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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


„Herr Professor, ich bedaure außerordentlich, daß Sie die weite Reise vergeblich machten und Ihre kostbare Zeit uns zwecklos opferten. Es ist schon Alles vorüber.“

„Was ist vorüber?“ mag ich so entsetzt herausgestoßen haben, daß er mich befremdet ansah.

„Was? – Malte hat ausgerungen. Dann überwältigte ihn der Schmerz. Er lehnte sich an die Granitwand im Treppenhaus und legte die Hand beschattend über die Augen. Ich glaube, der große, feste Mann weinte. Dann raffte er sich entschlossen auf. „Der Brief meiner Frau kann Sie nicht mehr erreicht haben; sonst wären Sie nicht schon hier, und das Telegramm, das ich dem ersten nachschickte, ebenfalls nicht; sonst hätten Sie natürlich die Reise nicht gemacht. Wollen Sie – –? Aber vielleicht möchten Sie sich erst waschen und umkleiden. Ingeborg sagt mir, daß Sie abwechselnd von Regenschauern und Spülwasser durchnäßt worden sind. Baum, sorgen Sie für des Herrn Professors Bequemlichkeit – die Baronin wünschte ja wohl das Gobelinzimmer? Lassen Sie die Reisetasche sogleich hinaufbringen! Auf Wiedersehen beim Thee, Herr Professor!“

Er machte mir, auf der untersten Stufe der breiten Marmortreppe stehend, eine tiefe ceremoniöse Verbeugung. Auf mich drangen die überstürzenden Eindrücke so überwältigend ein, daß ich zu gar keinem klaren Gedanken kommen konnte und mechanisch dem Haushofmeister in schwarzer Kleidung, weißer Halsbinde und Escarpins, der mit zurückgewandtem Kopfe und Candelaber die Treppe hinaufglitt, in die erste Etage folgte.

Wer war Malte, wer Ingeborg? Sollte ich den würdevollen Alten fragen, dessen faltiges Gesicht die Schweigsamkeit selbst war, oder den Kammerdiener, der, auf dem Teppich knieend, meine Reisetasche aufschloß und reine Wäsche und den einzigen schwarzen Abendanzug herausnahm, den vorsorglicher Weise meine gute Wirthschafterin hineingelegt? Der richtige Tact verbot Beides. Ich unterwarf mich also schweigend den ungewohnten Hülfeleistungen des gewandten Kammerdieners und ließ mich von dem ernsthaften Schwarzgekleideten nach vollendeter Toilette wieder hinabführen, ich weiß nicht durch wie viele Säle, Hallen, Cabinete, bis er eine dunkle Sammetportière zurückhielt, um mir den Eintritt in ein hohes düsteres Gemach, den sogenannten Ahnensaal, freizugeben.

Von dem eichengetäfelten gefächerten Plafond hingen schwärzlich-gebeizte Holzzapfen in massiver Arbeit herab. Aus dem Halbdunkel funkelten auf dem mächtigen Buffet riesige silberne Humpen und Trinkgeschirre, und in dem beinahe eine Wandseite einnehmenden Kamine lohten ganze Holzklötze. Von den Wänden herab lächelten, still und stolz, hochmüthig und ernst, in voller Rüstung oder in holder Frauenlieblichkeit die Bilder der Ahnherren und Ahnfrauen – sie lächelten herab auf ein lebendes Genrebild inmitten des nur halb erleuchteten Saales: denn dort erblickte ich einen mit Silbergeschirr und Krystall bedeckten Tisch, auf dem die Theemaschine dampfte, im tief zurückliegenden Sessel den Schloßherrn, die Füße auf dem schlummernden Jagdhund ruhend, die Stirn in die aufgestützte Hand gelegt und mit den Fingern der rechten Hand nervös den langen grauen Schnurrbart wirbelnd, in einem zweiten Sessel Ina's graziöse schlanke Mädchengestalt, dasselbe feingeschnitzte Elfenbeingesichtchen mit dem kindlichscheuen Ausdruck, dieselben hellbraunen wie Atlas glänzenden Scheitel, über die meine Hand so gern liebkosend hingestreichelt, dieselben süßen Gazellenaugen wie früher. Nein, dieselben Augen waren es nicht mehr – es war etwas Scheues, Zurückhaltendes in Ina's Blick.

Hoch und groß stand Fräulein Ingeborg, das „Frölen“, mit der ich die Fahrt über die Bucht gemacht, über die Baronin gebeugt und näßte ihre Stirn mit Eau de Cologne. Eine gewisse Vornehmheit, die Vornehmheit der Kraft, sprach sich in den ruhigen Bewegungen des Mädchens aus, in der leichten Verbeugung, mit der sie mich begrüßte, als der Hausherr mich ihr vorstellte: „Professor Ebert – meine Pflegetochter Ingeborg!“

Die Baronin streckte mir matt die Hand entgegen, die ich herzlich ergriff.

„Sie – Du –“ sagte sie, und eine fliegende Röthe stieg in ihr feines Gesicht.

„Meine Frau fühlt sich leidend,“ entschuldigte der Baron sie, „die traurigen Vorgänge haben ihre Nerven heftig alterirt – – Sieh da, unsern Hofrath!“ begrüßte er einen ältlichen rundlichen, stutzerhaft gekleideten Herrn, den der Haushofmeister eben anmeldete und der die ganze Länge des Saales bis an den Theetisch in devoten Bücklingen heranchauffirt kam. „Die Herren kennen sich nicht? Hofrath Lenz, früherer Leibarzt des Fürsten X. (er nannte einen der Potentaten der kleinen mitteldeutschen Staaten), der berühmte Professor Ebert aus der Residenz!“

Des kleinen Mannes zwinkernde Aeuglein starrten mich unter der Brille nicht eben freundlich an; dennoch verbeugte er sich vor dem jüngeren Collegen fast bis zur Erde, sprach süßlich mit den Damen, ließ sich sehr nöthigen, um dann einer der schlimmsten Vertilger unter den guten Sachen des Theetisches zu sein, während der Schloßherr und die Damen nur zum Scheine mit Gabel und Messer spielten.

Nach aufgehobener Tafel zog mich der kleine Hofrath unter die schweren Vorhänge einer der Fensternischen und übergoß mich mit einem Wortschwalle ärztlicher Weisheit, aus dem ich nur zusammenlas, daß der verstorbene Junker ein zu Krämpfen neigendes Kind mit der schwachen Constitution seiner Mutter, der ersten Baronin, gewesen, sich aber später herausgemacht und zu den besten Hoffnungen berechtigt; der Schicksalsschlag hatte die Familie also um so unerwarteter und fürchterlicher getroffen.

„Ist dem Tode des Jünglings eine heftige Erregung vorausgegangen?“ fragte ich.

Der höflich geschmeidige Hofmann hüstelte discret, lächelte und zuckte geheimnißvoll die Achseln. Ich stellte seine Discretion natürlich auf keine weitere Probe.

Da man ihn gleich darauf zu einem Kranken in's Dorf rief, verabschiedete er sich mit dem Versprechen, in der Frühe wieder da zu sein. Das Männchen drehte sich mit unglaublicher Schnelligkeit und rastloser Lebendigkeit wie ein Kreisel um sich selbst, die gnädig überlassene Hand der Baronin küssend, dem Haushofmeister ein vertraulich Wort zuflüsternd, rückwärtsgehend, unter einer Unzahl von Verbeugungen, bis er etwas unfreiwillig rasch über die Schwelle hinausstolperte. Der schmerzlich gepreßte Mund des Barons verzog sich unwillkürlich zu dem Schatten eines Lächelns. Die Gnädige war in ohnmachtartiger Ermattung wieder an die Lehne ihres Sessels zurückgesunken. Fräulein Ingeborg ging ab und zu und ertheilte der Dienerschaft leise Befehle, trotz des gedämpften Tones so bestimmt und klar, daß mein Auge voll Interesse jeder Bewegung des seltenen Mädchens folgte. Wie jungfräulich herb und stolz sie erschien, kühlanwehend, wie der Odem des Meeres, der hier durch jeden Spalt zu dringen schien! Aber der Seewind thut nicht weh durch seine energische Kraft; er erfrischt nur und fegt alle unreinen Dünste fort.

Ich bat um Erlaubniß, mich zurückziehen zu dürfen, um mich von der Reise auszuruhen. Die Baronin sah mich von unten herauf mit einem ich möchte sagen: schmeichelnden Blicke an, wenn dieser Ausdruck für die Situation nicht gar zu frivol klänge. Wie seltsam, daß dieser lange auf mir haftende warme Blick, der, hätte er mich vor Jahren getroffen, mein Blut in Bewegung gesetzt haben würde, mich völlig kühl ließ! Sie nickte mir halb gönnerhaft, halb vertraulich zu, und dabei zuckte es eine Secunde beinahe schalkisch um den feinen Mund dieser Sphinx.

„Mit wem von uns spielte sie eigentlich Komödie?“ so fragte ich mich, aber als dem nervösen Spiel der Gesichtsmuskeln ein hysterisches Schluchzen folgte, bat ich ihr, als ich mich verabschiedete, innerlich meine Gedankensünden, meinen freventlichen Argwohn ab.

Morgen dachte ich bei Zeiten wieder aufzubrechen. Jeder hier müßig verbrachte Augenblick war ein Raub an meinen Berufspflichten. Dem Baron konnte ich, der Fremde, eine tröstende oder auch nur willkommene Gesellschaft unmöglich sein. Ina? – sie war mir plötzlich seltsam fern gerückt – fremd, ganz fremd geworden.

„Am besten, Du wartest das Familienfrühstück gar nicht erst ab,“ sagte ich mir und dann laut zu dem mich begleitenden Diener: „Wann geht der erste Zug von B. ab? Acht Uhr schon? Ich danke.“ Ich nahm meine Visitenkarte heraus und kritzelte neben dem p. p. C. . . ein paar artige Abschiedsworte.

„Wollen Sie so gut sein, dies den Herrschaften zu geben und zu veranlassen, daß ich spätestens um Fünf geweckt werde und ein Wagen bereit gehalten wird, der mich zur Haltestelle bringt?“ bat ich den im Vestibül mich respectvoll erwartenden Haushofmeister.

„Wollen der Herr Professor nicht –“ begann er zurückhaltend;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 547. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_547.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)