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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Ja, und sehr lange,“ warf das Fräulein hin. „Mir machte es fast den Eindruck, als wollte Herr von Ettersberg Sie um jeden Preis bei dem Gespräche festhalten, um die Zärtlichkeiten nicht mit anhören zu müssen, mit denen Edmund seine Braut überschüttete.“

„Ich fürchte, er hat aristokratische Mucken,“ sagte Rüstow. „Die Verlobung erfreut sich nicht seines hohen Beifalls, das habe ich gesehen, als er uns nach dem Unfall hier in Ettersberg empfing und Edmund seine Braut aus dem Wagen hob. Der junge Herr machte ein Gesicht, als sei urplötzlich der Himmel eingefallen, und schoß einen Blick auf die Beiden, der mir ganz und gar nicht gefiel. Zwar faßte er sich schon im nächsten Augenblicke wieder und war sehr höflich, aber das Bedauern über den Unfall seiner Tante und der Glückwunsch für seinen Vetter kamen so einsilbig und kühl heraus, daß man ihnen das Gezwungene anmerkte. Viel Herz scheint er nicht zu haben, aber er ist trotzdem ein landwirthschaftliches Genie.“

„Gilt dieses schmeichelhafte Compliment mir?“ fragte Edmund, der soeben mit seiner Braut herantrat und die letzten Worte hörte.

Rüstow wandte sich um. „Dir? Nein, wir sprachen von Deinem Vetter. Du hast leider gar keine praktischen Anlagen.“

„Nein, nicht die mindesten!“ versicherte Edmund lachend. „Das ist mir erst neulich in Brunneck klar geworden bei Euren endlosen Debatten über Forstcultur und Drainirung. Hedwig und ich haben nur hin und wieder ein Wort davon aufgefangen, aber es war schrecklich langweilig.“

„Das sind ja vielversprechende Ansichten für einen Gutsherrn!“ sagte der Oberamtsrath ärgerlich. „Also langweilig hast Du das gefunden? Du und Hedwig, Ihr habt allerdings kein vernünftiges Wort mit einander gesprochen; das war ein Lachen und Necken ohne Ende. Und doch hättest Du allen Grund gehabt, zuzuhören. Deine Waldungen –“

„Um des Himmelswillen, Papa, verschone mich heute mit solchen Dingen!“ unterbrach ihn Edmund. „Wenn Du durchaus landwirthschaftliche Gespräche führen mußt, werde ich Dir Dein vielbewundertes Genie herbeischaffen. Oswald ist im Stande, den ganzen Abend mit Dir von Forstcultur zu reden. Aber wo ist er denn eigentlich? Ich vermisse ihn schon seit einer Viertelstunde. Eberhard, haben Sie Herrn von Ettersberg nicht gesehen? Ist er vielleicht drüben im Tanzsaal?“

„Nein Herr Graf, ich komme eben von dort,“ erwiderte der alte Diener, der mit einem Präsentirbrett vorüberging.

„So werde ich wohl selbst nachsehen müssen. Auf Oswald ist in solchen Dingen nie zu rechnen; er läßt mir die ganze Last der Anordnung allein. Komm, Hedwig! Der Tanz soll bald beginnen; wir wollen uns überzeugen, ob die nöthigen Arrangements getroffen sind.“

Damit nahm der junge Graf den Arm seiner Braut und führte sie nach dem Tanzsaal, der auf der anderen Seite der Gesellschaftsräume lag.

Der Saal war augenblicklich noch ganz leer, ebenso wie das anstoßende Gewächshaus, und das mochte der Grund gewesen sein, weshalb Oswald sich dorthin zurückgezogen hatte. Seine frühere Absicht, Ettersberg sofort zu verlassen, war von allen Seiten bekämpft worden. Zunächst von Edmund, der leidenschaftlich auf dem Bleiben seines Vetters bestand und ihn unausgesetzt mit Bitten und Vorwürfen bestürmte. Aber auch die Gräfin und Baron Heideck hatten es für bedenklich erachtet, wenn der widerspenstige Neffe im vollen Bruche mit ihnen in die Welt hinausging, und widersetzten sich seiner Abreise. Die Differenz, die nun einmal nicht auszugleichen war, sollte wenigstens nicht unter die Leute kommen. Den Zukunftsplänen des jungen Mannes selbst wollte man kein ferneres Hinderniß in den Weg legen, und so hatte er denn halb gezwungen nachgegeben und eingewilligt, bis zum Herbste zu bleiben, wie es ursprünglich bestimmt war.

Oswald stand vor einer blühenden Cameliengruppe und schien in den Anblick derselben versunken zu sein, in Wirklichkeit aber sah er nichts von all der Blüthenpracht, nichts von der Umgebung überhaupt. Der Ausdruck seines Gesichtes paßte wenig zu dem Glanze und der Festlichkeit des Tages, der den jungen Majoratsherrn von Ettersberg in die unumschränkte Herrschaft seiner Güter einsetzte. Dieses finstere, drohende Gesicht hätte sich freilich nicht inmitten der Gesellschaft zeigen dürfen. Es war wieder einer jener Momente, wo die Maske ruhiger Gleichgültigkeit herabsank, welche jahrelange Gewöhnung und Selbstbeherrschung dem jungen Manne aufgezwungen hatten und die so wenig seiner wahren Natur entsprach. Man sah es an dieser schwerathmenden Brust, an diesen fest zusammengebissenen Zähnen, er hatte es nicht länger ausgehalten in dem glänzenden Gewühl, er hatte in die Einsamkeit flüchten müssen, um nur einmal aufzuathmen, um nicht zu ersticken an all den Gedanken, die jetzt so wild in ihm stürmten und wogten. War das wirklich nur der kleinliche, bittere Neid eines Undankbaren, der die empfangenen Wohlthaten mit Haß vergalt, und es nicht verschmerzen konnte, daß das Glück seinen Vetter reicher als ihn bedacht hatte? In der Haltung Oswald's lag etwas von dem stolzen Trotz des unterdrückten und zu Boden getretenen Rechtes, etwas wie ein unausgesprochener, aber drohender Protest gegen den Glanz dieses Festes.

„Also hier findet man Dich!“ tönte Edmund's Stimme.

Oswald fuhr auf und wandte sich um. In der Thür des Gewächshauses stand der junge Graf, der jetzt rasch näher trat und in vorwurfsvollem Tone fortfuhr:

„Du scheinst Dich heut ganz und gar als Gast zu betrachten. Du entziehst Dich der Gesellschaft und weilst in ruhiger Beschaulichkeit hier vor den Camelienbäumen, anstatt mir zu helfen, die Honneurs des Hauses zu machen.“

Oswald hatte nur eines Augenblickes bedurft, um seine gewöhnliche Ruhe wieder zu finden, aber es lag dennoch eine versteckte Bitterkeit in seinen Worten, als er entgegnete:

„Das ist wohl ausschließlich Deine Sache; Du bist ja der Held des heutigen Tages.“

„Ja, in doppelter Eigenschaft,“ scherzte Edmund. „Als Majoratsherr und als Bräutigam. In der letzteren Eigenschaft habe ich Dir übrigens den Text zu lesen. Du hast es versäumt, Dich um einen Tanz bei Hedwig zu bewerben, und Du konntest doch voraussehen, daß sie von allen Seiten bestürmt werden würde. Zum Glück bin ich für Dich eingetreten und habe Dir den einzigen Walzer gesichert, über den sie noch Verfügung hatte. Ich hoffe, daß Du meine Aufopferung gebührend anerkennst.“

Das schien leider nicht der Fall zu sein, wenigstens nicht in dem erwarteten Maße; denn Oswald's Antwort verrieth eine merkliche Kälte:

„Du bist sehr freundlich. Eigentlich war es meine Absicht, heut überhaupt nicht zu tanzen.“

„Nein, das ist zu arg,“ fuhr der junge Graf erzürnt auf. „Es wäre unverantwortlich, wenn Du Dich auch davon zurückziehen wolltest. Weshalb denn? Du hast ja sonst getanzt.“

„Weil mir die Tante das früher nicht erließ. Lästig ist es mir immer gewesen. Du weißt ja, wie wenig ich den Tanz liebe.“

Edmund zuckte die Achseln.

„Gleichviel! Den Walzer wirst Du unter allen Umständen tanzen müssen, da ich ihn ausdrücklich für Dich verlangt habe.“

„Wenn Fräulein Rüstow damit einverstanden ist.“

„Fräulein Rüstow! Genau derselbe Ton, mit dem Hedwig mir sagte: 'Wenn Herr von Ettersberg es wünscht!' Wie oft habe ich Euch schon gebeten, diese steifen Formen zu lassen und endlich der Verwandtschaft ihr Recht zu geben, aber Ihr werdet nur immer fremder und förmlicher bei jedem Zusammensein. Es ist kaum mehr auszuhalten.“

„Ich wüßte nicht, daß ich es jemals an der schuldigen Achtung gegen Deine Braut hätte fehlen lassen.“

„Ach nein, gewiß nicht! Ihr seid im Gegentheil so unglaublich hochachtungsvoll gegen einander, daß mir beim Zuhören oft ganz eisig zu Muthe wird. Ich begreife Dich nicht, Oswald, Du trägst gerade Hedwig gegenüber eine so absichtliche Zurückhaltung zur Schau, daß Du Dich wirklich nicht beklagen darfst, wenn Du von ihr bisweilen ein wenig – rücksichtslos behandelt wirst.“

Oswald nahm den Vorwurf sehr gleichgültig hin; seine Hand spielte, wie in halber Zerstreutheit, mit einem der Blüthenzweige, als er antwortete:

„Laß das gut sein, Edmund, und sei überzeugt, daß ich mit dieser Zurückhaltung nur den Wünschen Deiner Braut entgegenkomme! Da Du den Walzer in meinem Namen erbeten hast, so werde ich ihn natürlich tanzen, im Uebrigen aber mußt Du mir die Betheiligung an dem Balle erlassen. Es war wirklich meine Absicht, heute nicht zu tanzen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_398.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)