Seite:Die Gartenlaube (1880) 675.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


geziert, an ledernem Gürtel einen stählernen Dolch tragend – die historischen „Klauwärts“. Hierauf die Fahnenträger der beiden berühmten Genossenschaften der communalen Kämpfe, der von St. Georg und der von St. Sebastian, Jener im Scharlachgewand mit goldenem Kreuz auf der Brust, der Zweite blau mit rothem Kreuz. Dann ihre Trompeter mit dem großen Capuchonmantel, und hiernach die tapferen Bürger in weißen, blau gestreiften Gewändern, die Helme mit der Nackenberge auf dem Haupt und in den Händen den schrecklichen „Goedendag“, ihr Schwert. Nun folgen, in der Tracht der Gewerke der Zeit, die Bannerträger der vereinigten Gilden von Gent, Brügge und Lüttich, auf diese die Banner der Corporationen und hierauf fünf stattliche Ritter, deren Standarten die Bilder der fünf tapferen Bürger zeigen, welche die Macht der fremden Fürsten gebrochen: Jacob und Philipp von Artevelde, de T’Jerclaes, de Breydel und de Coninck. Ihnen folgt der „Wagen der Gemeinden“, majestätisch gezogen von zehn kräftigen Pferden, die von geharnischten Kriegern geführt werden; der Wagen trägt einen der alten Wachtthürme der Zeit mit seinen Schießscharten und seinen Thürmchen; zu seinen Füßen lagern Löwen, von seinen Zinnen wehen die Standarten.

Jetzt naht sich die Epoche der Provinzen. Zinkenbläser ziehen voran, hinter ihnen siebenzehn Amazonen, die siebenzehn unter dem Hause Burgund vereinigten Provinzen darstellend, beritten, in Gewänder von Sammet, Goldstoff, Seide und Hermelin gekleidet, goldene Kränze auf dem Haupte, die Wappen ihrer respectiven Provinzen auf der Brust. Dann zahlreiche Schaaren von Trompetern, Paukenschlägern, Sängern in der Tracht des fünfzehnten Jahrhunderts; Armbrustschützen; Ritter, auf den Fahnen die Portraits berühmter Belgier. Endlich Philipp der Gute mit seinem Hofe und den Rittern des von ihm gestifteten Ordens des goldenen Vließes.

Wir treten in das Zeitalter der Maria Theresia ein, deren Andenken noch jetzt in Belgien geehrt wird; Pfeifer, Trommler erscheinen, in weißen Uniformen mit der Zopfperrücke und dem goldbordirten Dreimaster, nach ihnen die Geistlichkeit im priesterlichen Gewande, der Adel im goldgestickten Kleide, der dritte Stand in bürgerlicher Tracht, dann zu Pferde der Träger der österreichischen Fahne im blauen, silbergestickten Gewande, in rothseidenen Strümpfen und Schuhen mit goldenen Schnallen. Reichgekleidete Pagen gehen der Kaiserin voran, die in goldbrokatenem Kleide, den Kaisermantel um die Schultern, das kaiserliche Diadem auf dem Haupte, den Scepter in der Hand, hoch zu Roß unter einem Baldachin einherreitet, hinter sich kaiserliche Dragoner in weißer Uniform.

Nun kommen wir zur neueren Zeit, zu Leopold dem Ersten und dem Ruhm und dem Glück Belgiens. Ein Waffenherold eröffnet den Zug; mit ihm ein Musikcorps in der Tracht der berühmten Kosaken der Maas; eine Schaar Patrioten kommt zu Fuße im Costüm von 1830, und dann auf einem großen Wagen das kolossale vergoldete Standbild Leopold’s des Ersten, dem ein Genius einen Kranz auf das Haupt setzt.

Die Chasseurs von Chasteleer, die unsterbliche Phalanx von 1830, folgen in ihren historischen blauen Blousen mit der dreifarbigen Schärpe, am Hute grüne Federn.

Dann naht der Ackerbau, vor sich ein berittenes bäuerliches Musikcorps. Reiter in grüner Seide mit Silberstickerei, einen Lorbeerkranz um den grünen Filzhut, stellen die Acker- und Gartenbauschulen des Staates vor; die Repräsentanten der Botanik und der Forstwissenschaft, des Gemüsebaues, der Viehzucht erscheinen in passenden Anzügen; von kräftigen, derben vlämischen Bauern und Bäuerinnen im Nationalcostüm umgeben, von vierundzwanzig Rindern gezogen, von Hirten in Schaffellen geleitet, folgt der Wagen des Ackerbaues, die Statue der Ceres tragend.

Acht Pferde ziehen den Wagen der Brauerei; auf einem mächtigen Fasse thront König Gambrinus, einen gewaltigen schäumenden Krug in der Hand. Das darauf folgende Musikcorps spielt natürlich das belgische – Bierlied.

Bergknappen, musicirend, gehen dem Wagen der Industrie voran; ihre Fahne trägt ein überaus reich gekleideter Ritter, im Gewande von goldgesticktem und mit Spitzen besetztem Sammet, Helm und Panzer von Silber und mit Edelsteinen besetzt. Sechs allegorische Reiter verkörpern die Zink-, Schmiede-, Glas-, Steinbruch- und Minen-Industrie. Der Wagen selbst, auf dem, hochoben auf dem Amboß, die Göttin des Fleißes thront, ist mit allen Insignien der Gewerbthätigkeit geschmückt und von Bannerträgern umgeben.

Reich costümirte Truppen folgen diesem bis zu dem weithin strahlenden Wagen der Waffenschmiede von Lüttich; derselbe zeigt vorn eine Statue, welche diese Stadt vorstellt, an den vier Ecken Kanonen; der Aufbau selbst ist eine zu schönen Trophäen zusammengestellte Sammlung von blitzenden Waffen und ganzen Rüstungen.

Wagen auf Wagen folgt. Zunächst derjenige der Glasfabrikation; dann, nach Reitern, welche die Seemannsschulen von Antwerpen und Ostende vertreten, der Wagen des Handels und der Schifffahrt, ein mächtiges Schiff darstellend mit vollen Segeln und aller Takelage, mit Matrosen und Mannschaft. Gleich dahinter, wieder unter passender Begleitung von bezüglichen Arbeitern, der Wagen der Eisenbahnen, mit vier dampfenden Locomotiven nach allen Himmelsgegenden, in seinem Gefolge die Schaaren, welche die Post und die Telegraphie darstellen.

Ein herrlicher Wagen, ein wahrer Triumphwagen, folgt: der der Künste und Wissenschaften; obenauf das ganz vergoldete Standbild Rubens’, rings allerlei Embleme; hinten ein Triton mit seiner Muschel und Verkörperungen der Conservatorien und Akademien, welche auf Goldgrund die Bilder der bedeutendsten belgischen Künstler und Schriftsteller zeigen.

Dem Wagen der Presse gehen Bannerträger mit den Portraits von Thierry, Maertens und Plantin, den alten berühmten Druckern, voran; eine brennende Fackel ist an der Vorderseite des Wagens angebracht; die Rückseite ziert ein fackelschwingender Engel, obenauf steht eine wirkliche Handpresse, die während der Fahrt arbeitet und von der aus fortwährend kleine Gedichte, frisch gedruckt, in’s Publicum geworfen werden. Und ganz oben über dem Geräth, auf einem Globus, der Genius der Presse.

Nun endlich der letzte Wagen, derjenige der belgischen Freiheit selbst. Neun Gruppen, die einzelnen Provinzen bedeutend, voran; dann der gewaltige Aufbau. Vorn ein Genius, der mit ausgebreiteten Flügeln eine Krone über die Medaillons Leopold’s des Ersten und Zweiten hält; in der Mitte das Vaterland, Kränze vertheilend und die gebändigten Löwen zu den Füßen, und hochoben eine herrliche, reichgekleidete Frau, Belgien selbst, welche die Zügel in der Hand hält.

Das ist die leider unvollständige Beschreibung des Festzuges, zu dem 2500 Menschen und 1500 Pferde gebraucht wurden, und der in seiner Präcision und vor Allem in seiner wahrhaft künstlerischen Gestaltung von unvergleichlicher Wirkung war. –

Am folgenden Nachmittag fand im Rathhause das Fest der Municipalitäten statt, das heißt das Banket, welches die Stadt den fremden Magistraten gab, und hieran schloß sich ein Concert auf dem Platze vor diesem Hause. Derselbe war wieder strahlend hell illuminirt, diesmal mit lauter Gasflämmchen, welche die barocken Formen der umstehenden Gildhäuser prächtig hervortreten ließen, während elektrische und bengalische Flammen den Thurm des Rathhauses mit seinen Flaggen phantastisch beleuchteten. Einen eigenen Eindruck machte es, als uns gegenüber plötzlich aus einem Fenster ein mächtiger Lichtstrahl hervordrang, und zwar aus demselben Fenster, durch welches die Grafen Egmont und Hoorn zum Schaffot hinausgestiegen waren. Das Concert bestand übrigens aus Vocal- und Instrumental-Musik, der die Tausende, welche auf dem Platze sich zusammengedrängt, in athemloser Ruhe lauschten. Unterbrochen wurde dieselbe nur durch begeisterte Zurufe, als Mr. Rogier das Haus verließ; die Damen reichten ihm Bouquets und die Masse drängte sich so um ihn, daß dem alten Herrn ein Geleit gegeben werden mußte.

Der folgende Tag brachte uns zwei Einladungen; zuerst nach Séraing zur Besichtigung der gewaltigen Cockerill’schen Maschinenbau-Anstalt. Wir fuhren mit der Bahn bis zur betreffenden Station, wo uns die Privatsalonwagen des Etablissements aufnahmen und auf interessantem Wege an vielen Werkstätten vorbei zum Schlosse führten.

Hier empfing uns der Generaldirector, Mr. Samoine, und nach einem reich ausgestatteten Gabelfrühstück führte uns derselbe durch die Fabrikanlagen. Die sind nun allerdings die größten des Festlandes, 9000 Arbeiter sind hier beschäftigt. Als Herr Cockerill im Jahre 1817 die Fabrik gründete, lebten hier etwa 1900 Seelen kümmerlich, jetzt leben ihrer 50,000, und zwar gut! Das riesige Etablissement wäre wohl einer eigenen, eingehenden Besprechung werth; hier gebricht mir zu Mehrerem der Raum.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_675.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)