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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Dinge muß man möglichst leicht nehmen und sich im Uebrigen auf sein Glück verlassen.“

„Du scheinst doch die Worte Deines Gegners nicht leicht genommen zu haben. Womit hat er Dich denn eigentlich beleidigt?“

Das Antlitz des jungen Grafen verfinsterte sich, und seine Stimme nahm einen erregten Ton an.

„Es war von dem ehemaligen Streite um Dornau die Rede. Man neckte mich wegen meiner praktischen Idee, den Proceß durch eine Verlobung zu erledigen. Ich ging auch unbefangen auf den Scherz ein. Da Dornau ja nun doch an Ettersberg fiele, so seien gewisse frühere – Bemühungen in dieser Hinsicht ganz überflüssig gewesen.“

„Du weißt ja, daß der Baron sich bei Deiner Braut ein Nein geholt hat,“ sagte Oswald achselzuckend. „Er trägt Dir nun natürlich bei jeder Gelegenheit eine möglichste Gereiztheit entgegen.“

„Die Aeußerung war aber gegen meine Mutter gerichtet,“ brauste Edmund auf. „Es ist ja kein Geheimniß, daß sie entschieden gegen die Heirath ihrer Cousine mit Rüstow Partei genommen und ganz auf der Seite des erzürnten Vaters gestanden hat. Sie hegt nun einmal eine hohe Meinung von ihren Standesvorrechten und hat sich damals verpflichtet gefühlt, das aristokratische Princip mit aller Energie zu vertreten. Eben deshalb rechne ich ihr das Opfer, das sie mir jetzt bringt, um so höher an. Jene Bemerkung klang aber, als sei das Testament des Onkel Franz aus eigennützigen Rücksichten beeinflußt worden, um Dornau mir zuzuwenden. Sollte ich das vielleicht dulden?“

„Du gehst zu weit. Ich glaube nicht, daß Senden einen derartigen Hintergedanken gehabt hat.“

„Gleichviel, ich habe es so aufgefaßt. Weshalb widerrief er nicht, als ich ihn zur Rede stellte? Es mag sein, daß ich das etwas allzu heftig that, aber in dem Punkte vertrage ich nun einmal nichts. Du wirfst mir oft genug meinen Leichtsinn vor, Oswald, es giebt aber eine Grenze, wo er aufhört, und dann nehme ich die Dinge ernster als Du.“

„Ich weiß es,“ sagte Oswald langsam. „Es giebt zwei Punkte, in denen Du tief und ernst empfinden kannst: Dein Ehrgefühl und – Deine Mutter!“

„Und die gehören zusammen!“ fiel Edmund beinahe drohend ein, „und wer sie auch nur mit dem Schatten eines Verdachtes beleidigt, der treibt mich zum Aeußersten.“

Er war aufgesprungen und stand jetzt hoch aufgerichtet da. Der sonst so heitere, sorglose Ausdruck seiner Züge war einem tiefen Ernste gewichen, und seine Augen blitzten in leidenschaftlicher Erregung.

Oswald schwieg; er stand an seinem Schreibtisch und hatte bereits die Papiere ergriffen, um sie bei Seite zu schieben und das Bild hervorzuziehen, bei den letzten Worten des jungen Grafen aber hielt er unwillkürlich inne. Warum mußte in diesem Augenblick auch gerade ein solches Gespräch aufkommen?

„Ich habe nie geahnt, daß jenes Testament zu einer derartigen Auffassung Anlaß geben könnte,“ nahm Edmund wieder das Wort, „sonst hätte ich schon damals, bei dem Tode des Onkels, der Erbschaft entsagt und nie die Einleitung des Processes geduldet. Wenn mir Hedwig nun fremd geblieben wäre und die Gerichte mir Dornau zugesprochen hätten, ich glaube, die Verleumdung hätte sich nicht gescheut, mich zum Helfershelfer eines Betruges zu machen.“

„Man kann auch das Opfer eines Betruges sein,“ sagte Oswald dumpf.

„Das Opfer?“ wiederholte der junge Graf, indem er mit eine raschen Bewegung vor seinen Vetter hintrat. „Was meinst Du damit?“

Oswald's Hand lag schwer auf den Papieren, die so Verhängnißvolles deckten, aber seine Stimme klang kalt und unbewegt, als er erwiderte:

„Nichts! Ich sprach in diesem Augenblicke gar nicht von Dornau. Wir wissen ja am besten, daß der Onkel ganz nach eigenem Willen gehandelt hat. Aber das Testament lautet nun einmal zu Deinen Gunsten, mit Uebergehung der Tochter; da hat die Verleumdung immer Spielraum und spricht von Beeinflussung. In diesem Falle würde man es vielleicht sogar natürlich gefunden haben, wenn eine Mutter sich im Interesse ihres Sohnes über alle Bedenken hinwegsetzt.“

„Das wäre aber eine Erbschleicherei gewesen,“ rief Edmund von Neuem aufflammed. „Ich begreife Dich nicht, Oswald. Wie kannst Du mit einer solchen Gleichgültigkeit von einer derartigen Annahme, einer derartigen Beschimpfung sprechen? Oder wie nennst Du es denn, wenn der rechtmäßige Erbe verdrängt und ein Anderer an seine Stelle gesetzt wird, um diesem das Vermögen zu sichern? Ich nenne das einen Betrug, eine Ehrlosigkeit, und der bloße Gedanke schon, daß man so etwas mit dem Namen Ettersberg in Verbindung bringen könnte, macht mein Blut sieden.“

Oswald's Hand glitt langsam von dem Schreibtische und er trat einige Schritte seitwärts in den Schatten, wohin der Lichtkreis der Lampe nicht reichte.

Dir würde man auch schweres Unrecht thun mit einem solchen Gedanken,“ sagte er mit Nachdruck. „Aber die Welt urtheilt meist in gehässiger Weise; freilich macht sie auch oft gehässige Erfahrungen. Gerade in unseren Lebenskreisen spielen so manche dunkle Familiengeschichten, die, jahrelang verborgen, plötzlich durch irgend ein Verhängniß an's Licht gezogen werden, und so Mancher, der eine glänzende Stellung behauptet, trägt das Bewußtsein einer Schuld mit sich herum, die ihn vernichten würde, wenn man sie aufdeckte.“

„Nun, ich könnte das nicht,“ sagte der junge Graf, indem er das schöne, offene Antlitz seinem Vetter voll zuwendete. „Ich muß mit freier Stirn dastehen vor der Welt und vor mir selber, muß frei athmen und jede Verleumdung verachten können – sonst giebt es für mich kein Leben mehr. Dunkle Familiengeschichten! Gewiß, es giebt mehr dergleichen, als man ahnt, aber ich würde einen solchen Schatten in meinem Geschlechte nicht dulden, und sollte ich ihn selbst an's Licht bringen.“

„Und wenn Du schweigen müßtest um der Familienehre willen?“

„Dann würde ich vielleicht daran sterben; denn leben mit dem Bewußtsein, daß ein Makel auf mir und meinem Namen ruht – das könnte ich nicht.“

Oswald fuhr mit der Hand über die Stirn, die von kaltem Schweiße bedeckt war, während sein Blick in furchtbarster Spannung jeder Bewegung seines Vetters folgte. Es bedurfte vielleicht seines Eingreifens nicht mehr, der Zufall nahm ihm die schwere Pflicht ab, die doch nun einmal vollzogen werden mußte. Edmund war an den Schreibtisch getreten und warf, während er erregt weiter sprach, die einzelnen Papiere durch einander, ohne sie anzusehen. In der nächsten Minute schon konnte er die Kapsel entdecken, deren Form ihm nothwendig auffallen mußte, und dann – dann kam die Katastrophe.

„Wenigstes weiß man es jetzt, wie ich derartige Andeutungen auffasse,“ fuhr er fort, „und die Lehre, die Senden erhalten hat, wird auch für Andere von Nutzen sein. Der Verleumdung ist ja nichts heilig, mag es noch so rein und hoch dastehen, mag es einem Anderen das Ideal sein.“

„Auch Ideale können in den Staub sinken,“ warf Oswald ein. „Du hast das freilich noch nicht erfahren.“

„Ich sprach von meiner Mutter,“ sagte der junge Graf mit tiefer Empfindung.

Oswald gab keine Antwort, aber es war gut, daß er so tief im Schatten stand; so sah der Andere wenigstens nicht, wie diese Unterredung ihn marterte. Es kam ja so selten vor, daß Edmund einmal ernst war, und gerade heute war er es, gerade jetzt zeigte er die ganze Tiefe seiner Empfindung. Dabei blätterte seine Rechte immer noch mechanisch in den Papieren, und er kam dem verhängnißvollen Punkte immer näher. Oswald's Arm zuckte, um den Ahnungslosen zurückzureißen, aber es geschah nicht, der junge Mann verharrte unbeweglich auf seinem Platze.

„Du begreifst es jetzt wohl, warum ich der Mama dieses Rencontre verschweige, trotz seines ungefährlichen Ausganges,“ nahm Edmund wieder das Wort. „Sie würde nach dem Anlaß fragen, und der würde sie kränken. So lange ich noch dastehe, soll ihr aber auch nicht die leiseste Kränkung nahen. Ehe ich dulde, daß sie von der Verleumdung auch nur berührt wird – eher gebe ich das Leben hin.“

Er hatte die einzelnen Papiere, Blatt für Blatt, bei Seite geworfen und griff nun nach dem letzten, unter welchem das Bild lag; in demselben Augenblicke aber legte sich Oswald's Hand auf die seinige und hinderte ihn daran.

„Was soll das?“ fragte Edmund erstaunt. „Was hast Du denn?“

Statt aller Antwort umfaßte ihn Oswald und zog ihn einige Schritte seitwärts.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_451.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)