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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


schnell begütigend ein. „Es versteht sich von selbst, daß Herr von Pohlen das nicht vergißt, was er diesem gastlichen Hause und seinen Inwohnern schuldig ist. Laufen Sie sich doch lieber gegenseitig den Rang ab, Sie beiden glücklichen Ritter, denen die Jugend noch gegeben ist, und sehen Sie zu, welcher von Ihnen die Gunst dieser bildschönen jungen Dame erlangt! Ich sage Ihnen, ich beklage nichts mehr, als meine sechszig Jahre – sonst wollte ich Ihnen die Avance streitig machen.“

Alexander hatte sich erhoben, und indem er an die Stufen der Freitreppe ging, sagte er:

„Wenn es Ihnen recht ist, Herr Oberst, suchen wir nun die Damen auf, die uns im Garten erwarten werden.“

Er hielt zu sprechen inne; denn am Fuß der Treppe stand Carmen, wie unschlüssig, ob sie hinaufgehen oder umkehren solle. Sie mußte die vorhergehenden Reden gehört haben; denn sie sah bleicher aus als gewöhnlich. Er ging schnell die Stufen zu ihr hinab; sie hob den Kopf empor und ließ ihn ruhig kommen, nur die feinen Nasenflügel zitterten wie in innerer Erregung. Als er neben ihr stand, sagte sie leise: „Ich danke,“ und ein Blick aus den schönen schwarzen Augen streifte ihn sanft und weich. Dann übergoß sie plötzlich dunkle Röthe; denn sie sah die beiden anderen Herren eben an der Treppe erscheinen. Die Schüchternheit und Befangenheit, sich so allein mit den Herren zu sehen, überkam sie.

„Ich wollte ein Kissen für Frau von Trautenau holen,“ sagte sie verlegen.

„Erlauben Sie mir, Fräulein Carmen, daß ich für Mama das mit hinausbringe,“ kam ihr Alexander zu Hülfe und eilte wieder hinauf, während sie sich entfernte.

Es wurden nun Spiele auf dem Rasen veranstaltet. Fräulein von Bergen, ein munteres Mädchen, brachte sie schnell in Gang. Es waren dieselben Gesellschaftsspiele, welche Carmen so oft im Schwesternhaus mit den Pensionärinnen und Schwestern geübt hatte, aber wie anders waren sie hier, wo die Herren sich mit in den Kreis stellten und Fräulein von Bergen diese ungenirt schlug oder im Laufe fing! Carmen hätte das nie vermocht; sie lachte mit und war fröhlich, aber sie begnügte sich, ihren Scherz an Adele auszuüben und sich von dieser fangen zu lassen, während sie jeder Berührung mit den Herren sorgsam auswich.

Da fiel ein Regentropfen, bald noch einer, und endlich ein tüchtiger Frühlingsgewitterschauer, der die Gesellschaft aus dem Garten in den Salon vertrieb, aber die Stimmung war nun einmal angeregt, und man fand dort an dem ruhigen Sitzen keinen Gefallen.

„Papa, führe Deinen Schlachtengaul in's Feuer!“ bat die Tochter den Oberst, und dieser war auch, gutmüthig genug, gleich dazu bereit, sich an den Flügel zu setzen und das einzige Musikstück, das er zu spielen vermochte, einen Geschwindgalopp, herunterzutrommeln. Herr von Pohlen ergriff Fräulein von Bergen, Hans seine Schwester, und die beiden Paare drehten sich im Fluge durch den Saal.

Carmen sah leuchtenden Blickes ihnen nach; ein zartes Roth froher Erregung übergoß ihre Wangen; ihr kleiner Fuß schlug unwillkürlich den Tact, und den schönen, schlanken Körper sanft vorgebeugt, schien ihre ganze Gestalt Rhythmus zu sein.

„Möchten Sie nicht auch tanzen?“ fragte da Alexander's Stimme neben ihr.

„Ja, ich möchte gar zu gern,“ sagte sie offenherzig mit lieblichem Lächeln, ohne den Blick von den Tanzenden zu kehren. „Welche Lust muß es sein, so dahin zu fliegen!“

Alexander betrachtete sie mit Bewunderung; so voll leuchtender Freude hatte er sie noch nicht gesehen. „Wollen Sie es da mit mir versuchen, Fräulein Carmen?“ bat er mit Wärme.

„Ich kann aber gar nicht tanzen, wenigstens solchen Tanz nicht,“ entgegnete sie, das strahlende Antlitz zu ihm hinwendend.

„O, das lernt sich schnell – vertrauen Sie sich nur meiner Führung an! Legen Sie, bitte, Ihre Hand auf meinen Arm, der Sie fest umschlungen halten wird, und folgen Sie meinen Bewegungen!“sagte er erfreut und wollte den Arm um ihre Taille legen.

Bei dieser Bewegung aber sah sie ihn erschrocken an und trat betroffen zurück. Bis jetzt hatte noch keines Mannes Arm sie umschlungen – außer dem Jonathan's in wahnsinniger Leidenschaft.

„Ich kann es nicht – nein, es ist unmöglich,“ stammelte sie erschrocken.

„Dann verzeihen Sie meine Bitte, Fräulein Carmen!“ entgegnete Alexander kühl und verbeugte sich.

„Abgewiesen!“ lachte ihn Pohlen höhnisch an, da er eben zu tanzen aufgehört und Alexander's Mißerfolg mit angesehen hatte.

„Ja, aber wie sie abzulehnen weiß, das ist vielleicht von mehr Werth, als wir Andern annehmen,“ entgegnete dieser ernst.

Als am Abend die Familie auseinander ging und Carmen wie gewöhnlich Frau von Trautenau, Adele und Hans die Hand zum Nachtgruß geboten hatte, stand sie einen Augenblick noch zögernd da, unentschlossen und befangen, dann aber trat sie schnell auf Alexander zu, und das Antlitz von sanftem Roth übergossen, bot sie ihm die Hand. Sie hatte Alexander als ihren Gegner betrachtet und als solchen consequent gemieden. Heute jedoch war er ihr Vertheidiger und Beschützer gewesen, und zum Danke dafür hatte sie ihn verletzt. Sie war ihm eine Genugthuung schuldig, das fühlte sie, und als sie ihm jetzt die kleine Hand hinhielt und „gute Nacht“ wünschte, sah sie ihn bittend an, und es war, als ob sie sagen wolle: „Sei mir nicht böse!“

Ueberraschung und Freude flammte auf seinem Gesichte auf. Ihr Auge, so bezaubernd, wenn es im Feuer der Erregung blitzte, wie unwiderstehlich war es, wenn es so wie jetzt im weichen, warmen Glanze der Bitte sich aufschlug und schüchtern, sanft und vertrauend in seiner unergründlich tiefen Nacht vor ihm lag! Ihm war, da er voll Entzücken hineinsah, als ob er nimmer wieder sich davon losreißen könne. Sie aber senkte tief erröthend die Augen nieder. Da beugte er sich über ihre dargebotene Hand, und sie ehrfürchtig küssend, fühlte er sich stolz beglückt, als ob eine Königin ihn zum Handkuß zugelassen habe.

Von diesem Augenblicke an gestaltete sich Carmen's Verkehr mit Alexander freundlicher, aber freilich konnte es nur von kurzer Dauer sein; denn es waren nur noch zwei Tage, die sie gemeinsam in Wollmershain verleben konnten – dann kehrte Carmen mit Adele wieder in die Colonie zurück.




5.

„Liebe Heimath, da bist du ja endlich!“ rief ein einsamer Wanderer und blieb, auf seinen Stab gestützt, stehen. Er nahm den Hut ab, als grüße er den Ort, der da vor ihm lag, und seine Hände falteten sich andächtig auf dem Stabe. Sein Fuß schien ermüdet, sein Körper erschöpft von langem Wandern – eine kurze Strecke nur trennte ihn noch von den ersten Häusern, aber er hielt doch hier an, wie um die Seele zu erlaben an dem Anblick, der sich ihm darbot.

Da lag vor ihm der kleine Ort der Colonie, in das sanfte Licht des Juni-Abends getaucht; leuchtende Wölkchen warfen Goldfunken auf die Spitzen der Dächer und an die Scheiben der Fenster und zitterten auf dem kleinen Spiegel des Flüßchens wieder, das mit leisem Gemurmel grüßend dem Dastehenden entgegensprang; lang gedehnt, streckten sich die dunkeln Schatten der Hügel in das Thal hinab, welches sich rechts von ihm öffnete und aus dessen Tiefe die alte, ihm so liebe Mühle hervorsah, während vorn auf den Wiesen um den Erlenteich die feuchten Dünste nebelhaft ihre Gebilde woben und der würzige Duft frischen Heues von dort herüberzog. Es war ein liebliches, friedliches Bild, das den Mann tief zu bewegen schien.

Und doch, er hatte Größeres, Schöneres, Erhabeneres auf der Erde gesehen! Er hatte das Meer befahren, und in der Großartigkeit dieses Anblickes hatten sich seine Gedanken verloren, um doch größer zu ihm zurückzukehren; unter der tropischen Sonne war er gewandelt; Palmen und Magnolien hatten sein Haus beschattet und die unendlichen Reichthümer der westindischen Welt ihr Füllhorn verschwenderisch über ihn ausgeschüttet; er hatte in die heiligen Fluthen des Ganges geblickt und die Tempel des Seligkeit spendenden Benares sich darin spiegeln gesehen; in „der Heimath des Schnees“, am Himalaya war er gewesen, und die Eiseskrone des Dhawalagiri hatte gigantisch nebelhaft zu ihm herabgeblickt in die grünen Thäler mit Bananen und Reisfeldern; er hatte die mongolischen Steppen durchwandert, und in die filzbedeckte Jurte des Nomaden hatte die feierliche Größe des weiten Sternenhimmels zu ihm hereingesehen – aber nie und nimmer hatte die Stimme des Heimwehs in ihm geschwiegen.

„Heimath!“ Das ist, als ob wieder der Tisch der Mutter uns winke und das Wort des Vaters uns rufe, wie damals, als

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