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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Die Vorbereitungen waren getroffen, die Abschiedsbesuche gemacht und die Reise selbst auf den zweitnächsten Tag festgesetzt worden. Nur in Brunneck galt es noch, sich zu verabschieden; das konnte bei dem jetzigen verwandtschaftlichen Verhältniß nicht umgangen werden, wenn Oswald es auch bis zuletzt aufgeschoben hatte. Er beabsichtigte in Begleitung Edmund’s hinüber zu fahren, aber der Graf hatte gerade für diesen Tag eine Einladung zur Jagd angenommen, und so blieb seinem Vetter nichts übrig, als die Fahrt allein zu machen. Trotz der wiederholten freundschaftlichen Einladungen des Oberamtsrathes hatte Oswald dessen Haus seit jenem Tage nicht wieder betreten, wo dort die Verlobung gefeiert wurde, der er nothgedrungen beiwohnen mußte. Trotzdem hatte er die Braut seines Vetters häufig gesehen; denn Hedwig kam sehr oft mit ihrem Vater nach Ettersberg. Man begann dort bereits einen Theil des Schlosses zur Wohnung für das künftige Ehepaar einzurichten.

Der Gutsherr von Brunneck saß im Balkonzimmer und las die Zeitungen, während seine Cousine vor einem Seitentische stand und mit prüfender Miene verschiedene elegante Toilettengegenstände musterte, die dort ausgebreitet waren. Es waren Muster und Proben, vor Kurzem erst aus der Residenz angelangt und für die Tochter des Hauses bestimmt, mit deren Ausstattung man bereits eifrig beschäftigt war.

Der Oberamtsrath schien nicht sehr von seiner Lectüre in Anspruch genommen zu sein; er blätterte zerstreut in den Zeitungen; endlich blickte er davon auf und sagte ungeduldig:

„Sind Sie denn mit Ihrem Wählen und Prüfen noch nicht fertig, Lina? Warum lassen Sie sich nicht von Hedwig helfen?“

Die Angeredete zuckte die Achseln:

„Hedwig hat wie gewöhnlich erklärt, daß sie mir Alles überlasse. Ich werde wohl allein die Auswahl treffen müssen.“

Ich begreife nicht, wie das Mädchen so wenig Interesse dafür haben kann,“ sagte Rüstow. „Es handelt sich ja um ihre eigene Ausstattung, und sonst war ihr die Toilette ja doch eine Haupt- und Staatsangelegenheit.“

„Ja – sonst!“ sagte das Fräulein mit Betonung.

Es trat eine Pause ein; der Oberamtsrath schien etwas auf dem Herzen zu haben; plötzlich legte er die Zeitungen weg und stand auf.

„Lina, ich muß etwas mit Ihnen besprechen – Hedwig gefällt mir nicht.“

„Mir auch nicht,“ sagte die alte Dame halblaut, aber sie vermied es dabei, ihren Cousin anzusehen, und betrachtete angelegentlich ein Spitzenmuster.

„Nicht?“ rief Rüstow, der, wenn er sich ärgerte, stets auch streitsüchtig wurde. „Nun, ich dächte, Ihnen müßte sie doch jetzt ausgezeichnet gefallen. Hedwig war Ihnen ja immer zu oberflächlich; nun ist sie so ungeheuer tief geworden, daß sie sogar das Lachen darüber verlernt hat. Nicht einmal Widerspruchsgeist, nicht einmal Unarten hat sie mehr. Es ist zum Davonlaufen.“

„Weil der Widerspruch und die Unarten aufgehört haben?“

Rüstow beachtete den ironischen Einwurf nicht; er stellte sich in drohender Haltung vor seine Cousine hin.

„Was ist mit dem Mädchen vorgegangen? Wo ist mein lebensfrohes, übermüthiges Kind hingekommen, mein Wildfang, der sich vor Tollheiten und Neckereien nicht zu lassen wußte? Ich muß das wissen.“

„Sehen Sie mich nicht so wüthend an, Erich!“ sagte Fräulein Lina gelassen. „Ich habe Ihrem Kinde nichts gethan.“

„Aber Sie müssen wissen, was diese Veränderungen hervorgebracht hat,“ rief der besorgte Vater diktatorisch. „Sie müssen es wenigstens in Erfahrung bringen.“

„Auch das kann ich nicht; denn Ihre Tochter hat mich nicht zur Vertrauten gemacht. Nehmen Sie doch die Sache nicht so schwer! Hedwig ist allerdings sehr ernst geworden, aber es ist ja auch ein ernster Schritt, der ihr bevorsteht, die Trennung vom Vaterhause, der Eintritt in ganz neue Verhältnisse und Umgebungen. Sie mag ja noch Manches durchzukämpfen und zu überwinden haben, aber wenn sie nur erst vermählt ist, wird ihr das Pflichtgefühl den nöthigen Halt geben.“

„Pflichtgefühl?“ wiederholte der Oberamtsrath, ganz starr vor Erstaunen. „Ist der Verlobung denn nicht ein vollständiger Liebesroman vorhergegangen? Haben die Beiden nicht ihren Willen durchgesetzt, mir und der Gräfin zum Trotze? Ist Edmund nicht der zärtlichste, aufmerksamste Bräutigam? Und da reden Sie von Pflichtgefühl? Das ist jedenfalls eine sehr vortreffliche Eigenschaft, aber wenn eine junge Frau von achtzehn Jahren ihrem Manne nichts Anderes entgegenbringt, so giebt das eine ganz jammervolle Ehe – darauf können Sie sich verlassen.“

„Sie mißverstehen mich,“ beruhigte die Cousine. „Ich meinte nur, daß der Ernst und die Pflichten auch an Hedwig herantreten werden, wenn sie erst in Ettersberg lebt. Die Verhältnisse dort scheinen doch nicht ganz so dornenlos zu sein, wie wir im Anfange voraussetzten.“

Rüstow merkte nicht das sichtbare Bestreben, ihn von dem eben besprochenen Thema abzulenken. Er ging sofort auf die hingeworfene Bemerkung ein.

„Nein, wahrhaftig nicht!“ sagte er heftig. „Wenn das so fortgeht, gerathe ich mit der Gräfin noch einmal ernstlich zusammen. Was ich auch anfangen und vorschlagen mag, ich stoße immer wieder auf diese verwünschten aristokratischen Mucken, denen sich Alles unterordnen muß. Es ist der Frau nicht klar zu machen, daß der drohende Verfall der Güter nur durch energische Mittel aufzuhalten ist; es soll Alles in dem alten Schlendrian bleiben. Die nothwendigsten Maßregeln werden verworfen, sobald sie sich nicht mit dem sogenannten Nimbus des alten Grafengeschlechtes vertragen, und mit dem verträgt sich überhaupt nichts, was Ordnung und Sparsamkeit heißt. Der eigentliche Herr und Gebieter von Ettersberg thut überhaupt gar nichts. Er glaubt schon das Aeußerste geleistet zu haben, wenn er sich einmal von seinem Administrator einen halbstündigen Vortrag halten läßt – und im Uebrigen liegt er anbetend vor seiner Frau Mama auf den Knieen und hält sie für den Inbegriff aller Weisheit und Vollkommenheit. Hedwig wird sich ihres Mannes ernstlich versichern müssen, wenn sie nicht von der Schwiegermutter vollständig in den Hintergrund gedrängt werden will.“

Dex Oberamtsrath hätte seinem Herzen wahrscheinlich noch mehr Luft gemacht; denn er war nun einmal im Zuge, aber das Geräusch eines vorfahrenden Wagens unterbrach ihn.

(Fortsetzung folgt.)




Im Banne des Mittelalters.


Aus Spaniens fernen Tagen, aus der Zeit
Des Mittelalters, trotzig, wüst und blutig,
Klingt ein Geheul von ungeheurem Leid,
Bricht Flammenlodern, grell, zerstörungsgluthig;
Stets wächst das Elend, das zum Himmel schreit,
Und ob dein Auge noch so fest und muthig:
Die Wimper zuckt, willst du das Bild erfassen
Des Unglücksvolkes, das sein Gott verlassen.

Das ist der störr’sche Nachwuchs Ahasver’s,
Der inbrunststark der Väter Erb’ umfaßte;
Zerbrochen war der Schutz des Maurenspeers
Von jenen Christen, die sein Glaube haßte;
Kein Wunder hielt die Fluth des rothen Meers,
Bis daß Jehova’s Volk bei Palmen raste:
Zerfleischend traf’s, zum Christenschwert erkoren,
Das Kreuz der Liebe, das sein Schooß geboren.

Das schwang der Wahnwitz und die Beutegier
Und finstre Rachlust, glaubenshaßverbündet;
Das hob zerstörungsfroh die Rohheit hier,
Und dort die Lust der Sinne, frech entzündet;
Mit allen Lastern regte sich das Thier;
Und vor dem Zeichen, das Versöhnung kündet,
Vor dem Verrath, vor Folter und Vernichtung
Floh Israel in aller Winde Richtung, –

Jüngst träumte mir – mit Schaudern denk’ ich dran –
Als hätt’ in ihren weltverborgnen Grüften
Die Schreckenszeit gelöst des Todes Bann
Und stieg’ gespenstisch aus erbrochnen Klüften.
Nachtfinster kam’s – ein Brodem ging mich an,
Wie ein Gemisch aus Blut- und Moderdüften,
Und gräßlich sah ich jener Zeit Gestalten
Weithin und weiter ihres Wesens walten.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_416.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)