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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Heiterkeit seine Gäste empfing. Oswald warf einen Blick durch das Fenster. Er kannte die Herren sämmtlich, die soeben ausstiegen, aber er war nicht in der Stimmung, sich begrüßen zu lassen und auf alle möglichen Fragen zu antworten. Er verließ deshalb rasch den Salon und schlug den Weg nach seinen ehemaligen Zimmern ein, noch ehe die Fremden in das Schloß getreten waren.




Das Wetter erwies sich der beabsichtigten Jagd günstiger, als man voraussetzte. Wenn es sich auch nicht vollständig aufhellte, so hörte doch das Schneegestöber und der dichte Nebel auf, und der nächste Morgen verhieß einen zwar etwas trüben, aber im Ganzen doch vortrefflichen Jagdtag.

Es war noch sehr früh am Tage, als Oswald seine Zimmer verließ und sich nach dem Hauptgebäude des Schlosses begab, wo die Wohnung des Grafen lag. Noch war Niemand von den Gästen sichtbar, aber unten im Hofe traf die Dienerschaft bereits Vorbereitungen zum Aufbruche der Herrschaften, der unmittelbar nach dem Frühstücke erfolgen sollte.

Oswald fand die Zimmer seines Vetters verschlossen, seltsamer Weise; denn es war sonst nie dessen Gewohnheit gewesen, sich einzuschließen. Erst auf wiederholtes Klopfen öffnete Edmund die Thür.

„Du bist es, Oswald? So früh schon?“

Seine Stimme verrieth deutlich genug, daß die Ueberraschung eine peinliche war. Oswald trat nichtsdestoweniger ein.

„Du bist schon angekleidet, wie ich sehe,“ sagte er. „Ich störe Dich also nicht mit meinem frühzeitigen Besuche.“

Der junge Graf war allerdings schon in vollem Jagdanzug, aber er sah bleich und überwacht aus, und seine Augen brannten fieberhaft. Die Spuren einer schlaflosen Nacht waren seinem Antlitze nur zu deutlich eingeprägt. Er hatte augenscheinlich seit gestern Abend weder Schlaf noch Ruhe gefunden.

„Du hast wohl Deine Absicht geändert und kommst, mir zu sagen, daß Du doch an der Jagd Theil nimmst?“ fragte er leichthin, entzog sich aber zugleich den beobachtenden Augen seines Vetters, indem er sich abwandte und sich an seinem Schreibtisch zu schaffen machte.

„Nein,“ entgegnete Oswald, „Du weißt ja, daß ich am Nachmittag abreise. Vielleicht bist Du dann noch nicht einmal zurück. Ich wollte Dir daher jetzt Lebewohl sagen.“

„Muß denn das unter vier Augen geschehen?“

„Allerdings, denn ich habe noch einiges von Wichtigkeit mit Dir zu besprechen. Du pflegtest mir sonst nicht so geflissentlich auszuweichen, Edmund. Ich habe gestern Abend vergebens versucht, Dich eine Minute allein zu sprechen. Du warst so vollständig von Deinen Gästen in Anspruch genommen und überhaupt so erregt, daß ich es aufgab, mit geschäftlichen Angelegenheiten bei Dir Gehör zu finden.“

„Geschäftliche Angelegenheiten? Ah so, Du meinst die Sache mit dem Administrator. Hast Du mir den Gefallen gethan, mit ihm zu sprechen?“

„Ich mußte wohl, da Du trotz meiner wiederholten Mahnungen keine Anstalt dazu machtest. Die Sache verhielt sich genau so, wie ich fürchtete, und da der Administrator sah, daß ich hinreichend orientirt war, so gab er schließlich das Leugnen auf. Ich ließ ihm die Wahl, entweder Ettersberg noch heute zu verlassen oder einer gerichtlichen Untersuchung gewärtig zu sein. Er hat natürlich das Erstere vorgezogen. Hier sind die Vollmachten zurück, die er mir ausgeliefert hat, Du thust aber doch besser, sie noch in aller Form für erloschen zu erklären. Auch der Käufer ist bereits benachrichtigt. Ich hatte mir für alle Fälle seine Adresse notirt, und habe ihm telegraphisch mitgetheilt, daß der Kaufvertrag nicht vollzogen werden kann, da die Vollmacht Deines Vertreters zurückgezogen ist und die Verhandlungen ohne Deine Zustimmung geführt wurden. Der Verlust ist also für diesmal abgewendet.“

Er berichtete das alles ruhig und geschäftsmäßig, ohne das mindeste Gewicht auf die jedenfalls sehr energische Thätigkeit zu legen, die er dabei entwickelt hatte. Edmund mochte trotzdem fühlen, wie viel er dem umsichtigen Einschreiten seines Vetters dankte, aber das schien ihn eher zu drücken, denn seine Antwort klang sehr einsilbig:

„Ich bin Dir sehr dankbar. Ich wußte es ja, Du verstehst in solchen Dingen viel energischer aufzutreten als ich.“

„Das Auftreten wäre hier wohl Deine Sache gewesen,“ sagte Oswald vorwurfsvoll. „Ich habe den Administrator glauben lassen, daß vorläufig nur ich von seinem versuchten Betruge wisse, daß ich ihn auf eigene Verantwortung zur Rede stelle, und Dir erst heute nach seinem Verschwinden die nöthigen Mittheilungen mache – sonst hätte er sich wohl nicht erklären können, daß Du Dich so entschieden einer Angelegenheit fern hältst, die doch nur Dich allein angeht.“

„Ich sagte es Dir ja bereits gestern: ich war nicht in der Stimmung –“

„Das sah ich und habe dieser Stimmung Rechnung getragen; denn ich weiß, was sie veranlaßt.“

Edmund zuckte zusammen und wendete sich jäh und heftig um.

„Du weißt –? Was soll das heißen? Was weißt Du?“

„Den Grund Deines seltsamen Empfanges, Deiner beinahe feindseligen Haltung gegen mich, und deshalb allein bin ich hergekommen. Es muß klar zwischen uns werden Edmund. Wozu dieses Schweigen und Verbergen? Wo man mit einander steht, wie wir, da ist ein offenes Wort das Beste.“

Der junge Graf stützte sich auf den Tisch, an dem er stand. Er erwiderte nichts, sondern starrte todtenbleich, keines Wortes mächtig, den Sprechenden an, der unbeirrt fortfuhr:

„Du brauchst mit Deiner Anklage nicht zurückzuhalten; ich kann ihr mit freier Stirn entgegentreten. Ich liebe Hedwig und scheue mich nicht, Dir das zu bekennen; denn ich habe ehrlich gekämpft gegen diese Leidenschaft, und als ich sah, daß sie nicht zu besiegen war, da bin ich gegangen. Nie ist ein Wort der Erklärung zwischen uns gefallen, und wenn ich mich gestern zu einer Andeutung hinreißen ließ, so ist es das erste und letzte Mal gewesen. Das unerwartete Wiedersehen raubte mir für einen Moment die Besinnung, aber es war eben nur ein Moment – schon der nächste gab mich mir selbst zurück. Wenn Du das Schuld nennen willst – ich denke es verantworten zu können.“

Die offene, männliche Erklärung hatte eine ganz unerwartete Wirkung. Edmund hörte zu wie ein Träumender. Die schreckensvolle Ueberraschung, die ihn vorhin lähmte, wich allmählich, aber fassen konnte er die Worte augenscheinlich noch nicht.

„Du liebst Hedwig? Du? O, das ist nicht möglich.“

„War Dir das denn noch ein Geheimniß?“ fragte Oswald betreten. „War es nicht Eifersucht, die seit der Minute meiner Ankunft zwischen uns stand?“

Edmund achtete nicht auf die Frage; seine brennenden Augen hefteten sich mit dem Ausdrucke der furchtbarsten Spannung auf das Gesicht Oswald's, während er in athemloser Erregung hervorstieß:

„Und Hedwig? Erwidert sie Deine Gefühle? Wirst Du von ihr geliebt?“

„Ich habe Dir ja bereits gesagt, daß kein einziges Wort der Erklärung zwischen uns gefallen ist.“

„Wozu bedarf es der Worte? Du weißt es, mußt es wissen, ob Du geliebt bist. Man fühlt das ja in jedem Blicke, in jedem Athemzuge. Habe ich es doch gefühlt, daß es nicht die ganze volle Liebe war, die sie mir gab, daß sich ewig etwas zwischen uns drängte. Bist Du dieses Etwas gewesen? Sprich! Ich will Gewißheit, um jeden Preis.“

Oswald sah zu Boden. „Hedwig wird die Heiligkeit des gegebenen Wortes ehren, wie ich es thue,“ entgegnete er leise.

Die Antwort sagte genug, und es erfolgte auch keine Erwiderung darauf. Während der nächsten Minuten herrschte ein banges Schweigen; man vernahm nur die kurzen heftigen Athemzüge des jungen Grafen.

„Also auch das noch!“ sagte er endlich.

Oswald blickte ihn besorgt an. Er hatte sich auf eine stürmische Scene, auf leidenschaftliche Auseinandersetzungen gefaßt gemacht, diese dumpfe Resignation, die so gar nicht in dem Charakter Edmund's lag, befremdete ihn auf's Aeußerste.

„Wir werden es überwinden,“ nahm er wieder das Wort. „Wir habe ja Beide nie an die Möglichkeit einer Vereinigung gedacht, und selbst wenn Hedwig frei gewesen wäre, durfte ich keine Hoffnung nähren. Ich habe stets die Glücksritter verachtet, die dem Vermögen der Frau ihre ganze Existenz verdanken, während sie selbst nichts zu bieten haben. Mich würde ein solches Verhältniß erdrücken, ich würde es nicht einmal an der Hand der Liebe ertragen. Und meine Laufbahn soll ja erst beginnen. Ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_515.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)