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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Minuten lang. Da – endlich – lassen sich Schritte vernehmen, langsame, gemessene Schritte. Der Schlüssel dreht sich. Rothbart erscheint in der Thüröffnung, sehr erstaunt, mich so aufgeregt zu finden. Er nimmt meine Vorwürfe sanftmüthig entgegen; er hat mich nicht klopfen hören, ist nur bis an die nächste Straßenecke gewesen, um die Leute aus der Kirche kommen zu sehen.

„Sie glauben nicht, wie langweilig es hier Sonntags ist,“ setzt er mit einem Seufzer hinzu.

Ob ich es glaube!

„Ich möchte frühstücken. Die Bahnhofsrestauration –“

„Wird Sonntags nicht –“

„Das dacht’ ich mir. Aber Sie werden nicht behaupten wollen, daß ich in der Nähe nicht irgendwo eine Seele finde, die mir trotz des Sonntags für mein Geld etwas zu essen giebt?“

„O nein – das will ich nicht behaupten.“

„Aber, wo finde ich sie?“

„Ja, wo?“ spricht er sinnend. „Ein Hôtel ist nicht in der Nähe; die Kaffeehäuser sind heute fast alle geschlossen – das heißt, ich wüßte wohl eins, aber – Sie werden nicht in ein Kaffeehaus gehen wollen?“

„Lieber als hier verhungern! Wenn es anständig ist.“

„O, sehr anständig, wenn auch nicht gerade ersten Ranges.“

„Und wo liegt es?“

„Wenn Sie erlauben, Ma’am, so führe ich Sie hin. Ich bin im Hause bekannt.“

„Aber was macht unterdessen die Station?“

„Die läuft nicht weg.“

So wandeln wir denn gemeinschaftlich durch ein paar Straßen, der Mann des Gesetzes und ich. In jeder andern Stadt bekämen wir natürlich ein Gefolge von Gassenbuben; in London spielen die Polizeidiener häufig die Ritter bedrängter Damen, und es hält mich kein Mensch für verhaftet. Vor einem räucherigen, zweistöckigen Gebäude bleiben wir stehen. Mein Begleiter stößt die Hausthür auf und ruft mit Stentorstimme:

„Hann!“ („Ann“ hätte er gar zu gern gerufen, aber einem ungebildeten Londoner Kinde kommt leider immer zur Unzeit ein H in die Kehle.)

Es poltert in den unteren Regionen. Drauf erscheint im Hintergrunde Hann mit einem Kopf à la Struwwelpeter.

„Nun Bobby?“ fragt sie mit freundschaftlichem Grinsen.

„Die Dame will ein Frühstück, Hann.“

Freund Rothbart empfiehlt sich. Hann kommt näher, sich die Hände an der Schürze trocknend, und ladet mich höflich ein, ihr über einen fadenscheinigen Treppenläufer nach oben zu folgen. Hier öffnet sie mir mit den Worten: „Das Kaffeezimmer!“ ein kleines, ziemlich unsauberes Gemach, das weniger nach Kaffee, als nach einem Gemisch von Tabak und Bier duftet. Es enthält sechs Pferdehaarstühle, einen Lehnstuhl und einem Tisch mit schwarzer Wachstuchdecke, auf welcher sich in weißen Ringen und Ringlein unzählige Tassen und Gläser verewigt haben.

Hann wünscht zu wissen, was ich begehre. Leider ist ihre ganze Erscheinung so unappetitlich, daß ich aus ihren ungewaschenen Händen nur Thee und gekochte Eier begehre. Sie verspricht, sich zu beeilen, und poltert treppab. Ich rücke den Lehnstuhl an das Fenster und bekomme, indem ich dies thue, eine hohe Idee von dem Patriotismus der Engländerinnen; denn über des Lehnstuhls Rücken breitet sich der einzige Schmuckgegenstand des Zimmers, ein Antimacassar, auf dem eine kunstfertige Hand in feinen Häkelnadelstichen den Herzog von Wellington portraitirt hat. Großer Sieger von Waterloo! Man hat Dich – wer weiß wie oft! – in Stein gehauen, in Erz gegossen, in Oel gemalt, in Holz und in Kupfer gestochen, aber gewiß nur dieses eine einzige Mal in Baumwolle gehäkelt! – Voll inniger Rührung lege ich mein Haupt auf dies Denkmal von zarter Frauenhand.

Ueber der Straße unten liegt ein Nebelschleier, aber er ist blaß und dünn und gönnt mir das Vergnügen, alle fünf Minuten einen gelangweilten Menschen vorüberspazieren zu sehen. Grabesstille herrscht im Hause, nur dann und wann unterbrochen von Lauten aus der Unterwelt, in welcher Hann sich meinem Frühstück widmet.

(Schluß folgt.)




Ein Hofer-Fest in Südtirol.


Wenn der Frühling über die Berge steigt, wenn der Schnee von den Almen schwindet und bis auf die höchsten Gipfel zurückweicht, dann kommen auch die mit jedem Tage zahlreicher werdenden Alpenfahrer aus dem Norden zu uns in’s schöne Land Tirol. Doch bis auf die Berge und in die Thäler des eigentlichen Südtirol versteigen sich nur die wenigsten dieser Wanderer, obwohl es südlich vom Pusterthal, an der mittleren und unteren Etsch und südlich vom Vintschgau Alpenhöhen mit weit umfassenden Rundsichten giebt und Thäler mit Waldesfrische und allem romantischen Zauber, welche denen in Nordtirol sicherlich nicht nachstehen.

In einem dieser Thäler dürfte gerade zu der Zeit, wo diese anspruchslosen Zeilen in die Hände der Leser kommen, sich ein würdiges volksthümliches Fest vollziehen, ein Fest, an welchem nicht blos die Feiernden, sondern noch manche deutsche Herzen ihre Freude haben werden. Gilt es doch dem Andenken eines Mannes, dessen Name überall mit Ehre genannt wird, so weit die deutsche Zunge klingt!

Das Passeyer-Thal! Bei dem bloßen Klange des Namens steht die Gestalt Andreas Hofer's vor uns, des Tiroler Bauern und Helden, dessen Gedächtniß erst vor Kurzem durch Defregger’s, seines Landsmannes, schöpferischen Pinsel erneuert worden ist (vergl. unsere Abbildung in Nr. 40, 1879). Und der ehrliche und tapfere Hofer verdient es, daß seiner stets und zu allen Zeiten in Ehren gedacht wird. Mag man über seine Thaten, über die für sein Land nutzlose Erhebung denken, wie man will, das wenigstens muß man ihm nachrühmen: er hat es ehrlich gemeint; er kämpfte und duldete nur für das Wohl und die Freiheit seines Vaterlandes, so gut er eben Beides verstand. Diese Ansicht gilt allgemein auch bei denen, welche das „Trauerspiel in Tirol“ blos nach seiner Erfolglosigkeit für das Land selber beurtheilen. Ich nenne unter den Geschichtsschreibern unserer Zeit nur F. C. Schlosser, der in seiner „Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts“ etc. von dem Tiroler Aufstand sagt: „Wir sind weit entfernt, die Art religiöser Begeisterung für Vaterland und Cultus zu theilen oder auch nur zu billigen, welche der Kapuziner Haspinger und seine Genossen in Tyrol auf dieselbe Weise, wie die Jesuiten den Schweizer Sonderbund fanatisirten, im Tyroler Volke erweckten, aber wir ehren eine Begeisterung, welche Bauern zu Helden macht und Prediger des Fanatismus so begeistert, daß sie den Tod nicht scheuen.“

Wohl manchem Wanderer, der zum ersten Male die Berge und Thäler Tirols durchzieht, mag es auffallen, daß er nirgends auf ein Zeichen der Erinnerung an den beliebtesten vaterländischen Helden stößt. In der Franziskaner-Kirche zu Innsbruck hat freilich Kaiser Franz dem auf Mantuas Wällen von fränkischen Kugeln durchbohrten treuesten Sohne seines Volkes und Vorkämpfer seines Herrscherhauses ein marmornes Standbild errichten lassen, aber vergebens sucht der Fremde an der Geburtsstätte Hofer’s, im Sandhofe in Passeyer, oder auf den Wahlstätten, wo er mit seinen Getreuen in heißem Kampfe gestanden, auf dem Iselberg, „von dem er manchesmal den Tod herabgeschickt in’s Thal“, nach einem Denkzeichen, und wäre es auch nur ein Stein mit seinem Namen; nichts Derartiges findet sich; nur im Sandhofe zeigt man noch die Kleidung Hofer’s und einen von ihm in Mantua kurz vor seinem Tode geschriebenen Brief, der Kunde giebt von der wunderbaren Seelenruhe und männlichen Ergebung in sein Loos mit den Worten: „Ade, meine schnöde Welt! So leicht schwebt mir das Sterben vor, daß mir nit die Augen naß werden.“

Um diesem Fehlen aller Zeichen der öffentlichen Theilnahme für den tapferen Tiroler zunächst wenigstens an einem Punkte abzuhelfen, hat die Section des „Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins“ zu Meran, der unmittelbar am Eingange in’s Passeyer liegenden, als klimatischer Curort wohlbekannten Stadt, in welcher sich das Andenken an den Sandwirth noch lebendig erhalten hat, im Verein mit dem Officiercorps des dort in Garnison stehenden Landesschützen-Bataillons und einigen anderen patriotisch gesinnten Männern beschlossen, an der Hütte, in welcher Andreas Hofer gefangen genommen wurde und die bis heute unverändert erhalten ist, eine marmorne Gedenktafel anzubringen, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_604.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)