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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

uns mit Zubrod und Zucker versah. An Fleisch fehlte es nicht; Salz, Kaffee, Cacao, Pulver und Blei und was sonst zu unserem Unterhalte und Jagdzuge nöthig war, schleppten wir auf unserem Rücken mit. Wir waren Tag aus, Tag ein thätig – nur der ‚grimme Wolf‘ starrte müßig in’s Feuer; wir murrten darüber – er ging.

Wir glaubten, er würde schon wiederkommen; denn seine Launen und Einfälle waren uns ja bekannt. Aber das Nachtmahl war längst verzehrt, das Feuer zusammengesunken – der ‚grimme Wolf‘ blieb aus. Wir legten uns schlafen, standen wieder auf, sahen die Silberdämpfe des Morgens wallen, die Mittagssonne in ihrer Gluth schwimmen, das Kreuz wieder auf- und untergehen – Ignacio blieb aus. Nun ließ es uns keine Ruhe mehr; wir schürten die Feuer die ganze Nacht hindurch, stießen in’s Horn, schossen – der ‚grimme Wolf‘ blieb aus.

Herr, so vergingen drei Tage und drei Nächte; Ignacio schien verloren; wir glaubten, diesmal habe der Jaguar ihm das Fell über die Ohren gezogen. Da saß ich eines Nachts am Feuer; das Fieber hatte mich gebissen, und Frost schüttelte alle meine Glieder. Ich wärmte mich und kochte mir einen Trank, während die Cameraden schliefen. Vor meinen Augen stiegen allerlei Gesichte auf; nach dem Froste kam die Hitze über mich, und ich sah unklar und dachte falsch.

Da knackte es im Busch; ich schrak zusammen; die Zweige bogen sich aus einander – ich hörte schleichen. Schon griff ich nach meiner Lanze und glaubte ein Thier zu sehen, das auf mich zukam. Plötzlich aber stand im grellen Feuerscheine vor mir der ‚grimme Wolf‘. Wild und zerzaust hingen ihm die Haare über’s Gesicht; seine Augen lagen tief; sein hageres Gesicht glich einem Todtenkopfe. Schmutz und Blut klebte ihm an, und blutige Felle hingen über seiner Schulter; kaum noch einen Hemdfetzen am Leibe, an allen Gliedern zitternd, in die Flamme stierend – so stand er vor mir. Ich wollte rufen; denn ich wußte nicht, ob mein Geist klar sei oder nicht, aber die Gurgel war mir wie zugeschnürt; ich schlug das Kreuz und betete zur heiligen Jungfrau.

Endlich stieß er mich an und redete mit heiserer Stimme: ‚Hasenfuß, was träumst Du? Gieb mir zu essen! Mich hungert. Ich kann Euch Euern Bettel bezahlen.‘ Dabei starrte er in den Topf; die Flamme leckte ihm förmlich in die hohlen Augen hinein, und ich glaubte seine hageren Glieder klappern zu hören. ‚Hörst Du nicht? Ich kann bezahlen. Aber schnell; der Hunger zerfrißt mir die Eingeweide.‘

‚Ave Maria!‘ stammelte ich. ‚Ignacio, bist Du’s in Fleisch und Blut?‘

‚Hasenfuß!‘ rief er heiser, ‚mich hungert; hungern die Geister auch?‘

Nun erwachten Alle; sie sprangen hinzu, und schnell war Speise und Trank herbeigeschafft. Er schlang gierig, wie ein Wolf; keine Frage beantwortete er.

‚Laßt mich in Ruh’, mich hungert!‘ krächzte er den Fragenden entgegen.

Nachdem er sich satt gegessen, stand er auf, sprach kein Wort, schüttete sein Lager auf, legte sich hin und schlief bis in den hellen Tag hinein. Keiner störte ihn aus seinem todesähnlichen Schlafe auf.

Ich lag frierend in der Sonne auf dem brennenden Sande; im Walde krachten die Schüsse, und über dem Feuer brodelte der Maistopf. Nun trat der ‚grimme Wolf‘ an den Fluß, beugte sich unweit von mir nieder und spülte und wusch etwas in einem alten Lappen.

‚Ignacio, was machst Du da?‘ fragte ich.

‚Ich wasche Gold,‘ antwortete er gleichgültig, als ob er sich die Hände wüsche.

‚Gold?!‘ fragte ich.

‚Ja, Gold!‘ erwiderte er trocken und spülte weiter; dann trat er zu mir und hielt mir die Hände unter die Augen; ich sah das Gold in Staub und Körnern blinken.

Alle Fragen und Vorwürfe fertigte er spöttisch ab.

‚Das könnte Euch gefallen. Euch das Gold suchen und mich von Euern armseligen Töpfen wegjagen! Behaltet Euer Futter und sucht Euch das Gold allein!‘

Umsonst die Versicherung, daß unser Groll so böse nicht gemeint sei – umsonst die Vorstellung, daß wir gemeinschaftlich viel mehr Gewinn aus der Goldgrube ziehen würden – umsonst der Vorwurf, daß zwischen uns der Vertrag bestehe, alle Beute zu theilen. Wir brachten nichts aus ihm heraus, und unser eigenes Suchen war vergeblich.

Die Zeit des Aufbruches und des Rückmarsches kam heran. Das Lager wurde aufgegeben, die Beute getheilt und verpackt und der Reiseproviant hergerichtet. Der ‚grimme Wolf‘ ließ Alles ruhig geschehen, als gehe ihn das nichts an; wir achteten auch seiner weiter nicht, da wir seine Art ja kannten. Doch als wir unseren Rückweg antraten, schob er uns den Lappen mit Gold zu und sagte:

‚Ich will Euch Euer Salz, Pulver, Blei und was ich sonst gebrauche, abkaufen; da habt Ihr reichliche Bezahlung; sagt Miguela, sie soll nicht auf mich warten; ich hätte noch lange hier im Walde zu thun.‘

Als wir sein Gold zurückschoben, weil wir meinten, er rede in den Tag hinein, erwiderte er kurz und trotzig:

‚Nun, ich werde auch ohne Euch fertig werden; lebt wohl!‘

Damit steckte er sein Gold zu sich und ging.

Wir hielten ihn zurück und drangen nachdrücklich in ihn; auf alle unsere Vorstellungen, daß er umkehren müsse, da Miguela vor Schreck und Sorgen sterben werde, grunzte er vor sich hin und fragte kurz:

‚Wollt Ihr mir verkaufen, was ich gebrauche, oder nicht?‘

Was half es? Wir nahmen sein Gold, mehr als ein Zeugniß für uns, als uns bezahlt zu machen, und gaben ihm, was er begehrte. Wir gingen, und er blieb; er stand am Ufer und sah den Strom hinab, den wir hinaufgingen.

Der alte Ignacio hatte schon früh Weib und Kind verloren; seines Bruders Tochter, welche er mit deren jüngerem Bruder zu sich genommen, führte seinen Haushalt. Miguela war ein gutes, redliches Mädchen, das dem Alten treu diente und alle Pflege anthat, und ob er auch kaum ein Wort sprach, seiner Wege ging wie ein grimmer Wolf und wenig zart umging mit den Seinen, so waren Unfriede und Mißmuth doch unbekannt unter seinem Dache. Die beiden Kinder liebten den Alten ebenso sehr, wie sie vor ihm zitterten, und für ihn gab’s nur ein Wesen auf der ganzen Welt, auf das er hörte und sah und das er als Seinesgleichen achtete, ja, mit rauher Zärtlichkeit hütete wie seinen Augapfel und höher hielt, als sein Leben – das war Miguela.

Zu unserer Verwunderung hörte Miguela uns, die schnell Zurückgekehrten, ruhig an.

‚Ist Alles so wahr, wie Ihr sagt?‘ fragte sie, und als wir die Wahrheit unserer Aussage bekräftigten und unsere Mißbilligung über des Alten Beginnen aussprachen, wies sie allen Tadel kurz mit den Worten zurück:

‚Er wird wissen, was er zu thun hat, und es geht Keinen weiter etwas an.‘

Uns aber jammerte die Arme doch; denn so gleichgültig sie auch that, wir merkten doch, daß sie innerlich litt. Als Woche auf Woche schwand und der Alte immer noch nicht, wie wir glaubten, durch die Noth gezwungen, zurückkehrte, konnten wir’s nicht länger mit ansehen, wie Miguela immer mehr in sich versank; auch die Ungewißheit über unseren alten Gefährten ließ uns keine Ruhe mehr. Zwei von uns machten sich also auf den Weg, um den alten ‚Wolf‘ aufzusuchen.

Wir fanden seine Fährte und endlich ihn selbst. Er hatte sich einen festen Rancho aus Rohr und Palmen aufgeschlagen und war eben dabei, eine kleine Lichtung aufzuräumen und Bananen- und Rohrsetzlinge aus unserer Pflanzung einzusetzen. Der Alte aber sah aus, als wäre er der leibhaftige Waldmensch.

‚Oho!‘ empfing er uns, ‚Ihr kommt früh. Das Gold macht Euch wohl läufig? Kehrt um! Ich habe kein Gold.‘

‚Ignacio, wir wollen Dein Gold nicht. Wir beschwören Dich bei Allem, was Dir heilig ist, um Miguela’s willen, kehre mit uns zurück!‘

Er hörte uns höhnisch an, als ob wir leere Worte sagten.

‚Schon gut. Miguela braucht mich nicht, sie ist alt und gesund genug, sich mit ihrem Bruder selbst zu helfen; ich habe ihnen das größte Feld zu eigen gegeben, das in Santa Barbara zu sehen ist; das ernährt sie Beide, wenn sie wollen. Nun laßt mich und sie in Ruhe, schwatzt ihr nichts vor! Ich werde leben und wohnen, wie mir’s beliebt, und es beliebt mir, hier zu bleiben – adios!‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_626.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)