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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Gesicht verrieth nichts von freudiger Ueberraschung. Der junge Graf erschien im Gegentheile sehr erregt, beinahe verstört. Als Oswald ihm entgegen eilte und ihm mit der alten Herzlichkeit die Hand reichen wollte, wich er zurück, und auch seine Bewillkommnung klang eigenthümlich fremd und gezwungen.

„Welche Ueberraschung, Oswald! Ich ahnte nicht, daß Du uns hier in Ettersberg einen Besuch zugedacht habest.“

„Bin ich Dir unwillkommen?“ fragte Oswald befremdet und erkältet von dem ganz ungewohnten Empfange, indem er die ausgestreckte Hand sinken ließ.

„Durchaus nicht!“ rief Edmund hastig. „Ganz im Gegentheil! Ich meinte nur, Du hättest mir zuvor irgend eine Nachricht senden können.“

„Die Nachricht durfte ich wohl von Dir erwarten,“ sagte Oswald vorwurfsvoll. „Du hast meinen ersten Brief nur mit einigen Zeilen, den zweiten gar nicht beantwortet. Ich konnte mir dieses Schweigen ebenso wenig erklären, wie jetzt Deinen Empfang. Bist Du krank gewesen oder ist etwas vorgefallen?“

Der junge Graf lachte; es war wieder jenes laute, höhnische Lachen, das jetzt so oft von seinen Lippen kam:

„Was fällt Dir ein! Du siehst es ja – ich bin ganz gesund. Ich hatte nur keine Zeit zum Schreiben.“

„Nicht?“ sagte Oswald verletzt. „Nun, da habe ich doch mehr Zeit für Dich übrig, trotz meiner dringenden Berufsarbeiten. Ich komme einzig und allein Deinetwillen, um Dich vor einem Verluste zu bewahren, und nicht als Besuch. Hast Du die Vollmachten Deines Administrators zurückgezogen?“

„Was für Vollmachten?“ fragte Edmund zerstreut und unruhig. Er vermied es consequent, dem Blicke seines Vetters zu begegnen.

„Die früheren, welche Baron Heideck noch als Vormund in Deinem Namen ertheilte, die den Administrator ermächtigten, Ettersberg ganz selbstständig zu verwalten. Hat er sie wirklich noch in Händen?“

„Ja, vermuthlich; denn ich habe sie nicht zurückgefordert.“

Oswald's Stirn faltete sich unwillig. „Wie konntest Du so unvorsichtig sein und einem Manne, den Du als unzuverlässig kennst, ein solches Vertrauen schenken! Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er es in der schmählichsten Weise mißbraucht. Oder weißt Du etwas davon, daß der dritte Theil Deiner Forsten niedergeschlagen und verkauft werden soll?“

„So? Soll das geschehen?“ fragte Edmund, wie abwesend. Die Nachricht schien keinen Eindruck auf ihn zu machen.

„Aber so besinne Dich doch!“ drängte Oswald. „Wenn Du nichts davon weißt, wenn es ohne Deine Zustimmung geschieht, so liegt der Betrug ja klar vor Augen. Die Kaufsumme, ein wahrer Spottpreis, soll baar ausgezahlt werden, und der Administrator hofft jedenfalls, sich damit unsichtbar zu machen, ehe die Sache entdeckt wird. Ich erfuhr durch einen Zufall davon – der Käufer legte dem Justizrath Braun den Vertrag zur Einsicht vor – und bin sofort hierhergeeilt, um Dich und Ettersberg vor einem ganz unberechenbaren Schaden zu bewahren.“

Edmund fuhr mit der Hand über die Stirn, als müsse er sich gewaltsam zwingen, seine Gedanken auf den Gegenstand des Gespräches zu richten.

„Das ist sehr freundlich von Dir. Deshalb bist Du gekommen? Nun, wir können das ja zu einer anderen Zeit besprechen.“

Oswald's Befremden wuchs bei dieser völligen Theilnahmlosigkeit, und mehr noch als diese machte ihn der eigenthümlich starre Ausdruck in den Zügen des jungen Grafen besorgt, der mit seinen Gedanken augenscheinlich ganz anderswo war.

„Edmund, hast Du denn gar nicht gehört, was ich Dir sagte? Die Angelegenheit ist von der äußersten Wichtigkeit und duldet nicht den geringsten Aufschub. Du mußt augenblicklich jene Vollmachten für erloschen erklären und Dich des Betrügers versichern, oder Du bist gezwungen, einen Vertrag anzuerkennen, der Deine Forsten geradezu verwüstet und das ganze Majorat in einer Weise schädigt, die vielleicht nie wieder gut zu machen ist.“

„Das Majorat?“ wiederholte Edmund, der von der ganzen Auseinandersetzung nur dieses eine Wort aufgefangen zu haben schien. „Ja freilich, das darf nicht geschädigt werden. Uebernimm Du die Sache, Oswald! Du hast sie ja doch einmal in die Hand genommen.“

„Ich? Wie kann ich Bestimmungen auf Deinen Gütern treffen, wenn Du selbst anwesend bist? Ich kam nur, um Dich zu warnen und Dir den Betrug aufzudecken. Das Handeln ist Deine Sache. Du bist ja der Herr von Ettersberg.“

In dem Antlitze des jungen Grafen zuckte es, wie eine innere, mühsam unterdrückte Qual, und sein Auge suchte wieder scheu den Boden vor dem erstaunt fragenden Blicke seines Vetters. Er preßte die Lippen zusammen und schwieg.

„Nun?“ fragte Oswald nach einer Pause. „Wirst Du den Administrator rufen lassen?“

„Wenn Du meinst.“

„Gewiß meine ich das. Es muß unverzüglich geschehen.“

Edmund trat an den Tisch und wollte die Klingel ergreifen, als Oswald, der ihm gefolgt war, plötzlich die Hand auf seine Schulter legte und in ernstem, eindringlichem Tone fragte:

„Edmund, was hast Du gegen mich?“

„Gegen Dich? Nicht das Geringste! Du mußt es schon entschuldigen, wenn ich jetzt etwas zerstreut bin. Ich habe alle möglichen Dinge im Kopfe; Unannehmlichkeiten mit der Verwaltung, mit den Beamten. Du siehst es ja an diesem Zwischenfall mit dem Administrator, was für Erfahrungen man macht.“

„Das ist es nicht,“ sagte Oswald mit voller Bestimmtheit. „Deine Verstimmung gilt mir allein. Mit welcher Herzlichkeit hast Du mich bei der Trennung entlassen, und wie empfängst Du mich jetzt dagegen! Was ist zwischen uns getreten?“

Er hatte bei der letzten Frage den jungen Grafen umfaßt und wollte ihm prüfend in's Auge sehen, aber Edmund machte sich mit Ungestüm los.

„So quäle mich doch nicht fortwährend mit solchen Vermuthungen und Voraussetzungen!“ brach er heftig aus. „Muß ich Dir denn von jedem Worte, von jedem Blicke Rechenschaft ablegen?“

Oswald war zurückgetreten und blickte seinen Vetter mehr erstaunt als beleidigt an. Dieser Ausbruch, zu dem so gar keine Veranlassung vorlag, war ihm ganz unerklärlich. In diesem Augenblicke vernahm man das Geräusch anfahrender Wagen und das laute Gebell von Hunden. Edmund athmete auf, als sei er von einer unerträglichen Pein erlöst.

„Ah, unsere Gäste! Verzeih, Oswald, daß ich Dich allein lasse! Ich erwarte einige Herren zu der Jagd, die morgen stattfindet. Du bist doch auch von der Partie?“

„Nein,“ sagte Oswald kalt. „Ich kam nicht des Vergnügens wegen und muß schon morgen Nachmittag abreisen.“

„So bald schon? Das thut mir leid, aber Du mußt ja wissen, über wie viel Zeit Du verfügen kannst. Ich werde Befehl geben, Deine Zimmer in Stand zu setzen.“

Er stand bereits an der Schwelle:

„Und noch Eines, Oswald! Stelle Du den Administrator zur Rede! Ich habe kein Geschick, keine Geduld. – – Ich bin mit Allem einverstanden, was Du anordnest. Auf Wiedersehen!“

Die letzten Worte verriethen wieder jene athemlose Hast, die in jähem Wechsel die frühere Theilnahmlosigkeit ablöste. Dann eilte er fort, als brenne ihm der Boden unter den Füßen. Oswald stand allein da und wußte nicht, ob er erzürnt oder besorgt sein sollte über einen derartigen Empfang.

Was war das? Es gab nur eine einzige Erklärung dafür. Edmund war in den Salon getreten, fast unmittelbar nachdem Hedwig ihn verlassen hatte. Vielleicht war er schon früher gekommen und hatte im Nebenzimmer das kurze und doch so inhaltreiche Gespräch theilweise angehört. Wenn auch kein Wort dabei gefallen war, das auf ein Einverständniß hindeutete, so war es doch genug, um zu zeigen, wie es zwischen Oswald und der Braut des junge Majoratsherrn stand, genug, um diesen in heller Eifersucht aufflammen zu lassen. Das erklärte auch sein Zurückweichen, als Oswald ihm die Hand bot, seine Gleichgültigkeit den drohenden Vermögensverlusten gegenüber, sein stürmisch aufgeregtes Wesen. Es konnte gar nicht anders sein.

„Das war es also,“ sagte Oswald halblaut. „Er muß irgend etwas gehört haben. Nun denn, so hat er auch gehört, wie unschuldig wir Beide an diesem Zusammentreffen waren und wie wir uns trennten. Ich weiß mich frei von Schuld, und wenn die Sache zwischen uns zur Sprache kommen muß, so werde ich ihm Rede stehen.“

Drunten im Schloßhofe hörte man jetzt lebhaftes Sprechen und Begrüßen, vor allem Edmund's Stimme, der mit lauter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_514.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)