Seite:Die Gartenlaube (1880) 390.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Wäre man bei dieser gänzlichen moralischen Verderbtheit des österreichischen Staates nur einigermaßen überzeugt, eine rechtschaffene Person erwarten zu können, so wäre alles leicht gemacht, aber – aber!!“ Der Wiener Congreß hatte durch seine Verschwendung und seine Laster die dienenden Classen bis auf den Grund verderbt, und so war allerdings die Hülfe einer verständigen Frau hier sehr nothwendig. Wir werden bald von dem tragikomischen Wirrwarr hören, der in diesem Punkte in das Dasein des gänzlich arbeitsversunkenen und obendrein alternden tauben Junggesellen drang und den auch Frau Streicher nicht gänzlich zu bannen vermochte. Zunächst kommt der Sommer und mit ihm geistige wie körperliche Erfrischung.

„Ich konnte wegen dem schlechten Wetter nicht eher hereinkommen und Sie waren schon fort,“ schreibt er im Juli 1817, als er vom nahen Nußdorf einmal in die Stadt gefahren war, und der Humor bricht in den Wortspielen hervor: „Welcher Streich von der Frau von Streicher!!! nach Baden???!!! Uebrigens lassen Sie sich durch Ihren Mann nicht zu gewissen Ehestreichen verführen. Halten Sie Ihre Tochter fleißig an, daß sie eine Frau werde. Heute ist eben Sonntag – soll ich Ihnen noch etwas aus dem Evangelium vorlesen: Liebet Euch unter einander etc.“ Und was ihn neu beglückt, ist, daß die freie Natur seine Geister neu beflügelt. „Kommen Sie an die alten Ruinen, so denken Sie, daß dort Beethoven oft verweilt – durchirren Sie die heimlichen Tannenwälder, so denken Sie, daß da Beethoven oft gedichtet oder, wie man sagt, componirt.“

„Im Walde Entzücken, wer kann alles ausdrücken,“ schrieb er ein anderes Mal; in Baden sind allerdings viele seine eigensten Tongedichte entstanden. Noch eine „Inlage“ fügt er später hinzu, die auf die frühere Geschäftsfirma der Freundin anspielt: „Was die Frau von Stein anbelangt, so bitte ich selbe, daß sie den Herrn von Steiner nicht versteinern soll lassen, damit er mir noch dienen könne, oder die Frau von Stein möchte nicht zu sehr von Stein sein in Ansehung des Herrn von Steiner.“ Steiner hieß nämlich sein damaliger Wiener Verleger. Der Schluß lautet: „Beste Frau von Streicher, spielen Sie Ihrem Männchen keine Streiche, sondern heißen Sie lieber gegen Jedermann Frau von Stein!!“ Man sieht, die Freundin mußte sich von seinem zeitweiligen Uebermuthe auch manches gefallen lassen. Als Nachschrift aber steht noch vertrauensvoll da: „Wo sind meine Bettdecken?


Wo? Wo?


„Heute habe ich ein neues Pflaster auf den Nacken gelegt erhalten – o Noth! Noten sind besser als Nöthe und Noth,“ heißt es jedoch bald wieder. „Ich bitte Sie, zuweilen an einen armen österreichischen Musikanten zu denken.“ Sein Bedienter stiehlt und bringt das ganze Haus durch einander. Da thut er denn den Ausruf, mit dem wir die Skizze oben einleiteten. Er will endlich wirklich einen eigenen Haushalt einrichten, da er für sein Dasein einer besseren Pflege und Aufwartung bedürfe und Karl ganz zu sich nehmen wolle. „Was es für ein Gefühl ist, ohne Pflege, ohne Freunde, ohne alles, sich selbst überlassen leidend zubringen zu müssen, das kann man nur selbst erfahren,“ schreibt er. Jetzt hat die Freundin alle Hände voll zu besorgen. „Eine Portion Abwischfetzen brauchten wir als Präliminarien zur künftigen Haushaltung, denn der Teufel hat meine zwei-, dreimalige Einrichtung schon immer geholt – verfluchen Sie mich nicht wegen so vieler Beschwerlichkeiten,“ heißt es – fast eine ganz neue Hauseinrichtung war herzustellen. Dabei galt es aber auch noch, Sorgen um die gesteigerten Ausgaben zu zerstreuen. Es hatte ihm beim Rechnen darüber Einer „alles gräßlich geschildert“. „Gott erbarme sich unser!“ rief er aus. „Was gibt man zwei Dienstleuten Mittags und Abends zu essen? Wieviel Pfund Fleisch rechnet man für drei Personen?“ solche Fragzettel fabricirt, offenbar für die „werthe Freundin“, der Künstler, der innen an der „Neunten Symphonie“ arbeitet. Aber schlimmer als die großen Ausgaben ist die Pein, die jetzt erst auf allen Seiten für ihn beginnt und die uns zum Schluß wahrhaft Shakespeare’sche Scenen bringt.

Schon nach wenig Wochen hält er eine „vernünftigere Person“ für nöthig: „denn beide sind stumpfsinnig“, nämlich Nanni, die „busige Betriegerin“, und Baberl, das „schlechte Schönheitsgesicht“, und daher „hinkt alles“, namentlich die „Kocherei“, was wieder nachtheilig auf seinen leidenden Körper wirkt und ihn „sehr verdrießlich und übel auf“ macht. Da hat denn die Freundin durch kräftiges Dreinreden Ordnung zu schaffen. Aber: „Ihre letzte Unterredung mußte ich theuer bezahlen; die Nanni hat sich darnach so gegen mich betragen, daß ich wüthend geworden bin, darnach hat sie freilich wieder getaugt“, schreibt er, der bekanntlich selbst von sehr großem Jähzorn und andrerseits „altniederländischer Starrköpfigkeit“ war – Eigenschaften, die gerade den Dienenden am leichtesten zum Widerstand reizen.

Eines Abends brauchten die „sauberen Bedienten“ die Zeit von sieben bis zehn Uhr, ehe er Feuer im Ofen hatte. Das machte ihn bei der grimmigen Kälte des Winters 1817 „zu sehr erkühlen“. Husten und die fürchterlichsten Kopfschmerzen, die er je gehabt, waren die begreiflichen Folgen. Der Baberl hatte er schon aufgesagt; die Niedrigkeit von beiden sei ihm unausstehlich; die Nanni stehe „trotz ihrem Gesicht“ noch unter dem Vieh. Er wünscht der Freundin Gutachten und Oberaufsicht, da er bei seinen Gebrechen sonst mit allen dergleichen Leuten dasselbe Schicksal haben werde. „Die Undankbarkeit gegen Sie ist es, was mir beide Menschen auf das tiefste heruntergesetzt hat,“ schreibt er. Er hatte der Nanni aber auch „zu Neujahr ein halb Duzend Bücher an den Kopf geworfen“ und ruft verzweifelnd aus: „Die Blätter rotten wir aus, indem wir die Baberl fortschaffen, oder die Aeste, aber wir werden wohl selbst bis an die Wurzel kommen müssen, sodaß nichts mehr übrig bleibt als der Grund.“ Doch konnte er zum Trost melden, die „Fräulein Nanni“ sei ganz umgeändert, seit er ihr das halbe Dutzend Bücher an den Kopf geworfen habe: „es ist wahrscheinlich durch Zufall etwas davon in ihr Gehirn oder schlechtes Herz gerathen.“

Außerordentlich erschwerte er selbst seiner getreuen Schaffnerin die erfolgreiche Mitwirkung durch sein unausrottbares Mißtrauen. Liegt ein solches schon in der Natur des hülflos gewordenen Tauben, so war die Lebensfügung dieses einsamen großen Mannes darnach geartet, dasselbe immer mehr auszubilden. Dazu die hochgesteigerte und fast einseitige „moralische Denkungsweise“.

Sein unbesonnenes Dreinfahren in der Freundin wohlüberlegtes Thun konnte nicht verfehlen, das Verhältniß etwas zu alteriren. Und kam nun das in solchen Dingen nie mangelnde Geschwätz dazu, so war die „Entzündung“ da. Die Freundin darf im Interesse der Sache ihre Bemerkungen darüber nicht zurückhalten. Beethoven, empfindlich und leicht gereizt, wie der in seiner idealen Welt lebende Künstler ist, kann darauf „leider nicht mehr das Vergnügen haben, zu ihr zu kommen,“ hofft aber, daß sie sich nicht gänzlich seinem Haushalte entziehen werde, was denn auch in Erfüllung geht – ein klarer Beweis dafür, daß seine Größe und innere Hoheit auch bei ihr stets nur die besten Eigenschaften wiedererweckte.

Die sicherste Probe der Theilnahme und des Vertrauens hat diese Freundschaft aber abgelegt, als nun Beethoven’s schönster Wunsch, den Neffen Karl ganz bei sich zu haben, in Erfüllung geht und die „Immoralität“ der Dienstboten ihm hier den allerärgsten Streich spielt, den Jungen ihm zu entfremden und hinter seinem Rücken zu üblen Dingen zu verleiten. Hierüber zum Abschluß des Ganzen noch einige erläuternde Worte.

Als Beethoven’s Bruder Karl starb, hinterließ er diesen Knaben und eine Wittwe. Dieselbe war von dem unverwüstlichen Leichtsinn des damaligen Wien und wurde daher durch das Gericht von der Vormundschaft völlig ausgeschlossen. Darüber ebenso gereizt wie in ihrer natürliche Empfindung verletzt, suchte sie nun mit allen Mitteln zu dem Knaben zu gelangen und ihn zugleich gegen seinen Oheim mißtrauisch zu machen. Schon war sie als Mann verkleidet unter die Knaben des Instituts auf den Spielplatz gedrungen, aber die Strenge dieses Instituts machte ihre ferneren Versuche vergeblich. Mit der Aufnahme in das eigene Haus hatte nun aber der Oheim selbst alle Schranken für ihre „Intriguen“ geöffnet. Rührend ist die fast eifersüchtige Liebe, die er dem Knaben schenkt.

„Er ist frohen Muthes und viel aufgeweckter, als sonst, und zeigt mir jeden Augenblick seine Liebe und Anhänglichkeit,“ vernimmt die Freundin. Er hält ihm einen Hofmeister und ladet, er, der alte Junggeselle, seine Professoren zu Tische. Aber schon nach kurzer Zeit heißt es: „Gott helfe mir! Ich appellire an ihn als letzte Instanz.“ Die Mutter hatte die Dienstboten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_390.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)