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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Es läßt sich besser mit ihm auskommen, als ich dachte,“ entgegnete die Gräfin. „Er ist eine etwas rücksichtslose, aber offene und energische Natur, die man in ihrer Eigenthümlichkeit hinnehmen muß. – Deine Braut hat ja heute förmliche Triumphe gefeiert, Edmund. Du hast freilich in ihrer Erscheinung den besten Fürsprecher für Deine Wahl.“

Edmund lächelte. „Ja, Hedwig sah heute Abend unendlich reizend aus. Es gab in der ganzen Gesellschaft nur eine einzige Dame, die es mit ihr aufnehmen konnte – meine Mutter!“

Seine Augen, die mit zärtlicher Bewunderung an dem schönen Antlitze der Mutter hingen, bezeugten, daß die Worte keine bloße Schmeichelei waren. Auch die Gräfin lächelte flüchtig; sie wußte sehr gut, daß sie noch so viel jüngere Frauen und Mädchen überstrahlte und selbst vor ihrer vielbewunderten Schwiegertochter nicht in den Schatten trat. Aber ihre Genugthuung darüber verschwand jetzt vor einer tieferen Regung, als sie dem Sohne die Hand hinstreckte und fragte:

„Bist Du denn jetzt zufrieden mit Deiner Mutter?“

Der junge Graf zog leidenschaftlich die dargebotene Hand an seine Lippen.

„Das fragst Du heute, wo Du mir jeden Wunsch erfüllst? Ich weiß, daß Du mir ein Opfer gebracht hast mit Deiner Einwilligung, weiß, welche Kämpfe Du um meinetwillen mit dem Onkel zu bestehen hattest.“

Die Gräfin unterdrückte einen Seufzer bei der Erwähnung ihres Bruders.

„Armand wird mir meine Nachgiebigkeit nie verzeihen. Er mag ja Recht haben. Es wäre wohl meine Pflicht gewesen, die Traditionen unseres Hauses um jeden Preis zu wahren. Ich habe trotz alledem Deinen Bitten nicht widerstehen können. Ich wollte wenigstens Dich glücklich sehen.“

Ihr Blick streifte bei den letzten Worten unwillkürlich das Bild des alten Grafen. Edmund fing diesen Blick auf und verstand den Ton, der auf jenem Worte lag.

„Du bist es nicht gewesen?“ fragte er leise.

„Ich habe in meiner ganzen Ehe nie einen Grund zur Klage gehabt. Mein Gemahl ist stets die Güte und Nachsicht selbst gegen mich gewesen.“

„Aber er war ein Greis,“ sagte Edmund, dessen Auge jetzt auch auf den freundlichen und doch so welken Zügen des Vaters haftete, „und Du warst jung und schön, wie Hedwig, und hattest wie sie ein Recht, Glück vom Leben zu fordern. Meine arme Mutter!“ seine Stimme bebte in unterdrückter Bewegung. „Erst seit ich selbst so glücklich bin, begreife ich, wie öde Dein Leben gewesen sein muß an der Seite des Vaters, trotz all seiner Güte. Er konnte Dir ja nicht mehr das Herz und die Liebe der Jugend geben. Du hast freilich Dein Loos so stark und fest getragen, aber es ist trotz alledem ein hartes Loos, sich ewig nur dem Gebote der Pflicht zu beugen und jede Stimme zu ersticken, die nach Glück und Leben ruft –“

Er hielt inne; denn die Gräfin zog plötzlich mit einer raschen Bewegung ihre Hand aus der seinigen und wandte sich ab von ihm und dem Bilde.

„Laß das, Edmund!“ sagte sie hastig abwehrend. „Du peinigst mich.“

Der Sohn schwieg betreten; es war das erste Mal, daß er sich eine derartige Hindeutung erlaubt hatte. Er hatte nicht geglaubt, daß sie die Mutter verletzen könnte.

„Verzeih!“ sagte er nach einer Pause. „Es sollte kein Vorwurf gegen das Andenken meines Vaters sein. Seine Schuld war es sicher nicht, wenn Du an seiner Seite etwas entbehrtest.“

„Ich habe nichts entbehrt,“ rief die Gräfin aufwallend. „Nichts; denn ich hatte Dich, mein Edmund. Du bist mir Alles gewesen, hast mir Alles ersetzt; ich fragte nach keinem anderen Glücke mehr, seit ich die Liebe meines Sohnes hatte. Bisher freilich“ – hier sank ihre Stimme – „besaß ich diese Liebe allein, jetzt muß ich sie mit einer Anderen theilen, die fortan den ersten Platz in Deinem Herzen einnimmt.“

„Mama!“ fiel der junge Graf halb bittend, halb vorwurfsvoll ein. „Du bleibst ja doch, was Du mir stets gewesen.“

Die Gräfin schüttelte leise das Haupt. „Ich habe ja längst gewußt, daß die Zeit kommen werde, wo die Mutter der Braut weichen muß, und nun sie da ist, trage ich es doch schwer, so schwer, daß ich bisweilen ernstlich daran denke, bei Deiner Vermählung Ettersberg zu verlassen und mich in Schönfeld einzurichten, das mir zum Wittwensitze bestimmt ist.“

„Niemals!“ fuhr Edmund ungestüm auf. „Das kannst, das wirst Du mir nicht anthun. Du darfst nicht von mir gehen, Mama; Du weißt, daß ich Dich nicht entbehren kann, auch um Hedwig’s willen nicht. So sehr ich sie liebe, sie würde mir doch nie ersetzen können, was ich mit Dir verlieren würde.“

Die Gräfin hörte seinen Worten mit geheimem Triumphe zu. Sie wußte, daß Edmund die Wahrheit sprach; diese Stunde bewies es ihr auf’s Neue. Für seine Braut hatte er nie etwas Anderes, als Scherze und Tändeleien; sie kannte nur die liebenswürdige, aber oberflächliche Seite seines Wesens, die er aller Welt zeigte. Was er wirklich an Ernst, an Tiefe und Innigkeit besaß, das gehörte nach wie vor einzig und allein seiner Mutter, das strömte ihr auch jetzt wieder so warm und voll entgegen, daß sie triumphirend erkannte, wie der erste Platz in dem Herzen ihres Sohnes ihr gewahrt blieb. Sie hatte es freilich längst gewußt, und vielleicht verdankte Hedwig nur diesem Bewußtsein die Freundlichkeit, mit der sie von ihrer zukünftigen Schwiegermutter aufgenommen wurde. Eine glühend und leidenschaftlich geliebte Braut hätte an der mütterlichen Eifersucht einen schweren Gegner gefunden, dieses junge, schöne Wesen, das eine tiefere Neigung weder gab noch verlangte, wurde geduldet, weil es die Herrschaft der Mutter nicht gefährdete.

„Still, still! Laß das Niemand hören!“ sagte die Gräfin scherzend und doch mit überströmender Zärtlichkeit. „Es schickt sich wenig für einen Bräutigam und Majoratsherrn, wenn er so unumwunden erklärt, nicht ohne seine Mutter leben zu kämen. Glaubst Du denn, daß es mir leicht werden würde, von Dir fort zu gehen?“

„Und glaubst Du, ich würde Dich gehen lassen? Die Form meiner Mündigkeitserklärung ändert ja nicht das Geringste an unserem beiderseitigen Verhältniß.“

„Doch, Edmund!“ sagte die Gräfin ernst. „Der heutige Tag bedeutet Dir mehr als eine bloße Form. Bisher warst Du nur mein Sohn, nur der Erbe, über den ich die Vormundschaft führte: Von heute an bist Du der Chef des Hauses, das Haupt; Du hast jetzt den Namen und das Geschlecht der Ettersberg zu vertreten. Möge es in Glück und Glanz geschehen! Dann soll mir kein Opfer zu groß gewesen sein, dann will ich gern Alles ertragen und erduldet haben – um Deinetwillen.“

Es sprach eine tiefe, innere Genugthuung aus diesen Worten, und sie hatten vielleicht noch einen anderen Sinn, als Edmund ihnen beimaß. Er dankte nur für das Opfer der Einwilligung zu seiner Vermählung, als er sich niederbeugte und die Mutter küßte. Die Gräfin erwiderte seine Umarmung mit vollster Innigkeit, aber plötzlich zuckte sie zusammen, und ihre Arme schlossen sich fest und angstvoll um den Sohn, als müsse sie ihn vor einer Gefahr schützen.

„Was hast Du?“ fragte Edmund unbefangen, indem er der Richtung ihres Auges folgte. „Es ist ja nur Oswald.“

„Oswald – ja wohl!“ murmelte die Gräfin. „Er und immer nur er!“

Es war in der That Oswald, der von außen die Glasthür geöffnet hatte, die nach der Terrasse führte, und etwas befremdet schien, als er seine Verwandten erblickte.

„Ich glaubte, es sei Niemand mehr in den Sälen,“ sagte er näher tretend.

„Und ich glaubte, Du hättest Dich längst zurückgezogen,“ entgegnete die Gräfin. „Wo bist Du denn gewesen?“

„Im Parke,“ versetzte der junge Mann lakonisch, ohne den herben Ton der Frage beachten zu wollen.

„Jetzt, nach Mitternacht?“ fiel Edmund ein. „Wenn es nicht eine Beleidigung wäre, Dir Mondscheinschwärmereien zuzutrauen, so würde ich glauben, daß eine der Damen des heutigen Festes Dein Herz gerührt hat. Man fühlt in solchem Falle stets eine unwiderstehliche Reizung, den Sternen sein Glück oder Unglück vorzuseufzen. – Nimmst Du das schon wieder übel? Oswald, die Mama hat mich soeben feierlichst zum Chef des Hauses und zum Haupte der Familie proclamirt. In dieser erhabenen Eigenschaft verbiete ich Dir diesen finsteren Blick und befehle mit aller Strenge ein freundliches Gesicht. Ich will nur Glück in meinem Ettersberg sehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_414.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)