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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


die Erscheinung seiner Tochter war noch ebenso rosig und blühend, ebenso anmuthig wie sonst. In ihrem Aeßeren hatte sich nicht das Geringste verändert, und doch war sie eine ganz Andere, als jene neckische, launische Elfe, die einst, von Lust und Uebermuth sprühend, aus dem Schneesturme auftauchte. Die Blume, die so lange im vollsten Sonnenschein geblüht hat, und auf die plötzlich ein Schatten fällt, bleibt auch unverändert. Es sind noch dieselben Formen und Farben, derselbe Duft, aber das Sonnenlicht ist gewichen. Ein solcher Schatten lag jetzt auch auf dem Antlitz der glücklichen, vielbeneideten Braut des Grafen Ettersberg, und die dunkelblauen Augen hatten einen feuchten Schimmer, als hätten sie etwas kennen gelernt, was ihnen so lange fremd gewesen war – die Thränen.

„Die Trennung wird Ihnen also doch schwer?“ setzte Hedwig das Gespräch fort.

„Gewiß! Ich werde mich in der Residenz oft genug nach Edmund und nach – den Bergen sehnen.“

„Nicht auch nach Ettersberg?“

„Nein!“

Das Wort klang so hart und entschieden, daß Hedwig befremdet aufblickte. Oswald bemerkte es und lenkte ein.

„Verzeihung! Ich vergaß, daß Ettersberg in Kurzem Ihre Heimath sein wird. Mein Wort galt auch nur den Verhältnissen, die mir den Aufenthalt dort peinlich machen und die Ihnen ja längst bekannt sind.“

„Diese Verhältnisse sind ja aber doch ausgeglichen. Die Familie legt Ihrer juristischen Laufbahn jetzt kein Hinderniß mehr in den Weg.“

„Nachdem ich mir die Freiheit des Handelns erzwungen habe, allerdings nicht mehr, aber es hat doch Kämpfe deswegen gegeben, und es ist nicht leicht, mit meiner Tante zu kämpfen. Das werden Sie auch noch erfahren.“

„Ich?“ fragte Hedwig betreten. „Ich hoffe doch nicht in den Fall zu kommen, mit meiner Schwiegermutter kämpfen zu müssen.“

Hedwig richtete sich empor; es war ein halb stolzer, halb unwilliger Blick, mit dem sie den Sprechenden maß, doch dieser erwiderte ihn mit ruhiger Festigkeit.

„Vielleicht ist es unzart, daß ich diesen Punkt überhaupt berühre, und vielleicht weisen Sie meine Einmischung als unberechtigt zurück, aber ich kann nicht gehen, ohne wenigstens eine Warnung auszusprechen. Meine Tante spricht öfter davon, bei der bevorstehenden Vermählung Ettersberg verlassen und sich nach Schönfeld zurückziehen zu wollen. Edmund hat den Plan stets in der heftigsten Weise bekämpft, und Sie haben ihn dabei unterstützt. Thun Sie das in Zukunft nicht mehr – im Gegentheil bestimmen Sie ihn, seine Mutter gehen zu lassen! Sie sind das seinem und Ihrem Glücke schuldig. Es ist in Ettersberg kein Platz für eine junge Herrin, wenn die ältere ihre Stellung behauptet, und Ihnen vollends tritt dort mit der alten Feindschaft noch ein neues Vorurtheil entgegen.“

„Ich verstehe Sie nicht, Herr von Ettersberg,“ sagte Hedwig erregt. „Vorurtheil? Feindschaft? Sie können doch unmöglich den einstigen Proceß um Dornau meinen.“

„Nicht den Proceß, aber das, was die Veranlassung dazu gab. Sie wissen vermutlich nicht, wer es war, der Ihren Großvater in seiner Härte bestärkte und ihn schließlich bestimmte, die bürgerliche Heirath seiner Tochter nicht anzuerkennen. Aber Ihr Vater weiß es, und er täuscht sich, wenn er glaubt, daß die Gräfin ihre Vorurtheile gegen derartige Verbindungen besiegt hat. Sie hat allerdings nachgegeben, in einem Moment der Ueberraschung, in einer Aufwallung des Dankes gegen ihren Lebensretter und vor Allem aus Liebe zu ihrem Sohne. Was thäte sie nicht um seinetwillen! Aber sie wird ihre Nachgiebigkeit früher oder später bereuen, wenn sie es nicht schon jetzt thut, und das wird nicht Edmund, das werden Sie zu büßen haben.“

Hedwig hörte in steigender Erregung zu. Was ihr hier so klar und unbarmherzig enthüllt wurde, das hatte sie selbst schon im Verkehr mit der Gräfin empfunden, zumal in der letzten Zeit, freilich nur dunkel und ohne sich deutlich Rechenschaft darüber zu geben.

„Ich habe bisher noch nicht über meine Schwiegermutter zu klagen gehabt,“ sagte sie zögernd. „Sie war mir gegenüber stets freundlich und entgegenkommend.“

„Auch herzlich?“

Das junge Mädchen schwieg.

„Glauben Sie nicht, daß mein persönliches Verhältniß zu meiner Tante mein Urtheil beeinflußt!“ fuhr Oswald fort. „Ich würde es sicher nicht unternehmen, Mißtrauen zu säen, wüßte ich nicht, wie gefährlich ein zu argloses Vertrauen werden kann. Es ist ein heißer Boden, auf den Sie in Ettersberg treten, und Sie müssen ihn wenigstens kennen lernen, ehe er Sie trägt. Auch Ihre Mutter mußte sich das Glück ihrer Ehe erst erkämpfen, aber sie hatte wenigstens an dem Gatten eine feste Stütze und einen muthigen Vertheidiger. Bei Ihnen werden diese Kämpfe erst nach der Vermählung beginnen, aber erspart bleiben sie Ihnen nicht; denn Sie treten ein in den Kreis jener Vorurtheile, aus dem Ihre Mutter sich losriß, und ob Sie an Edmund die so nothwendige Stütze finden, das muß sich erst zeigen. In jedem Falle ist es besser, auf sich selbst zu vertrauen. Ich bitte Sie nochmals: gehen Sie unter keiner Bedingung auf das Zusammenleben mit Ihrer Schwiegermutter ein – Edmund muß den Gedanken aufgeben.“

Hedwig schüttelte leise das Haupt. „Das wird schwer, wenn nicht unmöglich sein. Er liebt seine Mutter –“

„Mehr als seine Braut!“ fiel Oswald mit schwerer Betonung ein.

„Herr von Ettersberg!“

„Das verletzt Sie, mein Fräulein? Gewiß, es ist auch verletzend, aber eben deshalb müssen Sie es lernen, der Wahrheit in das Auge zu sehen. Sie haben bisher allzu sorglos mit der Liebe Edmund's gespielt und dafür auch nur Spiel und Tändeleien empfangen. All die tieferen Regungen seiner Natur haben Sie der Mutter gelassen, die das nur zu bereitwillig unterstützte. Edmund kann mehr als blos tändeln. Unter seiner muthwilligen Außenseite verbirgt er warme, sogar leidenschaftliche Empfindungen, aber sie müssen geweckt werden, und das hat bisher allein seine Mutter verstanden. Sichern Sie sich, was Ihnen gehört! Noch steht Ihnen die Macht der Braut, der ersten Jugendliebe zur Seite; wenn dieser verklärende Schimmer erst geschwunden ist, möchte es zu spät sein.“

Er hatte mit tiefem Ernste, aber auch mit seiner gewohnten Rücksichtslosigkeit gesprochen. Jedes Wort fiel schwer und schonungslos in das Ohr des jungen Mädchens, und schmeichelhaft waren diese Worte nicht. Noch vor wenigen Monaten hätte Hedwig eine derartige Warnung entweder als Beleidigung betrachtet oder im Uebermuthe ihres Glückes verlacht; jetzt hörte sie stumm, mit gesenktem Haupte zu. Er hatte ja Recht – das fühlte sie, aber warum mußten denn die Rathschläge für ihr Glück an Edmund's Seite gerade von diesen Lippen kommen?

„Sie schweigen?“ fragte Oswald, der vergebens auf eine Antwort wartete. „Sie weisen meine unerbetene Einmischung zurück?“

„Nein,“ entgegnete Hedwig mit einem tiefen Athemzuge. „Ich danke Ihnen, denn ich weiß, was eine derartige Warnung in Ihrem Munde bedeutet.“

„Und was sie mich kostet –“ drängte es sich unwillkürlich auf Oswald's Lippen, aber er sprach das Wort nicht aus. Vielleicht wurde es trotzdem errathen.

Der kleine Altan, auf dem die Beiden standen, hob sich aus dichten Gebüschen empor und bot einen vollen Ausblick auf das Gebirge. Man sah hinweg über weite Wiesenflächen und grüne Waldhöhen, bis hin zu den hohen Bergkuppen, die so fern lagen und in der klaren Herbstluft doch so nahe gerückt schienen. Man unterschied deutlich den waldigen Vorsprung, der die Grenze zwischen den Ettersberg'schen und Brunneck'schen Forsten bildete, und Oswald's wie Hedwig's Augen suchten nur den einen Punkt. Sie waren zum ersten Mal wieder allein seit jenem Zusammentreffen dort drüben. Es lag ein ganzer Sommer dazwischen und so manches Andere noch.

Damals war es ein rauher, stürmischer Frühlingstag gewesen, ohne Wärme und Sonnenlicht. Blatt und Blüthen bargen sich noch in der dunklen Knospenhülle, wie die Landschaft sich im Nebel und Regengewölk barg, und die Schwalben, die heranzogen, tauchten aus trüb umschleierter Ferne auf. Aber es war doch der Frühling gewesen, den seine geflügelten Boten auf ihren Schwingen in das Land trugen; das wußten die Beiden am besten, die hier so wortlos neben einander standen. Sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_430.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)