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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ja, säß ich selbst im Himmel drei,
Wo se den Nektar schenke:
Bei jedem Troppe Aeppelwei
Mißt ich an Frankfort denke!
Wer könnt aach je sei Vatterstätt,
Sei Frankfort je vergesse,
Un wenn er Gott zum Schwager hätt
Un pure Gold zu fresse?
Ja, Frankfort! wo is da e Wahl
Trotz de Erunnerhunzer?[1]
Wo fihrt e Määbrick[2] noch emal
In’s Paradeis, wie unser?
O Frankfort! wo aäm des Geschick
Aach immer hingetriwwe,
Mit goldner Schrift und pathornsdick[3]
Bleibst de in’s Herz geschriwwe.“

So sind die Frankfurter, und so waren sie alle Zeit. Wer die Stadt kennt, wird diese Anhänglichkeit begreifen. Auch Fremde, wie ich schon oben erwähnte, fühlen sich von ihr meist mächtig angezogen. Was Wunder, daß die Stadt der Gärten und der Millionen, die Stadt der glanzvollen historischen Vergangenheit und der mächtigen Entfaltung in der Gegenwart zugleich die Stadt der Congresse ist! Sie eignet sich dazu wie wenige.

Auch jetzt wieder rüstet sich Frankfurt zu einem großen nationalen Stelldichein. Viel tausend frisch-fromm-fröhlich-freie Herzen schlagen ihm erwartungsvoll entgegen, und in wenigen Tagen wird die Stadt in festlichem Schmucke prangen. Möge sich jeder Festtheilnehmer dort so wohl aufgenommen finden, daß er mit vollem Herzen einstimmen kann, wenn man Frankfurt preist als „der Städte Blume und des Reiches Stolz“!

Theodor Winkler.




Die abenteuerliche Geschichte vom falschen Dmitry.
Von Johannes Scherr.
(Schluß.)


3. Wie die Komödie zur Tragödie und der Schwindel zum Krach umschlug.

Nun galt es aber, des Vertrags vom 25. Mai des vorhergegangenen Jahres sich zu erinnern. Oder vielmehr, die polnischen Herren, welche mit ihren kriegerischen Gefolgschaften zugleich mit Dmitry in die russische Hauptstadt eingezogen waren und daselbst Standquartiere bezogen hatten, zögerten gar nicht lange, den Pseudozaren an seine schweren, in Polen eingegangenen Verbindlichkeiten zu mahnen. Er konnte sich von der Erfüllung derselben nicht lossagen und wagte nicht einmal den Versuch einer Lossagung. Hieraus ergab sich aber mit Nothwendigkeit, daß seine Stellung vom ersten Augenblick seiner gelungenen Usurpation an eine ganz schiefe und unhaltbare und der Zarenthronsitz für ihn ein sehr unbequemer und ungemüthlicher war. Der Schwindler befand sich ja, so zu sagen, zwischen zwei Feuern. Auf der einen Seite seine polnischen Helfershelfer, welche in Moskau geradezu die Herren spielten, durch ihren Hoch- und Uebermuth das Russenthum kränkten und herausforderten und die Stadt mit dem Geräusche ihrer Ausschweifungen erfüllten und ärgerten. Auf der andern Seite die russischen Großen, welche in dem Prätendenten zunächst nur einen Hebel zum Sturze des verhaßten Boris gesehen hatten, jetzt aber erfahren mußten, daß der neue Usurpator auf ihre nationalen Gefühle und Anschauungen, auf ihre stupiden Vorurtheile, auf ihren echtbarbarischen Haß gegen alles Fremde und auf ihre wildselbstsüchtige Abneigung gegen alle und jede Neuerung noch weit weniger Rücksicht nahm, als Boris gethan hatte, ja daß der Eindringling geradaus so schaltete und waltete, als wäre er eigens hergekommen, um alles Russische zu verhöhnen und auszutilgen, als wäre er nicht so fast ein Zar des rechtgläubigen, heiligen Russlands, als vielmehr der Statthalter des Polenkönigs im Reußenland und das bereitwillige Werkzeug der Jesuiten, um die orthodoxe russische Nationalkirche zu vernichten und an die Stelle derselben das zu setzen, was alle Russen den ketzerischen Gräuel Roms nannten und als eine Todsünde verabscheuten.

Bei alledem und bei der gänzlichen Abwesenheit von Ehre und Treue unter den russischen Magnaten ist es ganz in der Ordnung gewesen, daß sich in den Kreisen dieser Aristokratie schon wenige Monate nach Dmitry’s Krönung ein Komplott anspann, welches die Entthronung und selbstverständliche Ermordung des Eindringlings zum Zwecke hatte. An der Spitze dieser Verschwörung stand das Haupt des Hauses Schuisky, der Fürst Wassily, welcher selber nach der Zarenkrone gierte und strebte. Allein das Komplott wurde verrathen und durch Dmitry mit Hilfe der noch immer scharenweise und wohlgerüstet in Moskau anwesenden Polen unschwer vereitelt und niedergeschlagen. Den Fürsten Wassily Schuisky ließ der Pseudozar zum Tode verurtheilen, aber unkluger und leichtsinniger Weise begnadigte er den Verurtheilten auf dem Schaffot und angesichts von Block und Beil; ja, er rief den Verschwörer nach kurzer Verbannung an den Hof zurück und setzte ihn wieder in alle seine Ehren und Würden ein, welche thörichte Großmuth der Begnadigte, wie er nun einmal war, natürlich damit vergalt, daß er vorsichtiger als früher seine Minirarbeit weiterführte.

Die Leichtigkeit, womit diese Gefahr beschworen worden, mußte den glück- und machtberauschten Dmitry in seiner leichtsinnigen und leichtfertigen Art, die Sachen zu nehmen und zu führen, noch bestärken. Er stand demzufolge nicht an, große Summen dem russischen Staatsschatze zu entnehmen und nach Polen zu schicken, daß damit die Schulden der Mniszek und Wiszniewiecki bezahlt würden. Auch die Herholung seiner Verlobten, der schönen Panna Marina Mniszek, welche mit unerhörtem Prunk umgeben wurde, verursachte schweren Aufwand. Am 1. Mai von 1606 zog die Zarenbraut in Moskau ein, in polnischer Staatstracht, in einer mit rothem Atlas ausgeschlagenen, mit perlengestickten Sammetkissen gepolsterten und von 12 Tigerschecken gezogenen Karrosse, begleitet von einem ganzen Schwarm polnischer Herren und Damen und gefolgt von mehreren Tausenden reichgerüsteter Hussaren.

Acht Tage später wurde die Hochzeit im Kremlin gefeiert, für die Russen kein Freudenfest, sondern nur ein neues und großes Aergerniß. Denn niemals noch hatte ein Reußenzar, statt unter den Töchtern des Landes zu wählen, mit einer Fremden sich vermählt, wie Dmitry that – und vollends gar mit einer Fremdgläubigen, mit einer Ungläubigen, die, weil eine römische Ketzerin, eigentlich noch schlimmer denn eine Heidin. Mit der Vermählung des Zaren sollte aber auch – so wollte es der polnische Stolz – die Krönung der Zarin verbunden werden, eine Ehre, welche bislang noch keiner Zarin widerfahren war und welche, noch dazu einer Fremden und Heidin angethan, Stockrussen schlankweg als eine ruchlose Gotteslästerung erschien.

Bei Gelegenheit dieser Haupt- und Staatsaktion gab es eine komische Episode und schüttelte der Narr, welcher in der sogenannten Weltgeschichte herumspringt, lustig seine Schellenkappe. Denn die Frage, wie Marina an ihrem Vermählungs- und Krönungstage angezogen sein sollte, wurde zu einer förmlichen Staatsfrage aufgebauscht, welche im Reichsrath zur Erörterung kam. Die schöne Polin wollte in ihrer gewohnten polnischen oder vielmehr französischen Modetracht zur Kirche gehen. Aber davor schlugen die Russen ein Kreuz und verlangten, daß Marina schlechterdings in russischer Nationaltracht vermählt und gekrönt werden müßte, also mit unter dem „Kakoschnik“ verborgenem Haupthaar, wie verheirathete Frauen denselben trugen, in einem weiten, oberhalb des Busens gegürteten Rock und in großen Stiefeln mit eisenbeschlagenen Absätzen. Die Braut entsetzte sich vor diesem ihr zugemutheten An- und Aufzug, aber sie mußte sich fügen; denn die Herren Bojaren verstanden in dieser Kleiderfrage keinen Spaß und wiesen alle von Dmitry und Marina zu Gunsten eines kleidsameren Anzuges vorgebrachten Argumente zurück.

Nachdem diese wichtige Frage also erledigt worden, ging die Doppelceremonie am 8. Mai in der Kathedralkirche von Moskau pomphaft in Scene. Dieser Tag bezeichnete den Höhepunkt, so recht die Peripetie der verwegenen Komödie und zugleich den Wendepunkt zur tragischen Katastrophe.

Beschleunigt wurde diese durch den mehr und mehr sich steigernden Uebermuth der Polen, von welchen der Zarenhof wimmelte. Ihre Frivolität hielt es gar nicht der Mühe werth,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_478.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)
  1. Herunterhunzer, Tadler.
  2. Mainbrücke.
  3. pfarrthurmsdick.