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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


bringen, bis auf eine, allerdings hochwichtige und unerläßliche, nämlich die, das falsche Geld massenhaft und ohne Verdacht zu erregen in den Verkehr zu bringen.

Im Allgemeinen ist das Verfahren dieses, daß die eigentlichen Unternehmer des verbrecherischen Gewerbes, um nicht sich selbst und damit die Fabrikation zu gefährden, den Vertrieb des falschen Geldes an Agenten oder sozusagen Geschäftsreisende übertragen, welche ihrerseits nur durch Mittelspersonen, nicht aber unmittelbar mit den Unternehmern in Verbindung treten. Der Erwerber, welcher durch Agenten als zuverlässig ermittelt worden, pflegt die eigentlichen Unternehmer niemals kennen zu lernen; mit Empfang und Bezahlung der falschen Noten nach einem vereinbarten oder ein- für allemal festgesetzten Course (etwa zu fünfzig oder fünfundsiebzig Procent) ist seine Verbindung mit der Fabrikation bis auf Weiteres, das heißt bis zu neuem Bedarf, völlig unterbrochen. Er hat bei etwaiger Entdeckung durchaus kein Interesse, die Bezugsquelle des falschen Geldes den Behörden anzuzeigen, wird daran vielmehr durch Hülfsversprechungen auf der einen und Rache-Androhungen auf der anderen Seite gehindert.

So viel war mir durch Unterredungen mit Polizeibeamten und Untersuchungsrichtern im Allgemeinen bekannt geworden. Näheres sollte ich erst auf Sicilien, in einer der Haupthandelsstädte an der südlichen Küste der Insel, erfahren.

Ich hatte meine deutschen Markscheine in Rom bei einem zuverlässigen Bankhause in Hundertlire-Scheine umsetzen lassen, die ich nach Bedarf bei dem Inhaber meines Hôtels in kleinere Scheine zu zehn und fünf Lire umzuwechseln pflegte. Eines Tages wurde ich veranlaßt, dieses Geschäft des Wechselns dem Kellner aufzutragen; ich gab mehrere von ihm erhaltene kleine Scheine sofort aus. Als ich am folgenden Morgen ausgehen wollte, bat mich der Portier des Hôtels um eine kurze Unterredung. Er war ein ehrlich aussehender Mann, der, dreißig Jahre im Dienst, vom früheren Hôtelbesitzer auf den gegenwärtigen vererbt worden; der Verstorbene hatte ihn dem Sohne auf dem Todtenbette als eine Perle an das Herz gelegt. Er theilte mir mit, es seien zwei Händler anwesend, die behaupteten, am gestrigen Tage von mir falsche Fünflire-Scheine empfangen zu haben, und fragte bei mir an, ob ich diese Scheine (er zeigte drei dergleichen vor) jenen Händlern in Zahlung gegeben habe? Ich hatte in der That dort Einkäufe gemacht und mit sicilianischen Fünflire-Scheinen bezahlt; ob mit den vorgelegten, wußte ich nicht, doch bemerkte ich, daß ich sie gestern durch den Kellner von seinem Herrn empfangen habe. Er sah mich mit einem traurigen Blick an, schüttelte den Kopf, erklärte, der Wirth sei gerade ausgegangen, er werde dem Händler für die falschen Scheine sofort andere echte geben. Nachdem dieses geschehen, befragte er mich, ob ich gestern noch andere Scheine von seinem Herrn empfangen habe, ließ sich, nachdem ich die Frage bejaht, die noch in meinem Besitze befindlichen, gestern erhaltenen Fünflire-Scheine vorlegen, erklärte sie bis auf einen für falsch und wechselte mir dieselben für seinen abwesenden Herrn sofort in gute, nicht sicilianische Scheine um. Dabei verdüsterte sich seine Stirn immer mehr; er seufzte wiederholt, sah mich mehrere Male nachdenklich an und sagte endlich mit dem Tone eines Mannes, der einen sicheren Entschluß gefaßt hat: „Auf diesen meinen Armen habe ich den Herrn getragen, als er noch ein Kind war. Unter meinen Augen ist er aufgewachsen. Wenn das sein Vater wüßte, sein Vater, ein so braver, rechtlicher Mann! Bitte, lieber Herr, sprechen Sie über die Sache nichts zum Padrone; ich werde mit ihm reden, und zwar ein ernstes Wort. Das muß anders werden.“

Man kann sich denken, welche Schlüsse ich aus den Worten des alten, treuen Dieners ziehen mußte; ich wollte Näheres erfahren, doch er bat mit traurigem Tone, mit bekümmertem Gesichte, ich möge nicht weiter in ihn dringen, und gerührt von dem Kummer des alten ehrlichen Mannes versprach ich ihm Schweigen.

Auf dem Spaziergange ging mir die Sache im Kopfe herum. Gerade dieser Hôtelbesitzer hatte einen besonders günstigen Eindruck auf mich gemacht; er war ein durchaus gebildeter, daneben ein reicher Mann – und Er sollte der Agent einer Falschmünzerbande sein? Freilich, seine Stellung war zu solchem verbrecherischen Gewerbe die denkbar günstigste. Fast täglich reisten Fremde mit dem Dampfboot von hier nach Neapel. Wie leicht und in welcher Masse konnte er falsche Noten in Umlauf bringen, und wie schwierig, wie weitläufig war es dem Fremden, ihn mit Ersatzforderungen zu belästigen, selbst wenn der Betrug schon in Neapel entdeckt wurde! Wie viele dieser Wechselgeschäfte gingen außerdem durch die Hände der Kellner! Und dann – würde der ehrliche, alte Portier so zu mir gesprochen haben, hätte er nicht längst Verdacht geschöpft?

Welche Zustände! Ich hatte mich in dem angenehmen Familienkreise meines Wirthes so wohl gefühlt; wie manchen Abend hatte ich, in Gesellschaft mit einigen anderen Fremden, dort angenehm verlebt! Jetzt war das vorbei; fortwährend würden mir in diesem Kreise die unheimlichen Gestalten der Verbrecher vorgeschwebt haben; ich würde an die heimlichen Zusammenkünfte im Dunkel der Nacht haben denken müssen; ich hätte nicht unterlassen können, in die Zukunft zu blicken, die mir den geachteten Mann in der blutrothen Jacke und mit den Ketten des Galeerensträflings zeigte. Ich wollte fort; womöglich morgen schon die Stadt verlassen, um nicht Zeuge eines vielleicht schrecklichen Ausgangs der Angelegenheit zu werden.

In dieser Stimmung, die sich auf meinem Gesichte wohl ausprägen mochte, traf ich mit einem Bekannten zusammen, dessen plötzliches Erscheinen mir gerade jetzt einen heftigen Schrecken erregte, was man begreiflich finden wird, wenn ich erwähne, daß mein Freund Polizeibeamter war, ein Deutscher von Geburt, der, nach der Abtretung der Lombardei in italienische Dienste getreten, den Kampf gegen das Verbrecherthum mit wahrer Leidenschaft und vermöge seines scharfen Verstandes, seiner feinen Beobachtungsgabe mit bedeutenden Ergebnissen führte. War diese zufällige Begegnung vielleicht ein Fingerzeig des Schicksals? Wenn jener unglückliche Mann, an dem ich ein so warmes Interesse nahm, aus den schrecklichen Ketten des Verbrechens überhaupt noch zu retten war, so konnte es nur durch diesen Beamten geschehen. An seinem guten Willen durfte ich nicht zweifeln, da er den Hôtelbesitzer kannte und, wie mir bekannt war, schätzte. Bevor ich aber zu einer Mittheilung schreiten durfte, mußte ich erkunden, wie weit ich dem Beamten gegenüber gehen durfte, um den Hotelbesitzer nicht bloßzustellen. Ich erhielt sein Versprechen, daß er meine Mittheilungen durchaus als Privatmann aufnehmen und denselben ohne meine Einwilligung eine amtliche Folge nicht geben werde, und so erzählte ich denn, was mir begegnet, und theilte ihm die Schlüsse mit, die ich aus den Worten des alten Giuseppe, des Portiers, gezogen hatte.

Wir hatten uns allmählich seiner Wohnung genähert und ich war auf seine Einladung bei ihm eingetreten.

„Es ist schade,“ sagte er, „daß Sie nicht noch im Besitze wenigstens eines der falschen Scheine sind.“

Ich öffnete meine Geldtasche, und, siehe da! es fand sich noch einer jener sicilianischen Fünflire-Scheine vor, die ich am gestrigen Tage empfangen hatte. Derselbe war von mir heute Morgen, bei Aushändigung der übrigen an den Portier, vergessen worden. Herr Bergi (in dieser Weise hatte mein Freund seinen deutschen Namen zur größeren Bequemlichkeit für seine jetzigen Landsleute italienisirt) – Herr Bergi prüfte denselben genau und gab ihn mir mit dem Bemerken zurück, daß der Schein aus der Banknotenpresse einer Bande stamme, die schon seit mehreren Jahren in der Provinz, wahrscheinlich nur wenige Meilen von der Stadt entfernt, ihr Wesen treibe, deren Mitglieder und Hauptagenten aber bisher, strengster Nachforschungen ungeachtet, stets unentdeckt geblieben seien. „Entfernte Handlanger haben wir oft bei der Verausgabung der falschen Noten entdeckt, aber die Elenden fürchteten die Rache ihrer Mitschuldigen und bewahren das Geheimniß, obgleich ich ihnen Straflosigkeit, Geld und Sicherheit versprochen, und obgleich sie wußten, daß ich mein Wort noch immer gehalten.“

Zu einer Meinungsäußerung über den Fall selbst, der mir am Herzen lag, vermochte ich ihn nicht zu bewegen; dagegen bat er mich, den einen falschen Fünflire-Schein noch heute bei einem bestimmten Händler zu bestimmter Stunde zu verausgaben, dessen Reclamation abzuwarten und dann so zu handeln, wie ich gehandelt haben würde, wenn die beiden Händler heute Morgen selbst mit mir gesprochen hätten und die Einmischung des alten Portiers nicht eingetreten wäre.

Ich that, wie verabredet. Früh am folgenden Morgen trat mit tausend Entschuldigungen der Händler, bei welchem ich den falschen Schein verausgabt, bei mir ein und bat, daß ich die Gnade haben möge, statt dieses falschen Scheines, mit dem ich betrogen sei, ihm einen anderen, guten Schein auszuantworten. Ich hieß ihn warten und begab mich in das Bureau des Hôtelbesitzers,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 655. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_655.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)