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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Edmund war langsam näher gekommen und stand jetzt am Tische, der Mutter gegenüber, aber er hob den Blick nicht vom Boden als er erwiderte:

„Mir ist ja nichts! Ihr sorgt Euch ganz unnöthiger Weise um mich.“

Die Gräfin schwieg, aber dasselbe schmerzvolle Zucken der Lippen, mit dem sie vorhin Hedwig's Besorgnisse aufgenommen hatte, zeigte auch jetzt, wie viel ihr diese Versicherung galt.

„Unser Leben ist ja jetzt überhaupt so voll Unruhe und Aufregung,“ fuhr Edmund fort. „Es wird schon besser werden, wenn Hedwig nur erst dauernd in Ettersberg ist.“

„Und wenn ich in Schönfeld bin!“ ergänzte die Gräfin mit tiefster Bitterkeit. „Nun, das wird in wenigen Wochen geschehen.“

„Mama, Du bist ungerecht. Habe ich Dein Fortgehen verschuldet? Die Trennung war doch Dein ausdrücklicher Wunsch.“

„Weil ich sah, daß sie uns Beiden nothwendig ist, denn so können wir nicht neben einander hinleben, wie in diesen letzten zwei Monaten. Du bist furchtbar überreizt, Edmund, und ich weiß nicht, wie das enden soll, wenn Deine Vermählung nicht Deine Stimmung ändert. Vielleicht gelingt es Hedwig, Dich wieder ruhig und glücklich zu machen. Deine Liebe zu ihr ist jetzt noch meine einzige Hoffnung, denn ich – habe keine Macht mehr über Dich.“

Es mußte weit gekommen sein, wenn die stolze Frau, die stets so triumphirend und siegesgewiß die Liebe ihres Sohnes behauptet hatte, sich ein solches Geständniß entreißen ließ. Es lag keine Bitterkeit und kein Vorwurf mehr in den letzten Worten aber ihr Ton war so erschütternd, daß Edmund in aufwallender Reue herantrat und die Hand der Mutter ergriff.

„Verzeihe, Mama! Ich wollte Dich nicht kränken, gewiß, ich wollte das nicht. Du mußt Nachsicht mit mir haben.“

In seiner Stimme lag ein Anflug der alten Zärtlichkeit, und mehr bedurfte es nicht, um die Gräfin Alles vergessen zu lassen. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie den Sohn an ihre Brust ziehen, aber es kam nicht dazu. Edmund wich, wie einer unwillkürlichen Regung folgend, zurück, dann besann er sich plötzlich, und sich über die Hand der Mutter beugend, drückte er stumm seine Lippen darauf.

Die Gräfin war bleich geworden; und doch kannte sie längst dieses scheue Ausweichen, dieses Grauen vor ihrer Umarmung, das gewaltsam bezwungen wurde, um sie nicht zu beleidigen. Das war ja schon seit Monaten so gewesen, aber die Mutter konnte und wollte es noch immer nicht begreifen, daß sie die Liebe ihres Sohnes verloren hatte.

„Denke an meine Bitte!“ sagte sie, sich zusammenraffend. „Schone Dich, um Hedwig's willen! Du bist es ihr und Dir schuldig.“

Sie ging und zögerte doch noch einen Moment lang an der Schwelle. Vielleicht hoffte sie, zurückgehalten zu werden, aber vergebens. Edmund stand unbeweglich an seinem Platze und sah nicht auf, bis sie das Zimmer verlassen hatte.

Erst als er allein war, richtete sich der junge Graf empor. Sein Blick haftete einige Minuten lang unverwandt auf der Thür, hinter der seine Mutter verschwunden war, dann trat er an das Fenster und drückte die heiße Stirn gegen die Scheiben.

Jetzt, wo er sich unbeobachtet wußte, sank die Maske der Heiterkeit, mit der er seine Umgebung zu täuschen suchte, und an ihre Stelle trat ein Ausdruck so düsterer, so hoffnungsloser Verzweiflung, daß die Besorgnisse der Gräfin nur zu sehr gerechtfertigt erschienen. Es mußten finstere, unheimliche Gedanken sein, die in dem Inneren des jungen Mannes bohrten und wühlten, als er so starr in den immer dichter fallenden Schnee blickte. Sie beschäftigten ihn so völlig, daß er es nicht vernahm, wie seine Braut wieder eintrat. Erst als die Schleppe ihres Kleides dicht hinter ihm rauschte, fuhr er auf und wandte sich um.

„Ah, Du bist es! Hast Du dem Papa die Nachricht von unserem Kommen gesandt?“

Hedwig konnte beim Eintreten wohl kaum das Gesicht ihres Verlobten gesehen haben. Dennoch mußte sie etwas von jener Stimmung gewahr geworden sein, der er sich einen Augenblick überlassen; denn anstatt auf seine Frage zu antworten, legte sie ihre Hand auf die seinige und fragte leise:

„Was hast Du, Edmund?“

„Ich? Nichts! Ich ärgerte mich nur soeben über das Wetter, das auch für morgen nichts Gutes verspricht. Ich weiß, was dies Schneetreiben auf sich hat, wenn es sich erst einmal in unseren Bergen festsetzt. Möglicherweise können wir morgen vor Schnee und Nebel gar nicht in den Wald hinaus.“

„So gieb die Jagd auf! Du hast ja doch keine Freude an ihr.“

Edmund runzelte die Stirn. „Warum nicht?“ fragte er in gereiztem Tone.

„Die Frage möchte ich an Dich richten. Warum hast Du keine Freude mehr an Allem, was Dir sonst lieb war? Soll ich denn nie erfahren, was Dich quält und drückt? Ich habe doch wohl das erste Recht dazu.“

„Das ist ja eine förmliche Inquisition,“ rief Edmund lachend. „Wie kannst Du eine augenblickliche Laune und Verstimmung so ernst nehmen! Aber Du schlägst jetzt bei jeder Gelegenheit diesen elegischen Ton an. Wenn ich darauf eingehen wollte, würden wir ein recht sentimentales Brautpaar abgeben, und Sentimentalität ist immer gleichbedeutend mit Lächerlichkeit.“

Hedwig wandte sich tiefverletzt ab. Es war nicht das erste Mal, daß Edmund sie mit diesem herben Spott zurückscheuchte, wenn sie es versuchte, in die räthselhafte Veränderung seines Wesens einzudringen. Es schien, als müsse er dies Räthsel auf Leben und Tod vor aller Welt und auch vor ihr vertheidigen.

Was war überhaupt aus dem frohen, glückstrahlenden Brautpaar geworden, das es als selbstverständlich hinnahm, wenn Glück und Leben es mit all ihren Gaben überschütteten, das mit so sorglosem Uebermuthe der sonnigen Zukunft entgegeneilte, und in dessen spielendes Getändel sich kaum jemals ein Hauch von Ernst mischte! Sie hatten Beide nur zu bald den Ernst des Lebens kennen gelernt, und wenn er dem jungen Mädchen genaht war wie ein kalter dunkler Schatten, vor dem alles Sonnenlicht verschwand, so war in dem Inneren Edmund's dafür eine Flamme aufgeschlagen, welche ruhelos und verzehrend fortbrannte und sich oft gegen jene richtete, die ihm die Nächsten und Liebsten waren.

Hedwig hatte sich zum Gehen gewandt, aber sie hatte kaum einige Schritte gethan, als sie sich von Edmund's Armen umfaßt und zurückgehalten fühlte.

„Habe ich Dir wehe gethan?“ fragte er. „Schilt mich, Hedwig! mach' mir Vorwürfe – aber gehe nicht so von mir! Das ertrage ich nicht.“

Die Abbitte war so stürmisch und innig, daß das verletzte Gefühl der Braut davor nicht Stand hielt. Sie lehnte leise den Kopf an seine Schulter, als sie entgegnete:

„Ich fürchte, Du thust Dir selbst wehe mit diesem Spotte. Du weißt nicht, wie herb und bitter er oft klingt.“

„Ich bin wohl recht unleidlich gewesen in der letzten Zeit?“ sagte Edmund mit einem Versuche, zu scherzen. „Nach der Hochzeit werde ich um so liebenswürdiger sein. Dann werfen wir den ganzen Gesellschaftstrubel hinter uns und bleiben allein in unserem Schlosse. Nur jetzt – jetzt kann ich dieses Alleinsein nicht aushalten. Aber ich sehne mich unendlich nach dem Tage unserer Vereinigung.“

„Thust Du das wirklich?“ fragte Hedwig, den Blick fest auf sein Gesicht heftend. „Bisweilen ist es mir vorgekommen, als fürchtetest Du diesen Tag.“

Die flammende Röthe, welche in dem Antlitze des jungen Grafen aufschlug, schien diesen Worten Recht zu geben, und doch widersprach ihnen die leidenschaftliche Zärtlichkeit, mit der er seine Braut an sich preßte.

„Fürchten? Nein, Hedwig, wir lieben uns ja, und – nicht wahr, Deine Liebe gilt mir allein? Nicht dem Majoratsherrn, dem Grafen Ettersberg? Du hattest ja unter so Vielen zu wählen, die Dir Aehnliches bieten konnten, und Du hast mich gewählt – nicht so?“

„Um des Himmels willen, wie kommst Du auf solche Gedanken?“ rief Hedwig, halb erschreckt und halb beleidigt. „Wie kannst Du glauben, daß ich an dergleichen auch nur gedacht habe?“

„Ich thue es ja auch nicht,“ sagte Edmund mit einem tiefen Athemzuge. „Und darum halte ich fest, was mir allein gehört, und behaupte es, Allem zum Trotze. An Deine Liebe kann ich wenigstens noch glauben, sie ist doch wenigstens keine Lüge. Wenn auch das mich täuschte, wenn ich auch an Dir verzweifeln müßte, dann – machte ich je eher, je lieber ein Ende.“

„Edmund, Du ängstigst mich namenlos mit diesem wilden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_499.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)