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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Der aristokratische Salon der Herzogin von G… im Faubourg Saint Germain. Zwei Säle, deren Ausstattung mit den Gästen im Einklang steht. Lauter gut legitimistische Divans, Stühle und Fauteuils aus der Zeit oder doch im Stile Heinrich’s des Vierten, Karl’s des Zehnten und Ludwig’s des Fünfzehnten, und darauf sitzen vornehme Herrschaften, deren Ahnherren mit Franz dem Ersten bei Pavia fochten und mit dem „Sonnenkönig“ in Versailles residirten.

Ein uralter Kammerdiener in Kniehosen öffnet die Flügelthüren, ohne die Ankömmlinge anzumelden. Man ist ja fast en famille. Es sind meist ehrwürdige Ueberbleibsel vom Hofe der Restaurationszeit, denen die Orleanisten beinahe ebenso verhaßt sind, wie die Kaiserlichen und die jetzt am Ruder stehenden Republikaner. Man sollte glauben, daß in einer so übereinstimmenden Gesellschaft die Unterhaltung eine sehr lebhafte und angenehme sein müßte. Aber man braucht sich nur jenen Herren und Damen am hohen Kamin zu nähern, um jedem Wort, Blick und Lächeln die trostloseste Langeweile zu entnehmen. Der hocharistokratische Salon von heute ist nichts, als ein Schmollwinkel für unterdrückten Ehrgeiz und enttäuschte Hoffnungen. Angeekelt, hat man aller Politik den Rücken gekehrt. Nur wenn irgend ein diplomatischer Intrigant, etwa der Senator Herzog von Broglie, eine Gastrolle giebt, werden die geheimsten Wünsche, daß sich die republikanische Führerschaft unmöglich machen und das Ausland dem Roy auf den Thron verhelfen möge, ganz ungescheut ausgesprochen. Vor der Hand sind die reactionären Verschwörer allerdings, gleich ihren Collegen in der Operette „Madame Angot“, noch kaum über das Hauptrecept: „Blonde Perrücke und schwarzes Collet“ hinausgekommen.

Und so ist denn die Kleiderfrage fast ausschließlicher Gegenstand der Unterhaltung: welche Robe die bonapartistische Gräfin d’H… auf dem deutschen Botschaftsball getragen, was der erste Pariser Damenschneider Worth für eine Seebad-Toilette creirt, ob die royalistischen geblümten Stoffe à la Marie Antoinette wirklich in die Mode kommen, und ob Fräulein Bartet vom Théâtre Français ihres Talentes oder ihres neuen Kleides wegen applaudirt worden sei. Trotz alledem entstehen manchmal peinliche Pausen im Gespräche, sodaß die Herrin des Hauses schnell irgend etwas Gutes oder Schlechtes ersinnen muß, um die sie entehrende Lücke zu stopfen. Jawohl, die junge Herzogin ist gutmüthig, wahrheitsliebend und edel, aber wenn es sich darum handelt, die Unterhaltung um jeden Preis wieder in Fluß zu bringen, dann wird sie böse, verlogen und übelzüngig. Ich kenne manche Unschuld, die in schlimmen Ruf kam, blos weil der Plauderstoff ausgegangen war.

Ueble Laune ist die Signatur dieses Salons. Auch die anwesenden jungen Herren sehen unzufrieden aus; denn sie betrachten die Pflicht, ihre Mütter hierher zu begleiten, als einen bitteren Frohndienst. Sie hätten wohl lieber den Abend im Club oder im Theater oder in galanter Gesellschaft zugebracht. Aber dort in der Fensternische sind ja die Cousinen. Allerliebste Mädchen, was? „Guten Abend, Fräulein Léonide …“ und da staken sie schon mitten im besten Plaudern, Kichern und Kosen. Unterdessen blättert ein schweigsamer Akademiker in der „Revue des deux Mondes“, als ob man nicht ohne sie selig einnicken könnte. Und hinter der spanischen Wand flüstert die lahme Herzogin-Mutter mit einem dicken Abbé und jammert, gleich Scheffel's Ichthyosaurus, über der Zeiten Verderbniß. Aber das Pfäfflein, das prächtig gegessen hat und ohne Aufregung verdauen möchte, ist nachsichtig, wie alle Leute mit gutem Gewissen und gutem Magen und überfließt zum Entsetzen der alten Dame von christlicher Gnade und Barmherzigkeit.

„Und denken Sie sich Herr Abbé, meine Schwiegertochter hat zur Vertrauten eine Jüdin.“

„Ohne Zweifel um sie zu bekehren, meine Liebe.“

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Diplomatischer Salon bei der Fürstin T… Jeden Tag wird in ihrem dem dänischen Gesandten gehörigen kleinen Palaste der Geselligkeit gepflogen. Zwischen vier bis sechs Uhr kann man sie regelmäßig im sogenannten Diplomatenwinkel sehen. Der Sonnenschein fällt in bunten Lichtern durch die gemalten Fenster auf ihre aristokratische Gestalt.

Ist sie jung? Je nun, das Alter der Frauen zählt man ja wie im Piquet: nach neunundzwanzig kommt sechszig; und wenn sie letzterer Zahl näher ist, so trägt sie das jedenfalls mit königlicher Würde. Die Taille ist fein und der Fuß nicht größer als ihre Hand, die sehr klein ist. Das Gesicht verräth den russischen Typus: wasserblaue Augen, Stumpfnase, matten Teint, starke Backenknochen und blondes Haar. Ihre Toilette ist von echtem moskowitischem Geschmacke. Sie soll jährlich hunderttausend Franken dafür ausgeben; ohne Zweifel muß sie das Vergnügen, die ersten Schneider von Paris durch ihre excentrischen Anforderungen zu compromittiren, nach Gebühr bezahlen.

Die Fürstin tauchte gleich nach dem deutsch-französischen Kriege am Pariser Horizont auf. Sie hegte von Anfang an den Plan, die kaiserlose Weltstadt für den Mangel eines Hofes zu entschädigen und ihr eine Regentin in partibus zu geben. Sie hatte zuvor in Baden-Baden den alten Thiers kennen gelernt. Bei ihrer Intelligenz, Energie und Verwandtschaft mit Gortschakow wurde es ihr nicht schwer, den großen Staatsmann für ihre Person und Idee zu gewinnen. Thiers wünschte sich ohnehin schon längst eine solche Egeria, die ihm, nicht für politische Rathschläge, wohl aber als diplomatische Zwischenhändlerin und Spionin ähnliche Dienste leisten könnte, wie Madame de Liéven dem alten Guizot. So wurde denn der greise Diplomat die Sonne ihres Salons, um welche als Planeten die Minister, Gesandten und die wichtigsten Parteiführer aller Farben kreisten. Die Fürstin selbst war nur der Mond an diesem Firmamente. Sie strahlte blos geliehenen Glanz wieder, handelte nicht selbst, sondern regte zu Thaten an und wußte es immer so einzurichten, daß sie Ansichten Anderer erfuhr, ohne ihre Meinung zu verrathen.

Das Verhängniß wollte, daß ihr treuer Berather starb und sie ohne sicheren Compaß zurückließ. Von nun an folgte sie den parlamentarischen Strömungen und war demzufolge genötigt, öfter ihre Gesinnungen und den Charakter ihres Salons zu ändern. Als nach Thiers’ Tode eine Wiederherstellung des französischen Königthums möglich und sogar wahrscheinlich wurde, da hängte die Fürstin plötzlich ihr politisches Mäntelchen nach dem legitimistischen Winde. Ein Jahr lang war der Herzog von Aumale der Abgott ihres Salons. Er thronte dort auf Weihrauchwolken und genoß den Vorgeschmack eines Hofstaates. Aber plötzlich blieb er fort. Böse Zungen behaupten, weil der Sohn Louis Philipp’s gemerkt habe, daß die ehrgeizige Russin ihm ihre schöne junge Tochter zur Gemahlin zu geben trachte. Ich glaube eher, weil er die Unzuverlässigkeit der Fürstin erkannt hatte, die schon damals anfing, mit der erstarkenden republikanischen Partei zu kokettiren.

Unter der Präsidentschaft von Mac Mahon ging sie mit fliegenden Fahnen und brennender Lunte in’s liberale Lager über, was natürlich ihre bisherigen Anhänger verletzte, ohne ihr das Vertrauen der neuen Parteigänger zu gewinnen. Sie bemühte sich nach Kräften, Gambetta zum Stern ihres Salons zu machen, aber der schlaue Tribun fiel keineswegs in ihre Netze. Wenn er auch die wetterwendische Dame besuchte, so wählte er doch immer die Vormittagsstunden, wo der diplomatische Salon noch nicht eröffnet war. Auch die Republikaner des Centrums und der äußersten Linken blieben fern. Weil sie es immer mit den Stärkeren hielt und fortwährend die aus den Sattel gehobene Partei im Stiche ließ, verdarb sie es mit Allen. Bald zählten ihre Armeelisten mehr Fahnenflüchtige als Combattanten.

Und doch ist sie immer noch eine vollendete Salonkönigin. Alle Feinheiten diplomatischer Sprach- und Umgangsformen sind ihr geläufig. Sie plaudert nicht, um ihre Meinung zu sagen, sondern um Andere auszuholen. Aber was kann das für einen Werth haben, wo die Personen werthlos sind? Man mustere die nunmehrigen Gäste der Moskowitin!

Es sind meistens vornehme Angehörige der russischen Colonie, aber ohne socialen oder gar politischen Einfluß auf französische oder europäische Angelegenheiten. Mag sich die Fürstin noch so oft von ihrem Stuhle erheben, um dem eintretenden Gaste mit gravitätischem Gruße entgegenzugehen: er ist weder ein Gambetta, noch ein Prätendent oder ein activer Minister, sondern im höchsten Falle irgend ein dunkler Abgeordneter, dessen ganze parlamentarische Thätigkeit in der Einbringung überflüssiger Amendements besteht, die er gegen Ende der Sitzung regelmäßig wieder zurückzieht, weil alsdann ihr einziger Zweck, seinen Namen in die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_442.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)