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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Das Ufer der Thränen.

Eine Erzählung aus Brasilien.
Von Franz Engel.

Nach langer, beschwerdevoller Wanderung ist der ersehnte Lagerplatz erreicht. Freundlich dehnt sich ein luftiger Uferrain zwischen Strom und Wald, im Hintergrunde von dem herrlichsten, mannigfaltigsten Laubwurfe umrahmt und im Vordergrunde von dem gefüllten Wasserbecken umspült, in dessen durchsichtigen Spiegel die heiße Sonne Brasiliens ihre letzten roth-goldenen Abendstrahlen taucht. Angebrannte Holzscheiter und umhergestreutes Reisig lassen die Lagerspuren vorüberziehender Jäger und Fischer erkennen; rasch ist Reisig und Holz zusammengetragen, Wasser geschöpft, der Ochse seiner Last enthoben und auf grüner Weide angepflockt – kurz, das Lager gerüstet; ein Schuß aus dem Walde verheißt einen frischen, schmackhaften Braten für die Küche, und unter des Kochs geschäftigen Händen wirbelt alsbald die Flamme in den dämmernden Abend auf. Würzige Düfte steigen vielversprechend und begehrlich eingesogen über das bewegliche Lager, und bald schließt sich die Runde ruhend, schmausend und plaudernd um die trauliche, gesellige Herdflamme; die Nacht sinkt still herab; der Leuchtkäfer zieht seine feurigen Fäden; raunend liegt die dunkle Ferne, und aus des Himmels ewigen Tiefen leuchten die Sterne der Tropen in wunderbarem Glanze nieder über Strom und Wald.

„Compadre, das war ein saurer Gang heute,“ läßt sich eine Stimme halb seufzend, halb behaglich gähnend im Lagerkreise vernehmen; „ah, ich fühle meine Knochen! Solchen Trott macht meiner Mutter Sohn nicht alle Tage!“

„Ein saurer Gang?“ wiederholte José Maria spöttisch fragend, indem er Fleisch und Knochen mit kräftigem Gebisse zermalmte; „ich sollte meinen, auf gebahnten Wegen läuft sich auch ein lahmer Esel nicht todt; ja, als wir uns zuerst hier durchwühlten, ohne Weg und Steg – Sie hätten dabei sein sollen, als wir den ersten Durchhau machten! Es war noch vor dem traurigen Ereignisse, bei welchem wir dieses Ufer der Thränen entdeckten.“

„Trauriges Ereigniß? Erzählt doch, José Maria! Eure Kinnbacken sehnen sich überdies nach Ruhe.“

„Ja,“ sagte José, „dieses Thal, wo es sich so bequem wie in einem Herrensaale lagert, hat seinen Namen von diesem Ereignisse, und Sie sollen auch hören, was es heißt, ohne Weg und Steg die Wasserschlucht von Santa Barbara und ihr Waldgebirge zu durchlaufen.“

José Maria schiebt ein großes Stück Zucker in den Mund, gießt ein ansehnliches Gefälle von Wasser nach und beginnt, nachdem unter knirschender Arbeit der Zähne das Werk der Auflösung beendet ist und Jeder in der Runde nach seiner Art sich behaglich um das neu aufgeschürte Feuer ausgestreckt oder niedergekauert hat, die Erzählung eines seiner Erlebnisse.

„Sehen Sie,“ wendet er sich mit seinem Vortrage zunächst an den Chef der Expedition, den einzigen weißen Mann und Fremdling unter den einheimischen dunkelhäutigen Gesichtern, „wir Leute von Santa Barbara zogen schon lange auf Jagd und Fischfang aus, weit bis in’s Herz von Torcoróma hinab, bevor noch ein Landsmann von Ihnen oder sonst eine delicate Person seinen Fuß auf diesen Boden gesetzt hatte. Es war ein Jagdrevier, das uns keine Ruhe ließ; waren die Felder bestellt, so überließen wir sie den Weibern und Kindern und zogen davon; wochenlang blieben wir wohl da unten, dann aber schleppten wir Beute an’s Haus für lange Zeit.

Eines, Herr, verdroß uns lange: wir konnten keinen Uebergang für die Lastochsen über die Wasserschlucht finden; jeder Mann trug seine zwei Arrobas (eine Arroba = 25 Pfund) auf dem Rücken, aber so ein Ochse hätte vier bis sechs Arrobas getragen; wir waren immer vor dem Felsenloche abgebogen, ohne zu ahnen, daß weiter unten ein bequemer Paß sich aufthun würde, und hatten den Alto de las Palmas immer in langen, unbequemen Windungen überschritten.

Unter uns war der alte Ignacio; wir nannten ihn den ‚grimmen Wolf‘, da er immer grimmig neben uns herlief, immer verwegen voran war, niemals lachte, kaum ein Wort sprach und immer that, als ob er ganz allein auf der Welt sei. Wir Anderen trieben doch auch keine Kinderspiele, aber er rümpfte über all unser Thun spöttisch die Nase. Oft genug verschwand er und kam wieder mit einem Puma- oder Jaguarfell, oder ihm war auch selbst das Fell geschunden. Wir sammelten Vorräthe ein und bereiteten sie zu; er verübte nichts, als derartige Vagabondenstreiche – das verdroß uns.

Weit unten in Torcoróma schlugen wir unser Standlager an einer Stelle auf, wo viele Mandel- und Táguapalmen und dichte Haufen von Wijádo (Pisanggewächse) wuchsen, deren Blätter uns zum Decken unserer Ranchos, zum Aufschütten unseres Nachtlagers, zum Einpacken unserer Vorräthe, kurzum zu allen unseren Verrichtungen unentbehrlich waren; dort ließen wir uns nieder, weideten das Wildpret aus, wuschen und salzten das Fleisch ein, trockneten es an der Sonne und spannten daneben die Felle und Häute aus; auch hatten wir eine Bananen-, Zuckerrohr- und Maispflanzung angelegt, die nothdürftig in Stand gehalten wurde und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_625.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)