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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


schätzten, davon legen einige altheidnische, in dem Alluvium von Schwarzort ausgebaggerte Götzenbilder und durchbohrte Stücke, desgleichen Halsperlen aus deutschen und italienischen Grabstätten (in einem andern Raume von dem Märkischen Museum ausgestellt) beredtes Zeugniß ab. –

Außer den Perlensammlungen und dem Bernsteinsaal erfreute sich keine Separatausstellung so lebhaften und andauernden Besuchs von Seiten der Damenwelt, wie jenes Eckzimmer mit seinen Korallenschätzen, auf welche Italien mit Recht stolz sein kann. Mehrere große Firmen haben sich vereinigt, Deutschland das Bild einer Industrie zu geben, wie es bunter und reichhaltiger wohl noch nie gesehen worden ist. Die in den herrlichsten Farbennüancen schillernden und mit dem feinsten künstlerischen Geschmack verarbeiteten Meeresproducte der Edelkoralle (Corallium rubrum) entstammen dem mittelländischen Meere und überzeugen den unbefangenen Beschauer nur schwer von ihrem thierischen Ursprunge, und doch sind diese blutrothen Zweige und Aeste nichts weiter als die gemeinschaftliche Körpersubstanz unzähliger kleiner Polypen, die ihre Fangarme gleich Octopus und Eledone in die nährende, salzige Fluth hinausstreckten. Hunderte von Fahrzeugen, wie das in Thätigkeit befindliche ausgestellte kleine Modell einer starken, halbgedeckten Barke, Tausende italienischer Fischer sind in der heißen Jahreszeit thätig, die Korallen an bestimmten, einer gewissen Schonzeit unterworfenen Stellen des Mittelmeeres einzuheimsen. Hierzu bedient man sich eines nach seiner Construction uralten, an zwei über Kreuz gelegten Balken befestigten Schleppnetzes, das oft genug in den Felsvorsprüngen haften bleibt und nur mit unsäglicher Mühe wieder flott gemacht werden kann. Als Kunstwerk von unschätzbarem Werthe verdient eine blaßrothe Koralle in Form eines Petschaftes hervorgehoben zu werden, das die in großer Naturwahrheit ausgearbeiteten Brustbilder der italienischen Königsfamilie zeigt und letzterer vom Hause Mazza in Torre del Greco gewidmet wurde.

Es ist eine erfreuliche Thatsache, daß es einer deutschen Firma (M. Mayer-Mainz) gelungen ist, sich einen großen Theil des Marktes, der früher von Italien und Frankreich beschickt wurde, zu erobern. –

Große Aufgaben harren des Vereins in Bezug auf die Zucht eines Seethieres, das berufen erscheint, auf dem Gebiete der Volksernährung eine wichtige Rolle zu spielen – es ist die Auster. Obgleich man nicht chemisch nachweisen konnte, daß die unscheinbare Muschel mit ihrem Nährwerth die besten Fleischsorten von Säugethieren und Vögeln überragt, wurde sie doch gewissermaßen instinctiv von den Völkern des Alterthums gesucht und geschätzt, und es ist für den Historiker nichts Neues mehr, daß man in den uralten Küchenabfällen untergegangener nordischer Stämme, wie zwischen den Marmortrümmern des classischen Römer- und Griechenthums Spuren der Auster findet. Professor Möbius-Kiel hat es unternommen, uns Binnenländer auf der Ausstellung mit der Naturgeschichte dieser nutzbaren Muschel in anschaulicher Weise bekannt zu machen. Vor unsern Augen streckt sich eine kleine Austernbank, die einen Theil des deutschen Austerngebiets (Wattenmeer, Westküste von Schleswig-Holstein) darstellt.

Es ist zunächst auffällig, wie wenig marktfähige Muscheln auf einem Raume von circa zehn Quadratmeter gefunden werden (es sind deren vielleicht zwanzig), verfolgen wir indeß die durch ausgestellte Präparate trefflich illustrirte Naturgeschichte des Schalthieres, so mag uns die Zahl doch nicht zu winzig erscheinen. Die Auster (bekanntlich ein Zwitter) entläßt jährlich aus ihrem Mantel über eine Million bereits ausgebrüteter mikroskopischer Junger, die mit Hülfe zahlreicher schwingender Wimperchen solange in der Fluth umherirren, bis sie einen festen Anhaltspunkt gefunden haben; welche Gefahren sie aber auf dieser ihrer ersten Reise zu überstehen haben, möge der von Möbius aufgestellte Satz beweisen, daß auf eine marktfähige holsteinische Auster etwa eine Million zu Grunde gegangener Junger kommen. Es ist begreiflich, daß solche Verhältnisse den Scharfsinn der „Wasserwirthe“, wie man jetzt neben „Forstwirthe“ und „Landwirthe“ sagen muß, herausfordern, und man ist in Folge dessen auf dem besten Wege, der Auster wie den Fischen künstlich zu Hülfe zu kommen, das heißt, sie zu züchten. Das geschieht durch Aufhängung von Reisigbündeln und Stricken im Wasser, „Aussäen“ an geeigneten Stellen, verschiedene Schutzmaßregeln gegen die zahlreichen Feinde, Versandung, Ueberführung in geschlossene Bassins, Anlegung von Parks, Anwendung von Zuchtkästen mit verschiedenen Abtheilungen von geflochtenem Netzwerk etc., und man hat dadurch in Italien, Frankreich, England und Amerika, wo die Auster längst Volksnahrungsmittel geworden, großartige Resultate erzielt. Die Gewinnung der Austern geschieht mit einem aus Metalldraht gefertigten Schleppnetze, das durch ein flottes Fahrzeug über die „Bänke“ gezogen wird. Die eßbaren, circa fünf bis zehn Jahre alten Thiere werden durch einen Cirkel nach ihrer Größe bestimmt und zurückbehalten, während die jüngeren dem Meere wiedergegeben werden. Austernessern und „solchen, die es werden wollen“, giebt Professor Möbius den Rath, die Austern nicht ganz zu verschlucken sondern sie zu zerbeißen und zu kauen, um ihre wohlschmeckenden Stoffe frei zu legen und zur Wirkung zu bringen. Wer übrigens vom Glück begünstigt ist, kann dabei wie jener Hamburger eine Perle entdecken, für welche dem erstaunten Feinschmecker sechsundsechszig Mark ausgezahlt wurden.[1]




Zur Geschichte der Socialdemokratie.
Von Franz Mehring.

7. Der Gothaer Vereinigungscongreß.

Unter den unermeßlich reichen Gaben, mit welchen das unvergeßliche Jahr 1870 unser Vaterland begnadete, war nicht die geringste die gänzliche Zerschmetterung der deutschen Socialdemokratie – nicht die geringste, aber leider die am wenigsten beachtete. Statt die letzten Keime des Uebels besonnen und vorsichtig auszurotten, ließ man sie ungestört sich erholen und wieder in üppiges Unkraut schießen. Viele Umstände entschuldigen diese Saumseligkeit, aber deshalb bleibt sie nicht weniger zu beklagen. Es war ein sehr böses Dilemma, in welches die communistischen Demagogen durch die französische Kriegserklärung geriethen. Die große Masse der Arbeiter, auch wo ihr gesunder Sinn durch utopistische Zukunftsträume schon verwirrt war, stand unter dem mächtigen Eindrucke des frevelhaften Friedensbruchs sofort fertig und klar auf Seiten des gefährdeten Vaterlandes. Der innere Zusammenhang der beiden socialdemokratischen Secten war mit einem Schlage zerstört. Die Lassalleaner thaten immerhin noch das Klügste, was sich unter solchen Umständen thun ließ; konnten sie sich doch auch auf die besten Ueberlieferungen ihres Stifters berufen, wenn sie mit dem allgemeinen Strome schwammen! Schweitzer und seine näheren Gesinnungsgenossen stimmten im Reichstage für die Bewilligung der Kriegsanleihe.

Um so kläglicher schwankte der deutsche Zweig des internationalen Arbeiterbundes hin und her. Zwar, daß Marx bei Ausbruch des Krieges Frankreich von Paris und Deutschland von – Braunschweig aus, wo damals das Hauptquartier seiner deutschen Anhänger war, habe insurgiren wollen, ist ein reactionäres Märchen, für welches noch keine Spur von Beweis erbracht worden ist und auch niemals erbracht werde kann. Im Gegentheil, der Londoner Generalrath rieth in seinen Manifesten namentlich den französischen Arbeitern von jeder vorzeitigen Schilderhebung ab; er sah den Erfolg der deutschen Waffen voraus, und er wünschte ihn auch, wenigstens vorläufig. Natürlich nicht um der gerechten

  1. Ueber die im ersten Theile des vorstehenden Artikels behandelte künstliche Fischzucht hat die „Gartenlaube“ vier Artikel gebracht, auf welche wir unsere Leser wohl kaum besonders aufmerksam zu machen brauchen. Der erste derselben erschien allerdings schon vor achtzehn Jahren: „Künstliche Fischzucht“ von S. Augustin Jahrg. 1862, Nr. 33. Der zweite, 1871 in Nr. 35 abgedruckt, konnte bereits in der Fischzuchtanstalt zu Hüningen den „Wasserschatz für den Volkstisch“ als „eine Elsässer Morgengabe an Deutschland“ begrüßen. Denselben schmücken zwei Illustrationen, das Laboratorium, das Bureau und die Beamtenwohnung der Brutanstalt sowie die Ausbrütungsapparate darstellend. Der dritte Artikel: „Saat in’s Wasser“ von Gampe, bringt (1874, Nr. 8) zugleich eine Abbildung der Fischzuchtanlagen zu Einsiedel im Erzgebirge, und im vierten (1877, Nr. 45) führt Dr. Edmund Veckenstedt[WS 1] uns zu den „Karpfenteichen der Niederlausitz“. Die Anstalten waren auch auf der Berliner Ausstellung vertreten.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Beckenstedt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_419.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2022)