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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Demuth zu sprechen. „Vermagst Du es nicht, mir Deine Liebe zu schenken – kannst Du da nicht wenigstens über die meinige schweigen und vergessen, was ich Dir gesagt und gethan habe und was ich in Zerknirschung dem Herrn abbitten will?“

Carmen sah ihn mitleidig an; sie hatte so viel Leid über die Seele dieses Mannes gebracht, daß sie ihren Widerwillen etwas überwand und, Thränen im Auge, zu ihm sagte:

„Sei deshalb aller Wege beruhigt, Bruder Jonathan! Ich verrathe Dich nicht – vergiß Du selbst diese Stunde, wie ich sie zu vergessen suchen will.“

Dann wendete sie sich um und eilte, so schnell die Füße sie zu tragen vermochten, in den sicheren Hort des Schwesternhauses zurück. – –

Von diesem Abend an war Carmen's Ruhe hin. Ihre Empörung über Jonathan wurde noch von der Furcht vor ihm überwogen. Die wilde Gluth seiner Gefühle war zu unbändig und gewaltsam hervorgebrochen, als daß Carmen hätte glauben können, sie vermöchten so schnell zu verlöschen.

Ein tiefes Weh des Verlassenseins überkam sie. Die Mutter todt, auf dem fernen Eiland im Ocean unter tropischer Sonne begraben – der Vater vielleicht erschlagen, eingescharrt unter einem andern heißen Himmelsstrich, und sie unter Fremden lebend und der geistigen Zugehörigkeit zu denselben entbehrend.

Sie vermied Jonathan, und auch er schien ihr jetzt geflissentlich aus dem Wege zu gehen. Von der nächsten Abendmahlsfeier hatte er sich selbst ausgeschlossen, indem er demüthig erklärte: sich diesmal dazu nicht würdig genug zu fühlen. Er hatte gut gerechnet: seine Erklärung wirkte da, wo sie wirken sollte – Carmen beklagte ihn in ihrem Herzen der Reue wegen, die ihn mit so sichtlichem Schmerze erfüllte – wie hätte ihr reines Gemüth an Heuchelei zu glauben vermocht!

Im Brüderhause, wo Jonathan im Chor der ledigen Brüder wohnte, fand man dieselbe ruhige Sammlung, dieselbe gemessene Handlungsweise an ihm; seine Kranken genossen die nämliche Fürsorge und Umsicht wie bisher, aber er sah aus wie angegriffen von vieler Arbeit, und Thomas, sein alter Gehülfe und Diener, den er aus der neuen Welt in die alte mit herüber gebracht hatte, meinte: er stöhne jetzt oft so schwer im Schlafe auf, als ob der Alp ihn bedrücke.

Carmen sah ihn nicht ohne Mitgefühl leiden – seit dem schmerzlichen Erlebniß mit dem Bruder Jonathan athmete sie doppelt schwer in der drückenden Luft des Schwesternhauses. Da kam es wie eine willkommene Erlösung aus jetzt so bedrückender Umgebung, daß, als das Pfingstfest nahte, Frau von Trautenau bat, Adele möchte in Begleitung der so zärtlich geliebten Carmen die Festwoche bei ihr in Wollmershain verbringen. Schwester Agathe gestattete ihrem Zöglinge freundlich diese kleine Erholung. – –

Wollmershain war ein schönes, großes Gut, das nach dem Tode des Vaters die drei Geschwister gemeinschaftlich geerbt hatten. Frau von Trautenau hatte ihren Wittwensitz dort genommen, bis der eine oder der andere der beiden Söhne es einmal bewirthschaften oder pecuniär in der Lage sein werde, es allein zu übernehmen und seinen Geschwistern ihr Theil herauszuzahlen. Das Verhältniß zwischen Frau von Trautenau und ihrem Stiefsohn war ein stets ungestört schönes gewesen; er verehrte die Stiefmutter sehr, die ihn mit großer Liebe erzogen hatte, und sie wiederum gab viel auf seine Ansicht und auf seinen Rath, und sah in ihm ihre Stütze, seitdem sie Wittwe geworden war.

In dieses schöne Familienleben trat nun Carmen wie in eine neue Welt. War ihr in der Gemeine die Liebe unter den Brüdern und Schwestern immer nur in dem herben Gewande der Pflicht erschienen, so gab sie sich hier mit ihrer ganzen wohlthuenden Wärme als die natürliche Regung des Herzens.

In der Ausschmückung des Hauses, in der Anlage des Parkes war, neben dem Praktischen und Bequemen, dem Schönheitssinn überall Rechnung getragen worden, und die hohen, lichten Räume mit einfacher Eleganz ausgestattet und geschmückt, die grünen Rasenflächen des Gartens mit dem reichen Flor der Frühlingsblumen, die großartigen Alleen der mächtigen alten Bäume und die stillen, lieblichen Plätzchen mitten in den Waldpartieen – in all dem athmete ein Zauber, den Carmen nur mit dem vergleichen konnte, welcher in ihrer Erinnerung die Plantage und die Hacienda des Vaters auf Jamaica umgeben hatte.

Alexander und Hans waren der Festtage wegen heimgekommen, und während Adele sich mit Letzterem im Haus und Garten herumtummelte, blieb Carmen, die sich scheu von Alexander zurückzog, auf die Gesellschaft der Frau vom Hause angewiesen und schloß sich mit wahrhaft kindlicher Innigkeit an diese mütterliche Freundin an. Es war auch mehr deren Nähe, was sie in Wollmershain beglückte, als daß ihr das veränderte freiere Leben Freude gewährt hätte; denn sie fühlte in dieser neuen Freiheit etwas wie Befangenheit, und das Aufsehen, welches ihre Erscheinung veranlaßte, hatte für sie etwas Beängstigendes. Um nicht aufzufallen, hatte sie schon das weiße Häubchen abgelegt, sodaß ihre Kleidung sich nicht wesentlich von den Anderen unterschied, aber ihre Schönheit, gehoben durch den Kranz blauschwarzen Haares, der nun den edlen Kopf bekränzte, war so außerordentlich, so fremd und eigenthümlich, daß sie wie eine exotische Blume erschien, die mit wunderbarer Pracht in Form und Duft aus dem Schatten der Palmen in unsere Treibhäuser versetzt worden ist; sie erregte die Bewunderung Aller. Dabei war in Carmen ein eigenthümliches Gemisch von Stolz und Würde mit Demuth und Bescheidenheit, das eine die Sicherheit der Dame, das andere die Schüchternheit des Kindes.

Vielleicht war es hauptsächlich der Gedanke, daß die Eigenthümlichkeiten der Brüdergemeine vielfach in der Welt verspottet und verlacht werden, was sie immer, sobald sie mit Anderen als Frau von Trautenau zusammen war, den Stolz zur Abwehr und Waffe herauskehren ließ; besonders Alexander gegenüber war sie in stetem Vertheidigungszustand, und er hatte doch jetzt mit keiner Miene und keinem Wort eine Veranlassung dazu gegeben.

„Sie hat Rasse und Feuer in sich, wie ein edles Vollblutroß,“ sagte der alte Oberst von Bergen, der aus der nahen Garnisonstadt mit seiner Tochter und seinem Adjutanten eines Tages nach Wollmershain gekommen war. „Es ist eine Lust, sie herauszufordern, damit man dieses Auge emporflammen sehen kann. Pohlen,“ wendete er sich an seinen Adjutant, „Sie scheinen auch nicht glücklich zu sein mit dem, was Sie ihr über Mittag sagten; denn die Lippen der jungen Dame kräuselten sich bedenklich auf, als hätten Sie ihr eine Beleidigung angethan, und ihre Augen sahen sehr stolz über Sie hinweg.“

Der Angeredete lachte verdrießlich. „Und doch war es Zuckerbrod, das ich ihr reichte. Ich fragte, ob alle Creolinnen in Jamaica auch so schön seien, wie sie selbst. Das ist doch bei allen Göttern schmeichelhaft genug, und so eine kleine Herrnhuterin, welche die Demuth vor allen Anderen gepachtet haben soll, braucht deshalb nicht den Kopf aufzuwerfen und hochmüthig um sich zu blicken.“

Die Herren saßen auf der Veranda des Hauses, ihre Cigarre nach dem Mittagsmahle zu rauchen und dehnten sich behaglich in den Schaukelstühlen. Alexander, der zunächst an der Treppe, welche nach dem Garten hinabführte, hinter den in voller Blüthe stehenden Syringiensträuchen saß, war bei den Worten Pohlen's sehr roth geworden und sagte mit dem Ton scharfer Zurechtweisung:

„Herr Camerad, 'Creolin' ist wohl eine Bezeichnung, die hier nicht am Platze ist, überhaupt aber von den Betreffenden nicht gern gehört wird. Uebrigens kommt eine Schmeichelei oft einer Beleidigung gleich – vermuthlich hat das Zartgefühl der jungen Dame die Ihrige so aufgenommen.“

„Meinen Sie?“ sagte Pohlen gedehnt. „Jedenfalls ist diese Art mir neu – vornehmere Damen wüßten wenigstens eine dargebrachte Huldigung anders aufzunehmen, und ich werde auch ein zweites Mal die stumme Abweisung dieser Herrnhuterin nicht wieder so geduldig einstecken, sondern ihr so wieder dienen, wie sie mir.“

Alexander verfärbte sich. Sein Blut kochte in Unwillen auf, und die gewaltsame Beherrschung seiner selbst, einen ruhigen Ton beizubehalten, ließ ihn erbleichen, als er Herrn von Pohlen einwarf:

„Vornehmere Damen? Das Vornehmere setzt das Würdigere voraus. Uebrigens, Herr von Pohlen, bin ich überzeugt, Sie werden nie und in nichts vergessen, daß diese junge Dame der Gast meiner Mutter ist, als solche unter meinem ganz besonderen Schutze steht und jede Kränkung oder Verletzung, die ihr hier widerführe, eine mir angethane wäre.“

„Meine Herren, ich bitte auf dem Standpunkte des Scherzes stehen zu bleiben, von dem wir ausgegangen sind, und keinen Ernst aus dem Gesprochenen zu machen,“ warf hier der Oberst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_683.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)