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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

froh eilte der Turner am Morgen um 8 Uhr hinaus, um rechtzeitig den Sammelplatz seines Kreises zu erreichen. Da sah man Schwaben, Sachsen, Baiern, freudig sich begrüßend, in kleineren und größeren Trupps durch die Straßen ziehen; auf den großen Plätzen der Stadt wimmelte es von Turnern, von denen einige sich erst jetzt ihr Fest- und ihr Ortsabzeichen auf der Brust befestigten. Aus langem Hin- und Herwogen gestaltete sich in der Zeit bis 10 Uhr einer der glänzendsten Festzüge, die Deutschland je gesehen hat. Seine Aufstellung in Sachsenhausen, am Affenthor, nahm verhältnißmäßig nur geringe Zeit in Anspruch. Muntere Knaben, die mit Stolz die Vereinstafeln trugen, dienten Vielen zur Richtschnur, und es war fast auffällig, mit welcher Schnelligkeit und Gewandtheit sich eine Zugmasse in die andere einschob und einordnete.

Kurz nach zehn Uhr setzte sich die unabsehbare Menge, geführt von dem Ausschuß für den Festzug, in Bewegung, und durchschritt die Ehrenpforte bei dem Affenthor. Zweiundzwanzig Musiker ritten an der Spitze, ihnen folgten ungefähr vierzig Herrenreiter, dann ein hochbeladener Fulder Erntewagen, von vier Pferden gezogen; auf ihm saß oben ein Michel in scharlachrothem Kittel, und neben ihm marschirten verlegenen Antlitzes sieben Fulderinnen; den Frankfurter und Bornheimer Schützen schritten drei „Zeiger“ in blutrothem enganliegendem Costüm voraus.

Der nun folgende Kern des Festzuges war im Allgemeinen so geordnet, daß die fremden Turner und Ehrengäste voranschritten und hinter der neuen Bundesfahne der Ausschuß der deutschen Turnerschaft und der Central-Ausschuß des Festes folgten. Daran schlossen sich in der Reihenfolge, die durch das Loos bestimmt war, die Turner der siebenzehn Kreise, getrennt durch Unter-Ausschüsse und nichtturnerische Vereine Frankfurts; dabei waren im Ganzen vierzehn Musikcorps thätig. Am zahlreichsten waren von den Ausländern vertreten die Amerikaner, durch siebenzig Turner mit zwei Sternenbannern und zwei Tafeln: Gut Heil California; Gut Heil Baltimore; dann die Engländer, Holländer, Italiener und Schweizer. Von akademischen Turnvereinen waren vertreten Göttingen, Gratz, Breslau, Tübingen; der Berliner „Akademische Turnverein“ hatte allein fünfundzwanzig Mann entsendet. Den Beschluß des turnerischen

Die Commandostätte für die Freiübungen.

Das Boxen der englischen Turner.

Theils im Zuge machten mit mehr als hundert Fahnen die Mitglieder des turnerischen „Mittelrheinkreises“, die Gastgeber, worunter die Frankfurter und Sachsenhäuser Turner die Hauptmasse ausmachten. Den Turnern folgten die Frankfurter Gesangvereine, zuletzt Frankfurter Feuerwehr.

Man hat die Anzahl der Theilnehmer auf 16,000 berechnet und ungefähr 450 Fahnen gezählt, unter denen wenige die Jahreszahlen 1848 und 1849 trugen, die meisten aus der Zeit nach 1860 datirten. Unter den nicht turnerischen Vereinen fuhren die Rudergesellschaft „Germania“ und der Frankfurter „Ruderverein“ ihre auf einem staffelförmigen Postament ausgestellten Preise, die sie früher gewonnen, und letzterer ein zweimastiges Segelboot auf großen prachtvoll decorirten Rollwagen einher.

Die Ausschmückung der Straßen war eine planmäßige und wirkte mehr durch die Fülle gleichartiger Dinge, wie Fahnen und Guirlanden, als durch die Mannigfaltigkeit der Einzelnheiten. Es gab Strecken in einigen der engeren Straßen, wo man auf einige Zeit buchstäblich den Himmel vor Fahnenschmuck nicht sehen konnte. Wer sein Haus nicht durch eine mächtige Fahne bemerkbar gemacht hatte, suchte den Eindruck durch gleichartige Ausschmückung sämmtlicher Fenster mit Fähnlein und Kränzen hervorzurufen. Gartenzäune, Mauerzinnen, Thorwege mußten Raum zu fliegenden Tribünen abgeben. Mehrfach aber ist hervorgehoben worden, daß der beste Schmuck der Fenster in den freudestrahlenden Mienen der schönen Frankfurterinnen im Feierkleide bestanden habe. Oft schien uns die Wirkung solcher malerisch geordneten Gruppen in Fensternischen und auf Balcons beabsichtigt. Hier und da verschenkten die Schönen Blumen, mit denen sie sich selbst geschmückt hatten. Wer nicht Kränze gab und Blumen, der reichte Bier und Wein, ja sogar – der selige Turnsenior Marggraff würde sich freuen – Milch. Als der Vorrath an frischen Blumen und Kränzen zu Ende gegangen war, löste man die Kränze von den Guirlanden an den Fenstern und überreichte sie den Fahnenjunkern, die sie erfreut auf die Spitze ihrer Fahne steckten. Es ist zweifelhaft, wer mehr turnerische Ausdauer gezeigt hat beim Festzuge, ein Fahnenträger, der vierthalb Stunden in der Sonnenhitze die Fahne getragen hat und oft durch einen Trunk gestärkt wurde, oder Damen, die in der gleichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_573.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)