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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Doch weshalb auf die fernen geschichtlichen Ursprünge der ungarischen Cultur zurückgehen? Weshalb dabei verweilen, daß Deutsche es waren, die nach dem Rückfluß der verheerenden Tataren- und Türkenfluthen wüste Gegenden in blühende Provinzen verwandelten? Betrachten wir doch einmal die Rolle, welche das deutsche Element in der zeitgenössischen ungarischen Cultur spielt, die sich gern als eine specifisch magyarische giebt! Auf allen Gebieten des Geisteslebens, in allen Wissenschaften und Künsten sind es Deutsche, die zum Bau der eigenen ungarischen Cultur den ersten Grundstein legten. Wer hat Ungarn zuerst geologisch durchforscht und die erste gute geologische Karte des Landes angefertigt? Der Deutsche Max von Hantken. Wer hat die wissenschaftliche Philologie der magyarischen Sprache geradezu geschaffen? Der Deutsche Budenz. Wer hat zuerst die Mythologie und die früheste Cultur der Magyaren erforscht? Der Deutsche Stummer, der sich hinter dem später angenommenen magyarischen Namen Ipolyi verbirgt. Wem verdanken die Magyaren die erste wissenschaftliche Bearbeitung ihrer alten Kunst- und Baudenkmäler? Dem Deutschen Emerich Henßlmann. Wer war der erste Ethnograph und Geograph Ungarns? Der Zipser Deutsche Hündsdorfer, jetzt Hunfalvy genannt. Die zwei besten Geschichtswerke über Ungarn stammen von den Deutschen Feßler und Engel, welche die Magyaren Horvath und Szalay nicht zu überbieten vermochten. Der beste Detailforscher ungarischer Geschichte ist der jüdische Deutsch-Ungar Frankl, heute als Fraknoi und Domherr ein doppelter Renegat. Die bisher beste Würdigung eines magyarischen Nationalschriftstellers im Zusammenhange mit seiner Culturepoche giebt die preisgekrönte Studie „Ueber Revai und seine Zeit“, vom jüdischen Deutsch-Ungar Weiß, heute Banoczi. Es thut uns leid, daß wir diese, wie wir fürchten, langweilige Liste noch immer nicht schließen können. Das einzige Werk über Ackerbau und Bodenkultur in Ungarn hat der Deutsche Heinrich Dietze geschrieben; der erste Meteorologe Ungarns ist der Deutsche Guido Schenzl, gleichwie der Schöpfer der magyarischen Nationalökonomie der Deutsche Kautz und der Begründer der ungarischen Statistik der jüdische Deutsch-Ungar Hajduska, jetzt Körösi, ist. Die erste – und eigentlich bisher einzige – Literaturgeschichte der Magyaren stammt aus der Feder des Deutschen Franz Schedel, welcher seinen Namen später in Toldy umgewandelt hat. Wir finden ferner, daß der erste Chemiker Ungarns, Than, deutschen Ursprungs, und der erste Erforscher der ungarischen Spinnenfauna, Otto Hermann, ein Deutscher ist. Jeder einzelne Professor der höheren Lehranstalten des Landes hat seine Ausbildung in Wien oder Deutschland erhalten, und sämmtliche Lehrbücher, die an höheren Lehranstalten im Gebrauch stehen, sind aus dem Deutschen übersetzt oder aus deutschen Werken compilirt worden.

Und wie in der Wissenschaft, so in der Kunst! Die besten Historienmaler Ungarns, Than und Lotz, sind Deutsche und Schüler Rahl’s; der gefeiertste Künstler, den Ungarn hervorgebracht, Michael Munkacsy, ein Mann, den die landläufige Fabel als Erz-Hunnen darstellt, heißt eigentlich Lieb, ist, wie dieser Name lehrt, deutschen Ursprungs und hat seine Ausbildung in Wien, München und Düsseldorf erhalten. Liezen-Mayer und Wagner, die gleichfalls obenan stehen, wenn die Glanznamen der ungarischen Kunst verzeichnet werden, sind Deutsche und fühlen sich als solche. Franz Liszt, diese rühmlichste Verkörperung der ungarischen Musik, ist ein Deutscher und kann noch heute kein Wort Magyarisch; dasselbe gilt von Franz Erkel, dem Schöpfer der magyarischen Nationaloper.

Daß die Magyaren heute überhaupt eine Literatur in ihrer Sprache besitzen, verdanken sie den Anregungen, welche ihre berühmten „Gardisten“ in Wien zur Zeit Maria Theresia’s durch die Berührung der deutschen Cultur empfingen, wie denn die ersten Werke dieser Regeneratoren ihres Stammes theils Uebersetzungen, theils Nachahmungen deutscher (und allerdings auch französischer) Originalwerke waren. Einer der größten Dichter der Magyaren, Kisfaludy, führte seine Privatcorrespondenz in deutscher Sprache; Szechenyi, den die Magyaren selbst „den größten Ungar“ nennen, der Begründer der ungarischen Akademie, schrieb seine Tagebücher deutsch, verfaßte deutsche Gedichte und gelangte niemals dahin, das Magyarische fließend zu sprechen.

Wohin wir also in der ungarischen Kunst und Wissenschaft immer blicken, sind es deutsche Namen, die uns entgegentreten, ist es deutsche Geistesarbeit, auf die wir stoßen.

Da wir einmal bei der Abrechnung sind, machen wir sie gleich gründlich: Das deutsche Element in Ungarn hat sich nicht damit begnügt, den magyarischen Nachbarn die höchsten Güter der Civilisation zu erwerben, es hat auch dafür gesorgt, daß das Ausland von der magyarischen Cultur Kenntniß erhalte. Bis vor einem Jahrzehnt gab es in ganz Europa wohl keinen einzigen Nichtungarn, der magyarisch verstand, und selbst heute, wo dank deutscher Apostelthätigkeit für Ungarn die Aufmerksamkeit des Auslandes mehr auf dieses Land gelenkt ist, kann man noch an den Fingern einer Hand die Franzosen und Engländer herzählen, die ein magyarisches Buch im Original lesen können. Wenn trotzdem der Name Petöfy’s durch die ganze gebildete Welt klingt, so ist es, weil Deutsch-Ungarn ihn aus dem Original in’s Deutsche übersetzten, worauf ihn die anderen Nationen aus diesen Uebersetzungen in ihre eigenen Literaturen verpflanzten. Dasselbe gilt von Moritz Jokai, dessen Romane nur darum in alle gebildetes Sprachen übertragen werden konnten, weil Deutsch-Ungarn sich’s angelegen sein ließen, sein unter dem magyarischen Scheffel verborgenes Licht auf den deutschen Weltleuchter zu setzen.

Alle Nationen außer der deutschen beziehen ihre Kenntniß Ungarns und magyarischer Geistesarbeit aus zweiter Hand; blos die Deutschen haben sie aus erster Hand, aus derjenigen der Deutsch-Ungarn, die des Magyarischen mächtig sind, dafür Interesse und Liebe haben und es für ihren patriotischen Beruf halten, zwischen Ungarn und der Außenwelt beständig und sympathisch zu vermitteln. Derjenige magyarische Schriftsteller, der keinen deutschen Uebersetzer, Lobredner, Würdiger findet, bleibt der Welt unbekannt und nähme er in seinem Vaterlande die allerbedeutendste Stellung ein; der unbedeutendste Magyare aber, den ein Deutscher an der Hand nimmt, tritt mit diesem Führer sofort in’s Licht des weltweiten Bekanntseins.

Und wenn man im Auslande für die Magyaren Sympathieen hat, wenn man sie für ein auserwählt ritterliches Volk hält, wenn ihren Namen ein gewisser romantischer Nimbus umgiebt – wem anders verdanken sie es als wieder den Deutschen, deren Dichter sie mit Begeisterung besangen? Schrieb nicht Heine in dem schönen Gedicht „Im Januar 1849“:

„Wenn ich den Namen Ungar hör’,
Wird mir das deutsche Wamms zu enge;
Es braust darunter wie ein Meer,
Mir ist, als grüßten mich Trompetenklänge.

Es klirrt mir wieder im Gemüth
Die Heldensage längst verklungen,
Das eisern wilde Kämpenlied –
Das Lied vom Untergang der Nibelungen.“

War es nicht ein deutscher Dichter, Moriz Hartmann, der für die ungarische Freiheitsbewegung die heißen Strophen des Gedichtes „Kossuth“ fand:

„So hat nicht Capistran,
Nicht Irlands Dan gesprochen.
Wie jener blasse Mann,
Von Kerkerpein gebrochen,
Mit blassem Angesicht,
Mit Augen, welche blauen
Im Schatten dunkler Brauen
Gleich Veilchen zarter Frauen
Wie der zum Volke spricht!“

Haben nicht die Deutsch-Ungarn Nikolaus Lenau und Karl Beck ihrem Vaterlande unter den Völkern des Westens mehr Freunde geworben, als alle magyarischen Schriftsteller zusammengenommen?

Und nun wollen wir sehen, wie die Magyaren – denen wir Deutschen, nebenbei bemerkt, noch im vorigen Jahre gelegentlich der Katastrophe von Szegedin vor andern Nationen die thatsächlichsten Beweise selbstloser Bruderliebe gaben – wir wollen sehen, wie diese Magyaren es den Deutschen vergolten haben, daß sie ihnen die Cultur brachten, daß sie ihnen eine Literatur, Kunst und Wissenschaft schufen und ihnen die Aufmerksamkeit, die Sympathieen der fremden Völker zuwandten.

Als im Jahre 1861 das österreichische Regiment in Ungarn ein Ende nahm, benützten die wieder zu einem Theil ihrer Macht gelangten Magyaren die ersten Anfänge ihrer Autonomie dazu, um einen Kampf gegen das Deutschthum im Lande zu beginnen, der seit 1867 mit größeren Mitteln weitergeführt wird. Das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_404.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)