem schönen Curort Baden bei Wien. Auch Frau Streicher weilte dort. Sie mußte sehen, daß ihr großer Freund „auch in Hinsicht auf Körperbedürfnisse aller Art sich in verwahrlostem Zustande befand“. Sogleich nach ihrer Rückkunft in die Stadt war sie daher mit Hülfe ihres Gatten für umfassende Herbeischaffung des Nöthigsten besorgt, und dieses ersten, bestens ausgeführten Auftretens als Schaffnerin erinnerte sich fortan unser zumal in Betreff der Wohnungen viel wandernder Odysseus, sobald er irgend in seinem Haushalte praktischen Beistands bedurfte.

Man kennt Beethoven’s Mißgeschick mit dem vielgenannten Neffen, dem Sohne seines im Jahre 1815 in Wien gestorbenen Bruders Karl. Er betrachtete das Kind als das seinige, sich selbst als dessen Vater und nahm daher jede Pflicht und Mühe der Pflege und Erziehung des Knaben auf sich. Für die ersten Jahre hindurch hatte er ihn in einem Institute untergebracht. Bald aber wähnt er das Kind hier nicht gut aufgehoben und will selbst einen Haushalt einrichten. Hier muß nun seine bewährte Freundin Frau Streicher einspringen, und die Billets an sie enthüllen sowohl den ganzen Charakter dieser Freundschaft, wie ein gutes Stück von Beethoven’s Leiden und Lebenswirrwarr.

Eine Weile – im Jahre 1816 – war der Verkehr mit Streicher unterbrochen gewesen: Beethoven brachte seine freie Zeit in dem Institute des Knaben zu, und das kleine Buch „Eine stille Liebe zu Beethoven“ sagt uns, wie sehr sich hier sein Gemüth nach seiner vollen Tiefe und Kindlichkeit enthüllte. Dann erinnert ihn ein Billet vom Januar 1817 an „seine werthe Streicher“, und er hat sich jetzt auch sogleich mit ihr über etwas zu „besprechen“. Er ist in seiner häuslichen Existenz die „Beute elender Menschen“, und wieder hat also die Freundin eine ganze Reihe ökonomischer Pflichten zu übernehmen, vom Suchen einer ordentlichen Wohnung und der Regelung verwirrtester Bedientenverhältnisse bis zur „gütigsten Besorgung der Wäsche“ und der vielfachen Krankenbedürfnisse, zu denen gar ein zinnerner Löffel zum Medicinnehmen gehört.

„Liebe Frau von Streicher! Ich bin voller Verdrießlichkeiten heute; Ihnen sie aufzuzählen, ist unmöglich,“ schreibt er das eine Mal. „Leben Sie wohl, Gott waltet über uns Alle!!“ Das andere Mal aber heißt es: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie vielleicht durch meine heutige Mission beleidigt – meine Kränklichkeit und meine so traurige Lage in dieser Hinsicht lassen mich nicht wie sonst alles abwägen. Ich bitte Sie um das Bettzeug – verzeihen Sie einem Erschöpften.“

Er hatte die „Lungenkrankheit“ und wollte auf ihren Rath wegen besserer Kost und Pflege eine eigene Haushaltung beginnen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_389.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)