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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 26.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Rüstow sah bedenklich vor sich hin. Er schien nicht sehr erbaut von der vielleicht unabsichtlichen Charakteristik seines künftigen Schwiegersohnes, welche ihm hier in Oswald's Worten entgegentrat.

„Edmund ist noch so jung,“ sagte er endlich wie entschuldigend, „und er ist bisher noch wenig auf seinen Gütern gewesen. Mit dem Besitze wird auch die Freude daran kommen und das Interesse dafür. Vor allen Dingen aber muß der unsinnigen Wirthschaft in den Forsten ein Ende gemacht werden.“ Damit fing der Oberamtsrath an, seine wirthschaftlichen Pläne und Ansichten aus einander zu setzen, und vertiefte sich so darein, daß er es gar nicht bemerkte, wie er fast allein sprach und wie schweigsam sich sein Zuhörer verhielt. Erst als die Antworten Oswald's immer einsilbiger ausfielen, seine Zustimmung immer matter wurde, begann Rüstow aufmerksam zu werden.

„Fehlt Ihnen etwas, Herr von Ettersberg?“ fragte er. „Sie sehen ja so bleich aus.“

Oswald zwang sich zu einem Lächeln und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Es ist nichts von Bedeutung, nur ein Kopfschmerz, der mich schon seit heute Morgen plagt. Ich wäre am liebsten dem Feste ganz fern geblieben.“

„Dann hätten Sie wenigstens nicht tanzen sollen,“ meinte Rüstow. „Das steigert nur ein derartiges Uebel.“

Die Lippen des jungen Mannes zuckten. „Ganz recht! Ich hätte nicht tanzen sollen. Es wird auch nicht wieder geschehen.“

Seine Stimme klang so dumpf und gepreßt, daß Rüstow im vollen Ernste besorgt wurde und ihm rieth, auf die Terrasse hinauszugehen; in der freien Luft werde sich der Kopfschmerz eher verlieren. Oswald ergriff hastig den ihm gebotenen Vorwand und ging. Der Oberamtsrath schaute ihm kopfschüttelnd nach und bedauerte, daß das Gespräch schon endigte. Die „immensen landwirthschaftlichen Anlagen“ des jungen Ettersberg waren heute gar nicht recht zur Geltung gekommen.

Der Abend verlief, wie das bei solchen Festen üblich ist, geräuschvoll und sehr glänzend. Ettersberg rechtfertigte auch heute seinen alten Ruf in dieser Hinsicht; denn die Gräfin war nun einmal Meisterin in der Anordnung wie in der Repräsentation derartiger Festlichkeiten. Die Nacht war schon weit vorgerückt, als die Gäste das Schloß verließen und die Wagen davon rollten. Auch die Familienglieder trennten sich bald. Edmund begleitete seinen zukünftigen Schwiegervater, der mit seiner Verwandten nach Brunneck zurückkehrte, bis an den Wagen, während Hedwig, die noch einige Tage in Ettersberg bei der Gräfin bleiben sollte, dieser bereits „Gute Nacht!“ gesagt und sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte.

Die vor Kurzem noch so geräuschvoll belebten Räume des Schlosses waren jetzt völlig leer und einsam, obwohl sie noch im vollen Licht- und Festesglanze strahlten. Nur die Gräfin war hier zurückgeblieben. Sie stand, wie in Gedanken versunken, vor dem Bilde ihres Gemahls, das dieser ihr bei der Vermählung zum Geschenk gemacht hatte und das jetzt den großen Empfangssalon zierte. Es war ein gütiges, mildes Antlitz, das da aus dem reich vergoldeten Rahmen hervorblickte, aber es war das Antlitz eines Greises, und die Frau, die vor ihm stand, konnte noch jetzt Anspruch auf Schönheit erheben. Diese stolze, fast königliche Gestalt, in dem reichen Atlaskleide, mit dem kostbaren Diamantschmucke an Hals und Armen, wäre noch heute keine passende Gefährtin für einen Greis gewesen – und vor mehr als fünfundzwanzig Jahren war sie ihm angetraut worden! Es lag eine ganze Lebens- und vielleicht auch Leidensgeschichte in dem Contrast dieser Erscheinung mit jenem Bilde.

Auch der Gräfin mochte sich das in dieser Stunde aufdrängen. Ihr Blick, der auf dem Gemälde haftete, wurde immer düsterer, und als sie sich jetzt abwandte und ihr Auge die Zimmerreihe durchflog, die eine prachtvolle Einrichtung zeigte, da legte sich ein unendlich bitterer Ausdruck um ihre Lippen. Der Glanz und die Pracht dieser Umgebung bekundeten so deutlich die Lebensstellung, welche die Gräfin Ettersberg einnahm und in welcher sie lange Jahre hindurch Alleinherrscherin gewesen war. Vielleicht galt jene Bitterkeit dem Gedanken, daß die Zeit der Alleinherrschaft vorüber war, wenn eine neue, jüngere Herrin hier einzog, vielleicht auch anderen Erinnerungen. Es gab doch Momente, wo die sonst so stolze, selbstbewußte Frau trotz der glänzenden Rolle, die ihr im Leben zugefallen war, es nicht verzeihen konnte, daß man sie – geopfert hatte.

Die Stimme Edmund's, der soeben zurückkehrte, riß die Gräfin aus ihren Träumereien.

„Papa Rüstow läßt sich Dir nochmals empfehlen,“ sagte er heiter. „Du hast eine vollständige Eroberung an ihm gemacht. Er stürzte sich ja förmlich in die Galanterie um Deinetwillen und war den ganzen Abend hindurch von einer so unerhörten Liebenswürdigkeit, daß ich ihn gar nicht wiedererkannte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_413.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)