Seite:Die Gartenlaube (1880) 706.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


bei Metz fielen, heben wir gleich an dieser Stelle hervor, daß denselben ohne Ausnahme würdige Grabstätten bereitet worden sind. Es bildet dies einen erfreulichen Fortschritt zu dem in früheren Feldzügen üblichen Verfahren und verdient um so mehr Anerkennung, als sich wohl kaum irgendwo so viele Gräber auf verhältnißmäßig kleinem Raume zusammengedrängt finden werden, wie in der Umgegend von Metz, welches innerhalb weniger Wochen drei große Schlachten, zwei größere Ausfallgefechte und zahlreiche kleinere Scharmützel sah. Zählt doch die Gräberliste nicht weniger als 1808 Nummern von Einzel- und Massengräbern auf, letztere bis zu 2000 Mann und darüber enthaltend, mit 492 größeren und kleineren Steindenkmälern; – kein Wunder, wenn Touristen, welche die Umgebung der alten Moselveste besuchen, den Eindruck empfangen, einen kolossalen Kirchhof zu durchwandeln. Die Herrichtung der Gräber ist das Werk der Pioniere der Metzer Garnison. Diese legten im Sommer 1871 die mehrfach nur leicht mit Erde bedeckten Leichen tiefer, und zwar wurden diese viel persönliche Selbstverleugnung erfordernden Arbeiten mit solcher Umsicht ausgeführt, daß nicht nur der von den Aerzten allgemein befürchtete Ausbruch von Epidemien unterblieb, sondern sogar der Gesundheitszustand in den folgenden Jahren in der Nähe der Schlachtfelder ein auffallend günstiger war.

Gleichzeitig mit der Tieferlegung der Gräber wurden auf diesen die früheren provisorischen und zum Theil durch den Einfluß der Witterung bereits unkenntlich gewordenen Erdaufwürfe durch regelmäßige, festgeschichtete Grabhügel ersetzt. Letztere wechseln an Größe je nach der Anzahl der Leichen, die unter denselben ruhen. Während die größeren Massengräber zehn Meter und darüber lang und mehrere Meter breit sind, haben die Einzelgräber bei einer Höhe von etwa einem halben Meter eine Länge von zwei und einem halben Meter und eine Breite von etwas über einen Meter. Ohne Ausnahme sind sie mit Epheu oder grünem Rasen überzogen und gewähren, im Schmucke des bunten Feldblumenflors prangend, einen so freundlichen Anblick, daß man fast zu vergessen versucht ist, wie manche Hoffnung ein solcher Hügel deckt, wie viel Thränen, wie viel Leid er im fernen Deutschland hervorgerufen.

Jeder Hügel trägt ein einfaches weißes Holzkreuz mit der schlichten Inschrift: „Hier ruhen tapfere Krieger, gefallen am 18. August 1870.“ Manchmal ist auch noch die Zahl der Leichen, welche das Grab enthält, angegeben. Bisweilen findet man die Inschrift: „Hier ruhen tapfere Preußen und Franzosen.“ Die im Leben sich erbittert bekämpften, ruhen im Tode friedlich in einem Grabe beisammen, und nicht selten konnte man in den ersten Jahren nach dem Kriege schwarzgekleidete Frauengestalten deutscher und französischer Nationalität gleichzeitig an einem und demselben Grabe knieen und den erlittenen Verlust beweinen sehen.

Als besonders sinnige Idee muß es bezeichnet werden, daß überall, wo die Bodenbeschaffenheit es gestattete, auf den Gräbern Bäume angepflanzt wurden, welche meist schon eine stattliche Höhe erreicht haben und noch nach Jahrzehnten, wenn Kreuze und Hügel vielleicht verschwunden sind, die Stätte bezeichnen werden, wo tapfere Kämpfer die letzte Ruhe gefunden haben. Bei den Denkmälern und da, wo größere Gruppen von Gräbern beisammen liegen, sind freundliche, zum Theil mit künstlerischem Geschmacke ausgeführte, gut gehaltene Gartenanlagen angebracht.

Ein großer Theil der gewiß allen Hinterbliebenen zum Troste gereichenden liebevollen Fürsorge für die Unterhaltung der Gräber und Denkmäler ist neben der Militärverwaltung dem allen Schlachtfeldbesuchern als kundiger Führer und lebendige Schlachtfeldchronik bekannten „Vater Rösl“ zuzuschreiben, einem Invaliden, der in der Eigenschaft als Gräberwärter „seine“ Gräber wie seinen eigenen Augapfel hütet und mit rührender Sorge und unermüdlichem Eifer auch das abgelegenste derselben nicht vergißt. Daß er dabei in dem todten Feind keinen Feind mehr erblickt und deshalb keinen Unterschied macht, ob es sich um ein französisches oder deutsches Grab handelt, hat den „Vater Rösl“ sogar bei der einheimischen, sowie der Bevölkerung der französischen Grenzorte zu einer populären Persönlichkeit gemacht. Vielleicht trägt diese Pietät mit dazu bei, daß seit längerer Zeit Verunehrungen der Gräber, Verstümmelungen von Kreuzen und Denkmälern nicht mehr vorgekommen sind.

Bei St. Hubert, einem Hauptkampfobjecte am 18. August, erhebt sich eine Anzahl von größeren Monumenten, meist in den Jahren 1871 bis 1873 von den betreffenden Regimentern zum ehrenden Andenken der gefallenen Cameraden gesetzt. Links vom Wege stehen die Denkmäler des 33. und 29. Regiments, weiterhin in dichten Gruppen von Massengräbern die der pommerschen Regimenter Nr. 14, 54 und 42, hinter St. Hubert die Monumente der an dieser Stelle hervorragend betheiligt gewesenen rheinischen Infanterie-Regimenter Nr. 28 und 69, sowie das des magdeburgischen Infanterie-Regiments Nr. 67, letzteres auf der Höhe der Steinbrüche am Randes der Schlucht, an einer Stelle befindlich, von der aus man eine vollständige Uebersicht über das Gefechtsfeld des rechten Flügels der deutschen Aufstellung genießt. Sämmtliche Denkmäler sind von edler Einfachheit und tragen als Inschrift meist nur die Namen der Regimenter und der Gefallenen; ihre Thaten aufzuzählen hat man unterlassen. Zeugen doch die vielen Gräber laut genug davon, und wenn der Zahn der Zeit den letzten Stein der Monumente zerbröckelt haben wird, so wird noch die Geschichte das Andenken der auf dem Felde der Ehre Gebliebenen mit unverwelklichen Lorbeeren geschmückt der Nachwelt überliefern.

An der Ferme St. Hubert haben sich noch manche Spuren der hier stattgefundenen erbitterten Kämpfe erhalten. Der Besitzer hat nämlich die an der Straße entlang laufende Gartenmauer ganz im gleichen Zustand belassen, wie sie nach der Schlacht war. Daß das tödtliche Blei häufig genug sein Ziel erreicht hat, beweisen die vielen von alten Nußbäumen beschatteten Einzel- und Massengräber in dem ausgedehnten parkartig angelegten, jetzt aber größtentheils verwilderten Garten. Am Hause selbst, das nur unbedeutende Beschädigungen erlitt, sind noch die Schießscharten sichtbar, aus welchen den von der Schlucht herauf und aus dem angrenzenden Wäldchen vordringenden deutschen Truppen ein Hagel von Kugeln entgegenflog, bis der blockhausähnliche Bau endlich von stürmender Hand genommen wurde.

Hinter St. Hubert fällt links von den Steinbrüchen die Straße plötzlich steil ab, um als hoher, von Pappeln eingefaßter Damm die wild eingerissene „Schlucht von Gravelotte“ zu überschreiten und als allmählich ansteigender düsterer Hohlweg in die gegenüber liegende Höhe einzuschneiden.

Wie heftig der Geschützkampf an diesem von den Franzosen für uneinnehmbar gehaltenen Defilé wüthete, ist heute noch daran ersichtlich, daß manche Bäume förmlich mit Flintenkugeln gespickt wurden; auf diese Erinnerungszeichen aus einer stürmischen Zeit treibt die heutige Jugend mit Messer und Bohrer Jagd.

Die ganze Oertlichkeit macht auf den Beschauer den Eindruck des Düstern und Schauerlichen, wozu noch die nur durch das Rauschen der wenigen verschont gebliebenen Pappeln unterbrochene unheimliche Stille kommt. Am linken Abhange der Schlucht heben sich drei große durch dunkleren Pflanzenwuchs gebildete Kreise ab, eine Erscheinung, welche uralt sein soll, deren Ursache aber bis jetzt noch nicht aufgeklärt ist. Der Volksmund nennt sie Hexenringe und verlegt hierher den Schauplatz der Zusammenkunft nächtlicher Unholdinnen. Neuerdings will man in bestimmten Nächten die Schlucht auch mit luftigen den Gräbern entstiegenen Gestalten bevölkert gesehen haben, welche lautlose Kämpfe ausführen. In der That ist die ganze Umgebung dazu angethan, die Phantasie zu ungebundenem Schaffen anzuregen.

An den in stiller Waldeinsamkeit im blumenübersäeten Grunde der Schlucht liegenden Gräbern vorbei, in denen mehrere Officiere des achten Jägerbataillons den ewigen Schlaf schlafen, erreicht man in einer starken Viertelstunde das oft genannte Gravelotte, dessen Name in unsere abgelegensten Hütten gedrungen ist und in allen deutschen Herzen ein stolzes, in vielen aber auch ein nur allzu wehmüthiges Echo weckt.

Das Dorf, das der Schlacht vom 18. August den Namen gegeben, war kein eigentliches Kampfobject, und hat daher fast gar nicht gelitten; einige vom Fort St. Quentin herübergeworfene Granaten haben nur unbedeutende längst ausgebesserte Beschädigungen verursacht. Aeußerlich erinnern an den Krieg nur noch verschiedene an den Häusern des Dorfes stehen gebliebene Inschriften, mit denen die während der Belagerung hier einquartierten Truppen ihre Magazine bezeichneten. In den Häusern dagegen findet man noch zahlreiche auf den Schlachtfeldern aufgelesene Gegenstände, wie Flinten- und Mitrailleusenkugeln, Granatsplitter, Epauletten, Uniformknöpfe, Feldflaschen und ähnliche Gegenstände, welche von Fremden (die Zahl derselben belief sich in der ersten Zeit täglich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_706.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)