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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

der Hochzeit erziehen; und hier zuerst sprechen – da hätt' ich jawohl all mein Lebtag verspielt gehabt ihr gegenüber, wenn sie wirklich noch meine Frau werden sollte.

Meine Frau! Ich seufzte tief auf und warf doch wieder einen Blick zu ihr hinüber, und sie blinzelte eben auch unter den langen Wimpern hervor, aber wie erschreckt schloß sie die Augen, als unsere Blicke sich trafen. „Gut, ich werde thun, als wäre ich allein hier,“ nahm ich mir vor.

Wir befanden uns in einem mäßig großen, gewölbten Raume; durch die tiefen Fensternischen fiel das Licht nur spärlich hinein. Ein einfaches Bett an einer Seitenwand, ein Schreibtisch am Fenster, am Ofen ein Lehnstuhl, ein Pfeifenbrett und ein Tischchen mit Schachfiguren, eine Uhr in altmodisch verschnörkeltem Kasten, der plumpe Eichentisch und einige Stühle – das war die Einrichtung des Gemaches, streng und einfach.

Mich fröstelte fast in dem kaltfeuchten Zimmer; ich stieß ein Fenster auf und ließ die warme Herbstluft ein; dann nahm ich einen Pokal von dem Gesims an der Wand und füllte ihn mit dem Weine, den mir die Tante sorglich in die Wandertasche gepackt hatte. Es war ein schönes, geschnittenes Glas mit Jagdstücken; auch eine Inschrift befand sich darauf: „Seinem Freunde Heinrich Mardefeld. Prinz Christian v. S. B.“

Wo waren die Hände, die einst dieses Glas erfaßt, die Lippen, die sich daran genetzt? – Gestorben, verdorben wie die Freundschaft, die es dem Freunde geschenkt! Was kann nicht Alles verderben und sterben in der Welt!

Ich zögerte, zu trinken; es war mir, als sollte ich den Mund eines Todten berühren; dann stürzte ich den Inhalt mit einem Male hinunter. Und mit dem feurigen Weine kam eine fast weihevolle Stimmung über mich; Frau Poesie war eingetreten, rückte mir den Schemel zurecht vor dem alten Schreibtische und breitete die vergilbten Blätter vor mir aus. Schon schickte ich mich an zu lesen – da, eine leise Bewegung hinter mir; ich wandte den Kopf und sah in Frieda's Augen. Es lag eine stumme Bitte in ihnen, aber der kleine Mund war trotzig zusammengepreßt; dennoch verstand ich sie, und rasch fragte ich:

„Kennst Du den Inhalt dieser Blätter?“

Sie schüttelte stumm den blonden Kopf.

„Soll ich laut lesen?“

Sie zögerte mit der Antwort; ich sah, wie sie kämpfte. Dann nickte sie, und beinahe schien es, als gewähre sie mir nur höchst ungern die Gnade, mir zuzuhören; sie schmiegte sich wieder in den Lehnstuhl und sah, meinen Blicken ausweichend, in die dunkle Laubmasse des Waldes hinaus; die grüne Dämmerung wob sich reizend um ihre schlanke, weiße Gestalt; harziger Tannenduft quoll durch das Fenster; die Schatten der Blätter huschten im Spiele des Herbstwindes über das Papier; ringsum feierliches, stolzes Schweigen; nur das Ticken eines Holzwurmes in regelmäßigen Pausen und vom Walde herein der Schrei eines Raubvogels. Und nun senkten sich meine Augen hernieder zu dem Papier, und ich las wie folgt:

„Am Sonntage Exaudi, Anno D. 1726.

Vor mir lieget Dein Brief, herzliebster Johannes, und aus jedem Federstrichlein leuchtet mir die Liebe und Freundschaft entgegen, so Du dem Freunde bewahret, ob auch lange Jahre dahingeschwunden, seit wir uns nicht in's Antlitz geschaut. Auch von Deinem Weib und Kindlein schreibst Du, und daß Dein ältest Töchterlein Dich zum Großvater machet, und Dein Sohn candidatus theologiae geworden, und begehrest nun zu wissen, wie es jetzt mit mir stehe?

Alter Freund, ich könnte es mit den zwei Worten sagen: 'ich hab' nimmer verstanden, glücklich zu sein.'

Aber siehe, da draußen hat mein alter Jobst ein jung blondhaarig Dirnlein zum Besuch, sein Enkelkind, und sie sitzet im Abendschein unter der Linden und singet –

„Es sind die Lieder, die ich verlor
Im wechselnden Laufe der Jahre,
Nun kommen mir Wort und Töne zurück
Mit ihnen kommt zaubrisch der Jugend Glück
Und küsset die silbernen Haare.“

Du hast es gewißlich niemalen geglaubet, Johannes, daß ich auch dichten könne, maßen wohl manch ein Waidmannsfluch aus meinem Munde ging, nur kein poetisch Verslein; ich glaube auch nicht, daß ich selbiges auszusprechen vermöchte; meine Zunge ist ein ungefüg Ding immer gewesen. Aber da innen im Herzen, da hat es wundersam mitunter geklungen; da haben auch Blumen geblühet und Glocken geläutet, nur nicht herausblühen und tönen konnten sie; ja, wenn das anders gewesen, wenn ich auch hätt' schmeicheln und lachen können, dann –

Du fragst mich nach dem Heimgange Prinz Christian's, unseres Christels, wie wir ihn nenneten ehedem. Ja, Johannes, wir sind in seinem Sterbestündlein, im Tode, wieder zu Freunden geworden; im Leben waren wir getrennt, Johannes, lange düstere Jahre, und das, was uns trennete, war ein Grab, und unserer Jugend Glück lag darinnen.

Die wilde Taube unter der Linden girrt noch immer zu, der Teufel hole sie! Wollt' eben aufstehen und ihr sagen, sie möge sich auf den Blocksberg scheeren –

'Da klang es leise von Lieb und Treu,
Wie hold, wie süß die Minne sei –
Ein Lied, ein Lied vom Lieben.
Im duft'gen Mondschein ein Lindenbaum,
Zwo blaue Augen – Es war ein Traum
Und einsam bin ich geblieben!'

Johannes, das ist's ja eben: einsam, einsam! Kein Weib mehr und keinen Freund mehr, und sie sagen noch: ich fühle es nicht, ich habe ein Herz, so härter sei, als der Fels in unseren Bergen. Es ist wahr, Johannes, ich konnt' nicht jammern dazumalen, es war ein Leid, zu groß zum Klagen. –

Wie es sich begeben?

Ei nun, Johannes, Du weißt ja noch, wie wir Drei, Prinz Christel, Du und ich zum letzten Male bei einander waren. Du standest bereits im Priesterröcklein an der Schwelle einer fetten Pfarre, und Dein Wesen war schon in Etwas salbungsvoll worden; ich trug noch nicht lang das grüne Waidmannskleid als wohlbestallter Oberförster in unseres herzoglichen Herrn Revieren; fürwahr, unser fürstlicher Freund hatte gesorgt für uns als ein echter Freund; denn wir waren jung an Jahren für solch Amt; er selbst aber wollt' am Morgen des nächsten Tages seine große Cavaliertour antreten zu den fremden Höfen.

Du weißt gewißlich noch, wie er das Glas, daraus wir den Abschiedstrunk gethan, im hohen Bogen in das Wasser schleuderte und dabei sagete: Niemandes Lippen sollen es wieder berühren, und wie wir uns dann küsseten und noch einmal Freundschaft schwuren, auf daß uns nichts trennen solle in der Welt.

Du mußt es noch wissen, Johannes; ich wenigstens meine noch, sein jugendlich begeistert Angesicht zu sehen; nie später ist es mir wieder so zum Bewußtsein gekommen, welch ein edelschöner Mann er war. Wie sahest doch Du dagegen aus, Johannes! Wie ein wohlgenährt Eselein neben einem edlen Roß. Und ich? Erspare mir das Gleichniß! Schönheit war niemalen mein Erbe. Doch genug hiervon! An diesem Abende haben wir uns wohl zum letzten Male in alter treuer Freundschaft die Hand gedrückt – vergangen, verloren! Durch wen? Durch ein Weib –!“

(Fortsetzung folgt.)




Die Flitterwochen-Insel.

Eine Plauderei aus dem Canal La Manche.

Sie ist ein geographischer Irrthum, die herrliche, immergrüne Insel, die der Solent vom üppigen Gestade Hampshires trennt; sie gehört nicht hierher, in die ewig aufgeregten Gewässer des Aermelcanals, sondern in die blauen, ölglatten Fluthen des mittelländischen Meeres; sie scheint eine der Balearen oder Hyerischen Inseln zu sein, die sich von ihrem Ankerplatz losgerissen hat und nach wunderlicher Irrfahrt an der Südküste Englands aufgelaufen ist, so mild ist ihr Klima, so reich ihre Vegetation, so anmuthig ihr landschaftlicher Charakter.

Die Insel Wight ist der Wintergarten Albions, ein nordisches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_596.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2018)