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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

den Bruch mit aller positiven Religion und die Wiedereinsetzung der nackten Sinnlichkeit in ihre Rechte als das eigentliche Werk des Protestantismus, den sie auf ihre Fahne schrieben. Heine sagte geradezu: „Das blühende Fleisch auf den Lenden der Titianischen Venus, das ist alles Protestantismus.“ Tausende riefen dieser Gesinnung Beifall zu.

Dahin war es gekommen durch die Prüderie der Regierungen, die Aengstlichkeit der Theologen, daß im Volke jede religiöse Kundgebung mit um so größerer Freude aufgenommen wurde, je weiter sie entfernt war von der von oben beschützten Gläubigkeit. Hase wendete sich 1838 als Prorector in einer herrlichen Rede vom „jungen Deutschland“ an die deutsche Jugend; er wies auf die Gefahren der Frivolität hin, er beschwor Lessing’s unsterblichen Geist, ermahnte, mit rückhaltlosem Freimuth dem Banner der Forschung, aber der echten Forschung, zu folgen, erkannte auch den Verfasser des „Lebens Jesu“ in Schwaben an, wie frühreif ihm seine Resultate däuchten, Heine aber – „der größte Lyriker einer, das ist sein Recht von Gottes Gnaden“ – und Gutzkow wies er weit von sich hinweg. Und eben hatte er Gelegenheit, auch nach einer andern Seite hin Gerechtigkeit zu üben. Der Bruch der Erzbischöfe Droste in Köln und Dunin in Posen mit der preußischen Regierung war vollbracht, die Frucht des unseligen Pactirens mit Rom, welches immer nur den Hochmuth der Klerisei geschwellt hat. Die Verhaftung der Erzbischöfe rief in allen katholischen Landen ungeheuere Aufregung hervor; Papst Gregor hielt seine berühmte Allocution; Görres fiel in seinem „Athanasius“ den preußischen Staat an. Wohl eiferte Röhr in Weimar in seiner dreizehnmal aufgelegten Reformationspredigt gegen den „priesterlichen Gaukler“ in Rom – die preußische Regierung fand doch so gut wie gar keine Vertheidiger; Heinrich Leo, ein alter Freund und Gegner Hase’s, erklärte in seinem „Sendschreiben“ offen, daß er die katholische Kirche bewundere ob ihrer Einmüthigkeit und sich „schäme, Protestant zu sein“. Hier trat Hase ein mit seiner Schrift „Die zwei Erzbischöfe“ (1839), wohl der schwerwiegendsten kirchenpolitischen Publikation vormärzlicher Zeit, voll sibyllinischer Weissagungen auf die nachmärzliche. Von entschieden protestantischem Standpunkt enthüllt er die ganze Gefahr der Hierarchie, wie sich diese in den letzten Jahrzehnten von Neuem befestigt hatte, aber er deckt auch alle Sünden der preußischen Kirchenpolitik auf und zeigt ihr wie im Spiegel ihre Ohnmacht, nicht ohne nebenbei auf die einstigen Aufgaben des Thronfolgers hinzuweisen, von dem man so viel erwartete.

Man weiß, wie diese Hoffnungen umschlugen. Das Ministerium Eichhorn tauchte empor, über Bunsen, Radowitz und Schelling kam man auf – Stahl. Nur noch mehr spitzten sich die Gegensätze zu. Die kirchliche Reaction wurde übermächtig, während in der Nation eine schwungvolle hochgespannte Zeit anhob, die unter den patriotischen Idealen auch die Befreiung des Glaubens von der Beeinflussung der Höfe und Regierungen auf ihr Schild schrieb. Vor Allem in der Provinz Sachsen gährte es seit den „Hallischen Jahrbüchern“ gewaltig. In Weimar war nur die politische Seite der zur Herrschaft gekommenen Romantik zu empfinden, welche aber bei dem Schielen des Cultusministers Schweitzer nach dem Hofe doch wenigstens hier und da auch auf das theologisch-kirchliche Gebiet einwirkte. Schweitzer gegenüber war Hase der entschiedene Patriot. Als die „Sieben“ in Göttingen entsetzt worden waren, stand er unter den Ersten, die für sie sammelten, und als Dahlmann nach Jena übersiedelte, ward er dessen treufester Freund und ermüdete nicht in dem vergeblichen Bemühen, ihn den Erhaltern der Universität für eine Professur zu empfehlen. Als sich dann der Gustav-Adolf-Verein begründete, war Hase, im Gegensatz zu Röhr, unter denen, die ihm im Weimarischen die Stätte zu bereiten suchten; auch hier scheiterten er und sein Freund Schwarz bis die Uebernahme der Protection durch Friedrich Wilhelm den Vierten den Angstminister Schweitzer umstimmte. Hase hat dann den Hauptversammlungen mehrfach beigewohnt, immer das Recht aller kirchlichen Richtungen im Verein betonend. Inzwischen begann die deutsch-katholische Bewegung; Ronge kam auch nach Weimar, wurde als der „Luther des neunzehnten Jahrhunderts“ auch hier gefeiert und von Röhr eingeladen, der in einer Schrift die gute Sache der Deutsch-Katholiken vertheidigte. Hase erkannte auf den ersten Blick die Unbedeutendheit der Führer, die „bei Kalbsbraten, Wein und Forellen Weltgeschichte machten“; er glaubte nicht an die Zukunft der Bewegung, doch erachtete er diese für ein bedeutsames Zeichen der Zeit, verlangte, daß man sie sich ausleben lasse, und besprach gemeinsam mit seinem Collegen Dr. Schwarz in der „Neuen Jenaer Literaturzeitung“, die er eine Zeitlang mitredigirte, sämmtliche über die Bewegung geschriebene Broschüren und Flugblätter. Auch die lichtfreundliche Bewegung, gleichfalls von Röhr willkommen geheißen, nahm, wenn auch in anderem Sinne, Hase’s Theilnahme in Anspruch. Er erkannte in ihr nur einen Act der Nothwehr, der zwar nicht weit führen werde, aber doch gebieterisch dazu auffordere, endlich das protestantische Kirchenthum neu zu gestalten. Seine Prorectoratsrede „Das gute alte Recht der Kirche“ führte dies aus, und weitere Schriften in gleichem Sinne folgten. Aufhebung des landesherrlichen Summepiskopats, eine bischöflich verfaßte evangelisch-deutsche Kirche mit Freigebung des Bekenntnißstandes, ein ganz allgemein gehaltenes Ordinationsformular für die Geistlichen, dazu Presbyterien und Synoden in aufsteigenden Kreisen, Befreiung der Kirche vom Staat, doch festes Bündniß mit dem Staate – das sind seine Forderungen. Die theologische Facultät in Jena, zumal Schwarz und der seit 1844 berufene unerschrockene Rückert, theilten dieselben. Sonst blieb Hase damit vereinsamt.

Auf einem Rosenballe in Jena überraschte die Universitätsangehörigen die Nachricht von der Pariser Februar-Revolution. Wenige Tage – und die Flamme durchzuckte ganz Deutschland. Ministerium auf Ministerium fiel; am 11. März stürzten Studenten und Bauern das Ministerium Schweitzer in Weimar. Allerwärts in Deutschland sanken mit den verhaßten Staatsmännern auch die verhaßtesten Männer der Kirchenleitung. In dem Völkerfrühling, der nun anhob, wurden auch in Hase die alten patriotischen Ideale, denen er stets angehangen, mit neuer Macht lebendig, und er hat unter dem alten Namen „Karl von Steinbach“ seine Hoffnungen für des Vaterlandes Zukunft ausgesprochen, auch die Kirche des neuen deutschen Reiches in einem Werke der Nation an’s Herz zu legen versucht. In der That war die Bewegung im mittleren Deutschland zum guten Theil religiösen Charakters, wie fast alle Wahlen Thüringens und der Provinz Sachsen nach Frankfurt und Berlin bewiesen, es waren fast durchweg die Matadore der antistaatskirchlichen Bewegung der vierziger Jahre, welche man dorthin sandte. Man hätte erwarten sollen, Hase in erster Reihe in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt zu finden. Aber die Volksstimmung der Thüringer Wahlkreise, zumal des Jenaischen, war damals zu antipreußisch und darum zu antikaiserlich – die Universität hatte zu viel von Preußen erlitten und die kirchliche Richtung des Berliner Hofes war zu sehr verhaßt als daß ein Mann, der ein erbliches Kaiserthum über Deutschland erstrebte und auf Preußen zählte, durchzudringen vermocht hätte. Er stand in diesem Jahre, wenn auch mit dem größeren Theile seiner Collegen, der thüringischen Demokratie gegenüber in entschiedener Minorität.

Hase hat einen Theil des Sommers in Frankfurt verlebt, begrüßte seine alten Freunde Eisenmann, Rotenhan, Wurm, Rödinger, Tafel in der Nationalversammlung und überstand in dieser Umgebung den 18. September. Er hat später nach der Kaiserwahl eine schwarz-roth-goldene Fahne auf seinem Hause aufgehißt, was doch Niemand in Jena nachahmte. Er hat schmerzbewegt alle seine Hoffnungen scheitern sehen, entschloß sich, gut großdeutsch wie er war, nur schwer zum Dreikönigsbündniß und sah gelegentlich des Erfurter Parlaments seinen alten Freund Stahl auf Wegen, welche himmelweit von den seinen verschieden waren. Immer trüber gestalteten sich die Dinge, auch die kirchlichen.

Nach Neander’s Tode wurde er von der Berliner Facultät als Professor der Kirchengeschichte vorgeschlagen, doch war an seine Berufung unter dem Minister Raumer nicht zu denken. Zur Erholung und um die neuen Bahnen der Zeit kennen zu lernen, besuchte er die Londoner Industrie-Ausstellung. So hatte sich die Lage verändert, daß im Hôtel der preußischen Gesandtschaft, in deren Kanzlei er eingetreten war, ihm Bunsen mit den Worten um den Hals fiel: „Wir müssen zusammenhalten gegen das frommthuende Gesindel, das uns Staat und Kirche verdirbt,“ und daß bald darauf Radowitz einen seiner Schüler in Jena, freisinnigster Richtung, zum Hauslehrer engagirte. Und das waren die Männer, welche an der Wiege der kirchlichen Romantik in Preußen Gevatter gestanden hatten!

Die nächste Zeit fand Hase – Röhr war inzwischen gestorben – mit der Jenaer Facultät auf der entschiedenen kirchlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_506.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)